Wir mussten einander finden. Anny von Panhuys

Wir mussten einander finden - Anny von Panhuys


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setzte sich neben ihn auf das kleine, schon ein wenig niedergesessene Sofa, das sie sehr liebte und sich dagegen verwahrte, daß es durch ein anderes ersetzt würde.

      Sie legte die Arme um den Hals des Vaters.

      „Hör mal gut zu, was ich herausgefunden habe, Vater. Nämlich das: Die Welt ist überall interessant und schön, und ich kam mir unglaublich wichtig vor, weil ich in Mailand und Rom, in Paris und Gott weiß wo noch herumspazieren und mich feiern lassen durfte, aber hier ist’s doch am schönsten, hier in unserem kleinen Erdenwinkel, von dem die da draußen, mitten in der lautesten Welt, gar keine Ahnung haben.“

      Er drückte sie zärtlich an sich.

      „Mädelchen, magst recht haben, aber begehrenswert ist es doch, die Welt sehen zu dürfen, wo sie am lautesten ist. Die Lose fallen verschieden, du hast das Glück, Kind, daß dir beides gehört, die laute Welt, die Fremde und die kleine Heimat, der Hafen.“

      Frau Gregorius kam, und dann erschien Suse, sagte wichtig: „Ich schicke jetzt das Essen herein, es ist alles fertig!“

      In dieser Nacht schlief Ulli wundervoll, wie eingewiegt von sanften Händen. Sie hatte die Fenster ein wenig offen gelassen, und die Luft vom nahen Eichenwald zog in das Zimmer und erquickte die müde Schläferin. Aber gegen Morgen flog wie ein düsterer großer Falter ein Traum durch das geöffnete Fenster. Vielleicht kam es vom höher gelegenen Wald, der nachts so finster war, und in dem wohl die bedrängenden bösen Träume hausen.

      Ulli Gregorius träumte, sie befände sich in ihrem Zimmer, und auf dem großen Tisch mit der buntgeblümten hübschen Kretonnedecke stände ihr Geigenkasten aus gelbbraunem Leder, der ihren kostbaren Schatz enthielt. Sie blickte darauf hin, und da erschien plötzlich eine Hand, die sich wie gierig durch die Luft vorwärts bewegte, wie ein kleines gefährliches Raubtier. Die Hand näherte sich dem Kasten, glitt mit krallig gebogenen Fingern dicht an den Kasten heran.

      Sie wollte schreien: Fort, fort! Sie wollte nach der Hand schlagen und fühlte verzweifelt, sie besaß nicht die Kraft dazu. Sie vermochte kein Glied zu rühren, und ihr Mund blieb stumm, so sehr sie sich auch abmühte, wenigstens einen einzigen Hilfeschrei auszustoßen. Und nun muß sie stumm, wie gefesselt, zusehen, wie die gierige Hand den Kasten öffnete und unter der golddurchwirkten rotsamtenen Geigendecke ihren kostbaren Schatz herausnahm und sich damit durch die Luft zurückbewegte wie ein widerlicher Skorpion. Deutlich sah sie die Finger der Hand, die einem Manne gehören mußte, deutlich sah sie an dem Goldfinger einen sehr breiten Ring mit zwei Brillanten, die einen etwas größeren Rubin flankierten. Plötzlich war die Hand, die einem vielbeinigen eklen Tier glich, verschwunden und mit ihr die Frohnstainer Geige, eines der hervorragendsten Meisterwerke Urgroßvater Frohnstainers, die ihre Mutter mit in die Ehe gebracht.

      Ulli erwachte mit starkem Herzklopfen und atmete tief und froh, weil alles nur ein Traum gewesen, ein Alpdruck. Man hatte gestern zu spät und schwer gegessen. Sie dachte: Träume kommen aus dem Magen.

      Sie lächelte. Da drüben auf dem großen Tisch stand der mit gelblichbraunen Leder überzogene Geigenkasten, und ihre Frohnstainer schlief sanft und behütet unter der golddurchwirkten rotsamtenen Geigendecke. Ihr Zimmer war verschlossen, und der Traum war sehr dumm.

      Sie streckte sich wohlig. Wie herrlich, endlich wieder einmal daheim zu erwachen! Eine Kirchenuhr schlug siebenmal. Ulli zählte mit. Sie überlegte, sie wollte bald aufstehen und später einen Spaziergang durch den geliebten heimatlichen Wald machen. Darauf hatte sie sich unterwegs in letzter Zeit schon oft gefreut. Sie döste noch ein wenig zur Decke empor, dann erhob sie sich. Sie war keine Freundin vom langen Herumliegen im Bett nach dem Erwachen.

      Belustigt dachte sie jetzt an ihren Traum, und sie meinte, die Hand, die sie im Traum erschreckt, deutlich vor sich zu sehen.

      Sie begab sich nebenan in das kleine Badezimmer, das sie sich nach den ersten erfolgreichen Konzerten in dem alten Häuschen hatte anlegen lassen, und duschte sich energisch ab. So, nun war sie vollkommen frisch. Schnell in das einfache graue Jackenkleid geschlüpft und hinunter zum Frühstück. Um halb acht wurde gefrühstüdckt, eine Viertelstunde später mußte der Vater in die Schule gehen, um zum Unterricht zurechzukommen.

      5.

      Ulli Gregorius schloß ihre Tür auf, aber ehe sie ihr Zimmer verließ, sah sie sich noch einmal nach dem Geigenkasten um. Ihr Blick glitt zärtlich über das ein wenig abgegriffene Leder des Kastens. Sie ging zurück, weil ihr einfiel, seit Amsterdam hatte sie ihre geliebte Frohnstainer eigentlich nicht mehr richtig gesehen. An der Grenze hatte sie den Kasten nicht einmal aufzumachen brauchen, und die Geige verdiente wirklich ein kleines Streicheln. Ihre Geige, ihre beseelte kleine Geige.

      Sie öffnete den Kasten, zog sacht die golddurchwirkte rotsamtene Decke weg, aber dann stockte plötzlich ihr Atem, und sie riß die Geige hoch, betrachtete sie mit entsetzten Augen. Die Geige hatte zwar eine ähnliche Farbe wie die ihre, war aber von plumpem und gewöhnlichem Aussehen. War eine armselige billige Geige von widerliche Neuheit. Sie roch noch förmlich nach Lack. Wie täppisch die Wirbel in dem etwas eckigen Kopf steckten und wie rauh der Rand schien.

      Sie starrte die Geige an, drehte sie immer wieder zwischen den Händen herum, als erhoffe sie davon eine Verwandlung der Geige. Sie begriff nichts, gar nichts. Wie betäubt war sie. Aber dann, mit einem Male, kam es ihr voll zum Bewußtsein, daß ihre Frohnstainer Geige weg war und man sie durch ein häßliches neues Instrument ersetzt hatte. Ulli Gregorius schrie laut und gellend auf. Wie ein Mensch in Todesnot.

      Eine Minute später stürzten schon Werner Gregorius und seine Frau zur Tür herein. Suse war mit dem kleinen Dienstmädel, das man ihr seit kurzem zur Haushilfe beigesellt, auf den Wochenmarkt gegangen.

      Ulli stand kreidebleich mitten im Zimmer und rief den Eltern das Schreckliche, das Unfaßbare entgegen. Sie zitterte an allen Gliedern und hielt die häßliche neue Geige mit spitzen Fingern hoch, als schäme sie sich, so etwas anzufassen.

      Werner Gregorius sagte sanft: „Nun werde vor allem erst ruhig, liebes Kind, die Sache ist ja sehr, sehr sonderbar, aber wenn du ruhig geworden, erinnerst du dich vielleicht an irgend etwas, wodurch man dem Dieb auf die Spur kommen könnte.“ Er nahm ihr sacht das kleine Geigenscheusal aus der Hand legte es auf den Tisch. „Heute brauche ich erst um zehn Uhr fort, also haben wir genügend Zeit, uns über die rätselhafte Sache zu unterhalten. Komm hinunter, Ulli, Kaffee trinken, das wird dich frisch machen.“ Er nahm sie unter den Arm, und von seiner Frau gefolgt, führte er Ulli die Treppe hinunter, stützte die dabei, denn sie schien gar nicht zu wissen, daß es Stufen waren, über die sie schritt.

      Der Kaffeetisch war gedeckt. Müde ließ sich Ulli nieder, raffte sich plötzlich zusammen, rief erregt: „Einen dummen Traum habe ich gehabt, das heißt, er schien mir nach dem Erwachen dumm und war es eigentlich gar nicht, wie ich jetzt finde.“ Ihre Worte überstürzten sich, als sie kurz den Traum erzählte. Sie schloß mit Heftigkeit: Ich sah einen Ring an der abscheulichen Diebeshand, einen breiten Goldring mit einem Rubin zwischen zwei Brillanten, und ich meine fast, ich hätte auch in Wirklichkeit so einen Ring an einer Männerhand gesehen.“

      Die Mutter fragte betont: „Vielleicht an der Hand Mynherr van Xantens?“

      Ulli nickte lebhaft: „Natürlich, Mynheer van Xanten trug so einen Ring! Ich weiß es ganz genau! Daß ich auch nicht sofort daran dachte. Aber jetzt gibt es für mich auch keine Rätsel mehr. Der Traum enthält viel Wahrheit, die Geige wurde mir durch Willem van Xanten gestohlen. Selbst wird er es allerdings nicht getan haben, aber mit seinem Reichtum dürfte es ihm nicht schwer gefallen sein, irgendein gewissenloses Subjekt zum gemeinen Diebstahl zu verleiten. Ich erinnere mich nur zu deutlich an seine letzten Worte, als er zornig mein Hotelzimmer verließ. Er sagte drohend: „Ich bin mächtiger als Sie„ und wenn Willem van Xanten etwas will, verschafft er es sich. Auch die Frohnstainer Geige wird mein Eigentum werden. Mit oder ohne Ihre Zustimmung!“

      Werner Gregorius antwortete empört: „Gemein war die Drohung, und noch gemeiner ist es, daß dieser reiche Mann die Drohung wahrgemacht hat. Pfui Teufel! das soll ihm übel bekommen. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter, wo irgendein Buschklepper jeden bestahl, der etwas besaß, was ihm gerade gefiel.“ Er streichelte


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