Jan ganz groß!. Carlo Andersen

Jan ganz groß! - Carlo Andersen


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In diesem Fall haben wir eine Chance. Wenn ich aber länger bewusstlos war, ist der Kerl natürlich längst über alle Berge.»

      «Wir versuchen es auf alle Fälle!» erklärte Carl zornig. «Aber wo sollen wir ihn suchen?»

      «Wahrscheinlich ist er in Richtung Sonderburg gefahren», erwiderte Jan. «Er ist ja von Padburg gekommen und wird schwerlich Neigung haben, zur Grenze zurückzukehren. Da wir nur noch drei Räder besitzen und ich mich etwas schwindlig fühle, schlage ich vor, ihr drei fahrt im Spurttempo in Richtung Sonderburg. Wenn ihr den Ausreisser vorher nicht entdeckt habt, kehrt ihr an der Brücke um. Denn dann ist eine weitere Verfolgung aussichtslos.»

      Verblüffend schnell hatten sich die drei Buben angezogen, und wenige Minuten später radelten sie, so schnell sie konnten, in Richtung Sonderburg davon. Jan konnte noch längere Zeit das helle Licht ihrer Radlaternen sehen. Er ging langsam vor dem Zelt auf und ab. Am liebsten hätte er sich hingelegt. Aber er liess es bleiben. Es war immerhin möglich, dass er eine kleine Gehirnerschütterung bekommen hatte, und es hiess ja, in einem solchen Fall dürfe man nicht schlafen, jedenfalls nicht sofort.

      Jan glaubte, es wäre eine Ewigkeit vergangen, als seine Freunde endlich zurückkehrten. Leider hatten sie nichts erreicht. Sie waren, statt an der Brücke umzukehren, sogar bis Sonderburg gefahren, hatten aber von dem Fahrraddieb keine Spur entdecken können. Jan suchte sie zu trösten: «Da lässt sich nichts machen. Wir wollen uns wieder hinlegen und hoffen, dass heute nacht nicht noch mehr passiert.»

      «Und Carls Rad?» fragte Jesper.

      «Das werden wir kaum wiedersehen», erwiderte Jan. Lächelnd fügte er hinzu: «Carl muss eben fortan abwechselnd bei uns hinten aufsitzen.»

      Carl sah ganz niedergeschlagen aus. Bis zu diesem Augenblick hatte er an das gestohlene Rad kaum gedacht. Jetzt erst kam ihm zum Bewusstsein, wie schwer der Verlust war, den er erlitten hatte. «Es ist scheusslich», sagte er stockend. «Aber es bleibt ja nichts weiter übrig. Morgen fahre ich mit der Bahn nach Hause. Selbst ein gebrauchtes Fahrrad ist ja teuer, und ... in meiner Kasse herrscht wieder einmal Ebbe ...»

      «Kommt nicht in Frage!» erklärte Erling ruhig. «Das fehlte noch gerade, dass wir für den Rest der Tour auf deine Gesellschaft verzichten! Nein, mein Freund, morgen früh kaufen wir ein neues Rad für dich. Ich habe genügend Geld mitgenommen.»

      «Es wird lange dauern, bis ich das Geld zurückzahlen kann», stammelte Carl verlegen. «Mein Verdienst ist leider nicht danach ...»

      «Du kannst jeden Monat eine Krone abzahlen», erwiderte Erling. «Und nun wollen wir nicht mehr davon reden.»

      3.

      Als die Buben erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Jan war der erste, der den Kopf durch die Zeltöffnung steckte. Die Schmerzen in seinem Hinterkopf waren verschwunden. Mit lauten Zurufen und freundschaftlichen Püffen weckte er seine Kameraden. Die grössten Schwierigkeiten hatte er, wie immer, bei Erling. Der dicke Kerl bat eindringlich und mit flehender Stimme, man solle ihn doch noch ein paar Stunden schlafen lassen. Aber Jan war unerbittlich: «Als wir beschlossen, diese Fahrt zu machen, war es sicher nicht unsere Absicht, die ganze Zeit zu verschlafen. Ermanne dich, Dicker, und mach kein so wehleidiges Gesicht! Auf mit dir!»

      Carl holte zwei Eimer Wasser vom Hof, und Jesper besorgte frische Brötchen vom Bäcker. Als sie am Lagerfeuer versammelt waren und sich das Frühstück schmekken liessen, erörterten sie eifrig die Geschehnisse der Nacht. Jesper konnte es nicht lassen, Carl etwas zu nekken: «Du warst ja gestern so begeistert, weil der Mann mit der Narbe den Grenzwächtern entwischte. Bist du noch immer so froh, dass er sich auf freiem Fuss befindet?»

      «Meinst du, wegen des Rades?» gab Carl bedrückt zurück. «Ich konnte doch nicht wissen, dass er stehlen würde ...»

      «Wir wollen Carl damit nicht necken, Krümel!», mischte Jan sich ein. «Ich verstehe sehr gut, was gestern in ihm vorging, als er sich darüber freute, dass die Flucht geglückt war. Denken wir jetzt lieber daran, einen Plan für den heutigen Tag zu entwerfen. Zuerst und vor allem müssen wir die Polizei in Sonderburg benachrichtigen. Der Diebstahl des Fahrrads wird sie kaum sonderlich interessieren. Ich glaube aber sicher, wenn sie hören, wer das Rad gestohlen hat, werden sie die Ohren spitzen. Der Flüchtling von der Grenze wird vermutlich schon überall gesucht ...»

      «Wo mag er stecken?» fragte Jesper.

      «Das weiss ich natürlich ebensowenig wie du, Krümel», erwiderte Jan. «Ich halte es aber für sehr wahrscheinlich, dass er sich irgendwo auf Alsen befindet. Er hatte sicher einen ziemlich weiten Weg vor sich. Weshalb hätte er sonst das Wagnis eingehen und das Rad stehlen sollen? Es ist nicht undenkbar, dass er auf Alsen Freunde hat, die ihm auf der Flucht weiterhelfen können ...»

      «Vielleicht treffen wir wieder mit ihm zusammen», unterbrach ihn Carl hoffnungsvoll.

      Jan schüttelte den Kopf. «Damit rechne lieber nicht, Carl. Nach dem, was heute nacht geschehen ist, wird er sicher sehr vorsichtig sein.»

      Ausnahmsweise wurde Erling erstaunlich schnell mit dem Frühstück fertig. Er erhob sich und blinzelte Jan heimlich zu. «Kannst du mit Krümel allein das Zelt abbrechen, Jan?» fragte er. «Inzwischen könnten Carl und ich uns etwas in der Umgegend umsehen.»

      «Natürlich», erwiderte Jan, der sofort begriff, was Erling im Sinne hatte.

      Die beiden Jungen machten sich auf den Weg, während die Zurückbleibenden aufräumten und das Zelt abbrachen. Eine halbe Stunde später waren sie fertig. Bald darauf kamen Erling und Carl zurück.

      Carl stiess ein vor Neuheit funkelndes Rad. Jan rief lachend: «Jetzt besitzt du das beste Rad von uns allen, Carl! Schade, dass der Kerl nicht mein Rad gestohlen hat!»

      «Es ist mir eigentlich gar nicht recht», murmelte Carl verlegen. «Erling hat 265 Kronen für das Rad bezahlt, und ich hätte genau so gut das alte Rad nehmen können, das der Mann für 85 Kronen verkaufen wollte ...»

      «Ja, das sieht Erling wieder einmal ähnlich», sagte Jan, vergnügt grinsend. «Er findet das Beste gerade einigermassen gut genug. Aber nun wollen wir machen, dass wir nach Sonderburg kommen. Es ist höchste Zeit, dass die Polizei benachrichtigt wird.»

      Es dauerte nicht lange, und die Buben waren wieder unterwegs. Da es nach Alsen leicht bergab ging, konnten sie ein gutes Tempo einhalten. Schliesslich beschrieb der Weg eine scharfe Kurve nach rechts, und Sonderburg lag auf der anderen Seite der Meerenge vor ihren Augen. Die Stadt machte im strahlenden Sonnenschein einen festlichen Eindruck. Am äussersten Ende rechter Hand lag das grosse Schloss, in dem Christian der Zweite sieben Jahre lang gefangen gesessen hatte. Wie Erling erzählte, war der Turm, der ihn beherbergt hatte, schon seit langer Zeit niedergerissen. Andere Teile des Schlosses aber waren gut erhalten, obwohl sie aus dem Mittelalter stammten.

      Die Buben fuhren sofort nach der nächsten Polizeistation, und Jan erzählte, was sich in der Nacht begeben hatte. Der Wachtmeister machte grosse Augen, als er hörte, der Fahrraddieb wäre mit dem verschwundenen Flüchtling von der Grenze identisch. Er sagte: «Bist du deiner Sache auch sicher?»

      «Durchaus!» erklärte Jan ohne Bedenken. «Ich habe ihn an der Grenze ganz deutlich gesehen, und heute nacht hatten wir hellen Mondschein. Ein Irrtum ist ganz ausgeschlossen.»

      Der Wachtmeister kritzelte etwas auf einen Bogen Papier. Dann erhob er den Kopf und fragte: «Wie heisst du?»

      «Jan Helmer.»

      «Helmer?» wiederholte der Polizeibeamte überrascht. «Bist du mit Kriminalkommissar Helmer in Kopenhagen verwandt?»

      «Er ist mein Vater.»

      Der Wachtmeister schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. «Ist es möglich? Dein Vater war mein Lehrer auf der Polizeischule. Er ist ein hervorragender Beamter. Und wenn ich nicht irre, habe ich auch ab und zu von deinen Taten etwas gehört ...»

      «Ach, das ist nicht der Rede wert», unterbrach Jan ihn schnell; denn er konnte es nicht leiden, dass man von seinen «Taten» sprach.

      «Oho,


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