Arabischer Frühling ohne Sommer?. Martin Pabst
ihrer geopolitischen Pufferfunktion ist sie unentbehrlich.
Im Westen gilt die Türkei als doppelter Puffer gegenüber Bedrohungen aus Nah- und Mittelost sowie aus Russland. Die USA sehen die sunnitische Türkei als stärkstes Gegengewicht zur schiitischen Islamischen Republik Iran. Zudem ist sie eine aufsteigende Wirtschaftsmacht mit 83 Mio. Konsumenten sowie eine schlagkräftige Militärmacht mit einer 355 000 Mann starken Armee – in der Region zweifellos der attraktivste Partner noch vor den arabischen Golfstaaten. Hier befinden sich US-Stützpunkte wie auch NATO-Basen.
Wie oben beschrieben, hat sich die Türkei seit 2016 Russland angenähert. Im Rüstungsbereich sind die Interessen kompatibel, in Syrien konnte man Differenzen bisher ausgleichen. Doch ist das gegenseitige Verhältnis ambivalent. Ankara rivalisiert mit Moskau um Einfluss in Zentralasien und im Kaukasus, nimmt im Berg-Karabach-Konflikt für Aserbaidschan Partei, pflegt enge Verbindungen zur Ukraine, unterstützt die bedrängten Krim-Tataren und sieht den gewachsenen russischen Einfluss in der Schwarzmeerregion kritisch.
Fast ein Jahrzehnt nach dem »Arabischen Umbruch« ist die türkische Außenpolitik in zentralen Punkten gescheitert. Statt »Null Problemen mit allen Nachbarn« hat man nun fast überall Probleme. Die 2011 begründete Allianz mit Katar und der Muslimbruderschaft hat sich nicht ausgezahlt. Katar steht unter dem Embargo der Golfstaaten, und die Muslimbruderschaft ist in der Defensive. Erdogans einseitige Parteinahme zugunsten des syrischen Aufstands hat der Türkei 3,7 Mio. syrische Flüchtlinge beschert und dem IS und radikalislamistischen Gruppierungen Wege ins eigene Land gewiesen. Auch eröffnete Erdogan mit seiner riskanten Politik ungewollt den PKK-dominierten kurdischen Kräften in Syrien Spielräume, die er nun mit riskanten Militärinterventionen wieder rückgängig machen will.
On die Türkei mit ihrer zum Jahreswechsel 2019/20 begonnen Militärintervention in Libyen langfristig reüssieren wird, ist offen. Dort sucht sie nun politischen, ökonomischen und militärischen Einfluss. Ankara bemüht sich im Mittelmeerraum um eine Allianz mit Algerien, Libyen und Italien, um Ägypten, Saudi-Arabien, die VAE, Frankreich sowie die »Erbfeinde« Griechenland und die Republik Zypern zurückzudrängen. Doch riskiert die Türkei erneut Spannungen mit Russland, das in Libyen auf der anderen Seite steht.52
In Syrien ist der türkische Versuch, die USA, die EU, Russland, Saudi-Arabien, den Iran und Israel gegeneinander auszuspielen, gescheitert. Eher dürfte die – insbesondere ökonomisch verwundbare – Türkei zwischen allen Stühlen sitzen. Der Iran und Russland haben für die Türkei in erster Linie Bedeutung als Energielieferanten. Doch taugen diese beiden Länder ebenso wenig wie China als alternative ökonomische Partner für die eng mit dem Westen vernetzte und derzeit stark unter Druck stehende türkische Wirtschaft. Der Schutz durch das NATO-Bündnis, die militärische Anbindung an die USA sowie die guten Beziehungen zur EU waren bislang ein Garant für die Stabilität der Türkei. Über 50 % des Handels erfolgen mit den USA und der EU, zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen stammen von dort. »Kostbare Einsamkeit«,53 die 2013 Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin als neue außenpolitische Linie verkündete, kann sich die Türkei nicht dauerhaft leisten. Allein könnte sich das Land schwerlich einem iranischen und russischen Expansionsstreben widersetzen – umso weniger, wenn sich beide Länder zusammentun. Entweder wird die Türkei in Abhängigkeit des neuen Patrons Russland geraten oder geschwächt die vollständige Wiedereinbindung in das westliche Lager suchen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.