Forschungsmethoden und Statistik für die Soziale Arbeit. Mathias Blanz
Arbeitslosenquoten, Suizidraten, Kriminalitätsentwicklung usw.), die Entwicklung und Überprüfung sozialwissenschaftlicher Theorien (Explanation) auf der Basis empirischer Daten, die Vorhersage (Prognose) sowie die Veränderung (Intervention) der sozialen Gegebenheiten durch erfahrungswissenschaftliche Studien.
Box 1: Die vier Hauptaufgaben von Wissenschaften
1. Beschreibung (Deskription): Wissenschaften sollen denjenigen Bereich der Realität, auf den sie sich beziehen, genau beschreiben. Für die Soziale Arbeit bedeutet dies, dass sie zum Beispiel ihren Gegenstandsbereich »soziale Probleme« exakt definieren und erfassen kann. Auch die Entwicklung diagnostischer Instrumente zählt zu dieser Aufgabe (z. B. zur Erfassung sozialer Angst).
2. Erklärung (Explanation): Wissenschaften sollen die in ihrem Gegenstandsbereich liegenden Phänomene zudem erklären können. Das bedeutet für die Soziale Arbeit, dass sie beispielsweise allgemeingültige Theorien darüber entwickelt und überprüft, wie soziale Probleme entstehen. Bezogen auf die Entwicklung von Angst erscheinen hier das respondente und operante Konditionieren als Lerntheorien relevant.
3. Vorhersage (Prognose): Wissenschaften leiten aus den Erklärungen (geprüfte Theorien) Vorhersagen darüber ab, was unter gegebenen Bedingungen geschehen wird. Für die Soziale Arbeit heißt dies, dass sie zum Beispiel Prognosen über die Folgen von sozialer Angst erstellt und überprüft. Diese könnten sich auf die Entwicklung von Vermeidungsverhalten und sozialer Isolation beziehen.
4. Veränderung (Intervention): Wissenschaften leiten von den Erklärungen (geprüfte Theorien) Maßnahmen ab, durch die Phänomene innerhalb ihres Gegenstandsbereiches verändert werden können. Dies bedeutet für die Soziale Arbeit, dass sie z. B. wirksame Interventionsmethoden entwickelt und überprüft. Bezogen auf soziale Angst kämen dabei respondente Methoden (z. B. Löschung durch schrittweise Annäherung) und operante Methoden (z. B. Einsatz positiver Verstärker) in Frage.
Statistik
Der Begriff Statistik (lat. statisticum für den Staat betreffend) bezog sich zunächst – seit der Einführung von Sterblichkeitstafeln zur Berechnung der Lebenserwartung im 16. Jahrhundert – auf die Lehre von den Daten über den Staat. Daraus entwickelte sich derjenige Zweig der Statistik, der sich mit der Beschreibung (Darstellung, Ordnung) empirischer Daten durch Kennzahlen (Statistiken wie z. B. Mittelwerte), Tabellen und Graphiken (z. B. Kuchendiagramme) beschäftigt. Die Ergebnisse der beschreibenden oder deskriptiven Statistik sind allerdings auf denjenigen Personenkreis, der an der Erhebung teilgenommen hat (die Stichprobe), beschränkt und damit eher hypothesengenerierend.
Etwas später erfolgte die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Stochastik) durch Blaise Pascal, Pierre-Simon Laplace u. a., durch die man zufällige Ereignisse (wie z. B. das Würfeln) in ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit erstmals zu berechnen versuchte. Dies führte zur Entwicklung desjenigen Zweiges der Statistik, der sich mit dem Schlussfolgern (dem »Schließen«) von Daten einer Stichprobe (der untersuchten Teilmenge) auf die Grundgesamtheit (oder Population), also alle betroffenen Personen, befasst. So wird beispielsweise von den Daten aus dem Mikrozensus (der Befragung einer ausgewählten Untergruppe der Bevölkerung) auf die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik geschlossen. Durch die schlussfolgernde oder Inferenzstatistik werden Hypothesen (und Theorien, von denen sie abgeleitet sind) auf ihre Allgemeingültigkeit geprüft (der Vorgang wird als Hypothesen- oder Signifikanztest bezeichnet), sie ist also eher hypothesentestend ausgerichtet.
1.3 Der wissenschaftliche Forschungsprozess
Abbildung 1 gibt einen Überblick über die idealtypischen Stufen des empirischen Forschungsprozesses nach Friedrichs (1975) (siehe dazu auch Bortz & Schuster, 2010). Der Ablauf wird in drei Phasen unterteilt, den Entdeckungszusammenhang, bei dem es um die Entwicklung einer sinnvollen Fragestellung geht (weißer Bereich), den Begründungszusammenhang, der den gesamten Prozess der empirischen Hypothesenprüfung umfasst (hellgrauer Bereich), und den Verwertungszusammenhang, der sich auf den möglichen Nutzen der Forschungsergebnisse bezieht (dunkelgrauer Bereich).
Abb. 1: Idealtypischer Ablauf empirischer Forschung (nach Friedrichs, 1975)
Entdeckungszusammenhang: Die Entwicklung von Forschungsfragen
Dieser Abschnitt umfasst zunächst die Beweggründe für das Untersuchungsvorhaben, z. B. ein aktuelles soziales Problem (Cybermobbing), die Überprüfung einer Theorie (für eine wissenschaftliche Abschlussarbeit) oder eine Auftrags- bzw. Kooperationsarbeit (aufgrund zur Verfügung gestellter Drittmittel oder in Zusammenarbeit mit einer Praxisstelle). Dies mündet nach und nach in einer konkreten Fragestellung, die deskriptiv (z. B. »Welcher Prozentsatz behinderter Kinder profitiert von einer Integrationsmaßnahme in der Regelschule?«) und/oder explanativ (z. B. »Welche Variablen stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Integrationserfolg?«) ausgerichtet sein kann (
Begründungszusammenhang: Die Durchführung und Auswertung der Untersuchung
Zu der entwickelten Fragestellung erfolgt eine ausführliche Rezeption relevanter Literatur, um den aktuellen Stand der Theoriebildung und der empirischen Befundlage zu eruieren. Ziel ist die Ableitung einer empirisch prüfbaren Hypothese (z. B. »Je kleiner die Klasse, desto größer der Integrationserfolg«;
Für die Datenauswertung steht heute spezielle Statistiksoftware zur Verfügung (z. B. SPSS, ursprünglich für Statistical Package for the Social Sciences;