Arabischer Frühling ohne Sommer?. Martin Pabst
2016 stellte China ein strategisches China’s Arab Policy Paper vor, und Staatschef Xi Jinping besuchte im gleichen Jahr erstmals seit seiner Amtsübernahme vor vier Jahren die Region. Die Bedeutung des Nahen und Mittleren Ostens für das Großprojekt »One Belt, One Road« wird unten detailliert erläutert (
Das zusammen mit Russland eingelegte Veto Chinas im UN-Sicherheitsrat (8. Juli 2020) gegen einen von Deutschland und Belgien eingebrachten Resolutionsentwurf zur Verlängerung der humanitären Hilfe in Syrien über zwei nicht von der al-Assad-Regierung kontrollierte Übergänge deutet auf eine zunehmend aktive Politik Pekings in arabischen Fragen hin.
2.8 Saudi-Arabien, Katar und die Türkei
Saudi-Arabien, Katar und die Türkei sind tendenziell die Verlierer des ersten Umbruchjahrzehnts, was aber nicht ausschließt, dass sie im kommenden Jahrzehnt Boden gut machen werden. Saudi-Arabien hat die größte Volkswirtschaft unter den arabischen Staaten, nach Algerien die zweitgrößte Fläche (2,15 Mio. Quadratkilometer), allerdings nur 34 Mio. Einwohner. Die Berufsarmee zählt rund 230 000 Mann und verfügt über modernste Waffen aus US-amerikanischer, britischer, französischer und spanischer Produktion. Pro Jahr werden an die 8 % des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben. Doch ist die Kampfkraft begrenzt. Im Jemen-Krieg setzte Saudi-Arabien nur die Luftwaffe ein. Zwischen 2000 und 2010 erzielte die saudische Wirtschaft durchschnittliche Wachstumsraten von 14 % und häufte hunderte Mrd. USD an Devisen an. Die opulenten Mittel erlaubten dem Land nicht nur eine massive Aufrüstung, sondern auch die Förderung außenpolitischer Ziele durch finanzielle Unterstützung von Staaten, Parteien, Stämmen und religiösen Gruppierungen.40
Die saudische Machtstellung gründet auch auf seiner politischen und wirtschaftlichen Dominanz des 1981 gegründeten Golfkooperationsrats (GKR) mit Sitz in Riad. Das Königreich repräsentiert 99 % der Fläche, 68 % der Bevölkerung und über 50 % des Bruttoinlandsproduktes des GKR. Ein weiteres saudisches Instrument ist die 1969 unter maßgeblicher Mitwirkung Saudi-Arabiens gegründete und saudisch geführte Organisation Islamischer Zusammenarbeit (OIZ) mit Sitz in Dschidda.
Saudi-Arabiens Zukunft ist freilich von der erfolgreichen Diversifizierung seiner bisher auf Ölexporte ausgerichteten Volkswirtschaft im Rahmen der 2016 beschlossenen »Vision 2030« abhängig. Ob die ehrgeizigen Ziele der »Vision 2030« erreicht werden, ist noch offen. Die Nachfrage nach Öl wird langsam, aber stetig zurückgehen, und die begrenzten Erdgasressourcen kann das Land nur für den Eigenbedarf nutzen. Saudi-Arabien benötigt derzeit einen Ölpreis von über 80 USD pro Fass Brent, um seine Staatsausgaben zu finanzieren, doch seit 2015 ist er deutlich unter diese Marke gesunken. Anfang März 2020 brach der Ölpreis infolge eines beginnenden Preiskriegs mit Russland auf knapp 33 USD ein, die COVID-19-Krise trieb ihn bis zum 1. April sogar kurzfristig auf unter 24 USD. Zu erwähnen ist auch, dass Riad eine mit 2 % pro Jahr rasch wachsende Bevölkerung versorgen muss.
Das Land pflegte in der Vergangenheit eine zurückhaltende Außenpolitik und griff meist zur Scheckbuchdiplomatie. Seit der Inthronisierung von König Salman bin Abd al-Asis (2015) verfolgt das Königreich einen riskanten Kurs. Der Antreiber ist sein Sohn, der heute 35-jährige Kronprinz Muhammad bin Salman. »MbS« gehört einer aktivistischen jungen Generation an, sein bevorzugter Zeitvertreib sind Computerkampfspiele. Sein Mentor und Vertrauter ist Kronprinz Muhammad bin Zayid Al Nahjan (»MbZ«), der die Außenpolitik der VAE bestimmt. Als Verteidigungsminister und stellvertretender Premierminister steht »MbS« allen wichtigen saudischen Entscheidungsgremien in den Bereichen Politik, Geheimdienste und Wirtschaft vor.
Zwar konnte Saudi-Arabien 2011 die Protestbewegung in Bahrain unterdrücken und 2013 Ägypten an sich binden. Doch seine wenig professionelle Unterstützung von regierungsfeindlichen Stämmen und Rebellengruppen in Syrien zahlte sich nicht aus, ebenso wenig wie seine Bemühungen im Irak. Im Jemen hat sich das Königreich seit 2015 in einen kostspieligen und nicht zu gewinnenden Krieg verstrickt, es konnte Katar mit der 2017 verhängten Wirtschafts- und Verkehrsblockade nicht zur Unterwerfung zwingen, und mit den VAE hat es einen selbstbewussten und unberechenbaren Partner, der 2019 im Jemen seine Truppen zurückzog und dort im Süden sezessionistische Kräfte fördert. Auch ist der Jemen-Krieg mit geschätzten saudischen Kriegskosten von 200 Mio. Euro pro Tag immens teuer, gerade vor dem Hintergrund eines niedrigen Ölpreises.
Mit seiner aggressiven Politik gegenüber dem Iran riskiert Saudi-Arabien einen zwischenstaatlichen Krieg, bei dem es ohne massive US-amerikanische und israelische Hilfe den Kürzeren ziehen würde, wie die wohl direkt oder indirekt vom Iran ausgehenden Militärschläge gegen saudische Ölanlagen im September 2019 verdeutlichten. Bei diesem Ereignis offenbarte sich nicht nur die Schwäche der saudischen Luftabwehr, sondern auch der Unwillen der USA zu militärischen Gegenschlägen.
Saudi-Arabien hat es den USA massiv verübelt, den langjährigen Alliierten Hosni Mubarak 2011 fallen gelassen zu haben. Auch warf es Washington und seinen europäischen Verbündeten Untätigkeit in Syrien vor und nahm aus Protest dagegen im Oktober 2013 den ihm zustehenden Sicherheitsratssitz nicht an. Trotz aller Solidaritätsbekundungen Washingtons fürchtet man einen weiteren Rückzug der USA aus der Golfregion. Als Ersatz ist Saudi-Arabien bestrebt, eine von Marokko
Abb. 7: Das Konzept »Vision 2030« für die Zeit nach dem Öl und der saudische Staatsgründer Abdalasis al-Saud (1875-1953; oben), der derzeitige König Salman bin Abdalasis al-Saud (mittig) und Kronprinz Muhammad bin Salman (unten).
bis Indonesien reichende sunnitische Allianz gegen den Iran aufzubauen. Im Jahr 2015 initiierte Kronprinz Muhammed bin Salman eine aus 41 Staaten bestehende »Islamische Militärkoalition gegen den Terrorismus«. Das Hauptquartier befindet sich in Riad, der Kommandierende General kommt aus Pakistan. Schiitisch dominierte Staaten wie der Iran, der Irak und der Libanon wurden nicht eingeladen.
Das nur 11 437 Quadratkilometer große und 2,8 Mio. Einwohner zählende Emirat Katar hat sich dank der drittgrößten Erdgasreserven weltweit seit Mitte der 1990er-Jahre zu einem immer selbstbewussteren Akteur entwickelt. Mit seiner Softpower (wirtschaftliche Beteiligungen im Westen, Entwicklungsunterstützung durch die Qatar Foundation, Medienmacht mittels al-Dschasira, internationale Sportveranstaltungen, kulturelle Aktivitäten, personelle Netzwerke) steigerte es seine politische Sichtbarkeit und erwarb sich das Image eines weltläufigen, moderaten muslimischen Staates.41
Mit dem Reichtum kam das Selbstbewusstsein – nach Ansicht seiner Nachbarn der Größenwahn. Katar strebt danach, in Konkurrenz zu Saudi-Arabien zu einer arabischen Vormacht zu werden. Das Emirat ist auch militärstrategisch relevant, beherbergt es doch die Al Udeid U.S. Air Force Base und das Camp As Sajlijah, die zu den größten US-Basen weltweit zählen. In Al Udeid befindet sich außerdem eine vorgeschobene Kommandobasis des US-Regionalkommandos CENTCOM in Tampa (Florida). Rund 10 000 US-Soldaten sind permanent in Doha stationiert.42
Mit dem »Arabischen Umbruch« sah der ehrgeizige Emir Hamad bin Chalifa al-Thani 2011 seine Chance gekommen. Vom Vermittler wandelte sich das Emirat zum außenpolitischen Akteur. Zusammen mit der Türkei setzte es auf die Muslimbruderschaft. Doha wurde zu deren Schaltzentrum, und der zuvor für seine Objektivität gerühmte Sender al-Dschasira verwandelte sich in ein Sprachrohr der Muslimbrüder. In den Jahren 2011/12 hatte Katar gerade die rotierende Präsidentschaft der LAS inne und konnte sie für seine Zwecke instrumentalisieren.
Die politischen, militärischen und ökonomischen Beziehungen zwischen Katar und der Türkei haben sich seit 2011 intensiviert. Beide Staaten schlossen 2015 ein