Die große Fälschung. P. M.

Die große Fälschung - P. M.


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schallt es von verschiedenen Seiten. Einige junge Leute eilen zum Schrank und bringen Trinkgefäße aus Ton, Zinn und Holz. Alexis sticht das Fässchen umständlich an und verkündet mit piepsiger Stimme:

       »Dies ist Monemvasierwein, Jahrgang 971, ein Süßwein erster Qualität, sonst für Fürstenhöfe reserviert. Aber da wir in dieser Gegend keine Fürsten mehr finden konnten, bitten wir euch, ihn zu kosten.«

      Die Degustation wickelt sich zügig ab. Alexis füllt die Becher, die sofort zirkulieren und von ‚Ahs!‘, ‚Ohs!‘ und ekstatischen ‚Mhms!‘ begleitet werden.

      »Dieses bescheidene Fässchen hat eine lange Reise hinter sich«, erzählt dann sein Bruder Theodoros. »Wir sind im Oktober in Monemvasia aufgebrochen …«

      Er zeigt mit einer Gerte auf das weiße Fähnchen auf dem Leintuch.

       »… mit einer gemischten Ladung von Wein, Stoffen, Glas, Gewürzen und Kosmetika. Per Schiff, auf unserem Gemischtwarenladen zu Wasser, überquerten wir das ägäische Meer und kamen nach Konstantinopel. Dort wickelten wir die ersten Geschäfte ab und nahmen weitere Waren an Bord. Wir waren eine Gesellschaft von zwanzig Händlern, dreißig privaten Leibwächtern und vierzig Sklaven. Dazu die Schiffsbesatzung. Nach Konstantinopel kamen wir zuerst zu den wilden Bulgaren, denen wir wenig Wein und Stoffe gegen viel Gold verkauften. Die Armen haben keine Ahnung von den Weltmarktpreisen. Dann ging’s durch das Gebiet der Petschenegen den Dnjepr hinauf, mit Geleitschutz von den Normannen, die dort Waräger heißen. In Kiew haben wir ein Kontor. Dort luden wir die meisten unserer Waren aus. Wir bildeten ein Joint Venture mit normannischen, litauischen und friesischen Händlern und zogen weiter nach Norden. So kamen wir bis Nowy Torg und Nowgorod und dann mit der letzten Knarr nach Wollin in Pommern. Auch dort haben wir ein Depot. In Wollin haben wir vom Tannenbaum-Aufstand gehört, allgemein als ‚diese Schweinerei in Mitteleuropa‘ bekannt. Da wir ohnehin den ganzen Winter durch in Wollin festgesessen wären, entschlossen wir uns, die beschwerliche Reise durch Schnee und Sturm zu wagen, um die neuen Wunder zu sehen …«

      »Mein Neffe ist nämlich Philosoph«, erklärt der alte Chrisostomos mit einem um Entschuldigung bittenden Grinsen, »und nur beschränkt für den Handel tauglich. Er interessiert sich mehr für Sitten und Gebräuche fremder Völker als für ordentliche Gewinne.«

      »Aha, die ersten Ethnologen kommen«, ruft ein Mädchen vom Bau dazwischen, »der Anfang vom Ende.«

      »Oder es sind Spione«, ergänzt ein finsterer Alter.

      Theodoros hebt beschwörend die Hände.

       »Natürlich sind wir Händler und immer auf der Suche nach neuen Absatzmärkten. Aber diesmal kommen wir als Freunde. Wir kommen vor allem, um euch zu warnen. Was wir in Wollin und Magdeburg gehört haben, wird euch gar nicht gefallen. In Händlerkreisen werdet ihr furchtbar verleumdet. Man wirft euch Wirtschafts- und Handelsfeindlichkeit vor. Die von euch vertriebenen Kaufleute heizen die Propaganda gegen euch an …«

       »Umso besser!«

      »Händler sind Blutsauger, das wisst ihr selbst am besten«, sagt die schwarzgelockte Bauarbeiterin ganz ruhig.

      »Das ist richtig«, antwortet Theodoros unbeeindruckt. »Wir stellen Preisunterschiede fest und leben davon, doch wir machen sie nicht. Wir reisen, riskieren unser Leben, verschieben Waren – und dafür wollen wir auch bezahlt werden. Es ist eine Tragödie, dass es keine anderen Formen des Austauschs unter Menschen gibt. Doch wie ihr wisst, wird der direkte Verkehr unter den Völkern von den Herren aller Art systematisch unterbunden. Das Symptom dieses Übels ist der Handel mit Geld. Doch darüber können wir später reden. Es ist ein Kriegsfonds der vereinigten Händler zur Finanzierung des Vernichtungsfeldzugs gegen euch eröffnet worden. Die reichsten Handelshäuser von Venedig bis Nowgorod beteiligen sich daran. Am kaiserlichen Hof ist man überglücklich. Es können jetzt den Rittern nicht nur italienische Landgüter, sondern auch hohe Prämien in Gold und Silber angeboten werden. Die kaiserliche Armee wird sozusagen zur Privatarmee der vereinigten Kaufherren. Es werden überall Söldner rekrutiert, bis hinauf nach Schweden und hinunter nach Toulouse. Der Abschaum Europas kommt aus seinen Löchern. Eure Feinde organisieren sich.«

      »Und was schlagt ihr vor?«, fragt Arthur, der Schmied.

      Alexis antwortet:

       »Da wir auf der Seite der Republik stehen und gegen Papst und Kaiser sind, möchten wir euch helfen – soweit das in unseren bescheidenen Kräften steht. Was wir hier in Tuckstett gesehen haben, hat uns vollkommen überzeugt. Ihr seid eine wahre Republik, demokratisch, vernünftig, effizient. Auch wir haben genug von Monarchen, Tyrannen und ihren Klüngeln. Kurz und gut: Wir sind bereit, in eine planetare Baisse zu investieren.«

      Gelächter, Schmunzeln, ungläubige Blicke.

      »Und was könntet ihr konkret tun?«, will Alda, die Kürschnerin mit den ausgefallenen Mützenmodellen, wissen.

      »Wir möchten euch bei der Beschaffung von Waffen helfen«, antwortet der magere Ioannis. »Es fehlt euch sicher inzwischen auch an Eisen.«

      »So ist es«, meint Arthur.

       »Als Händler können wir euch Eisen verschaffen, noch diesen Winter. Wir werden euch das Geld vorschießen.«

      »Wir haben einige Tonnen in Magdeburg bereit«, erklärt Alexis. »Und noch werden wir nicht verdächtigt, auf eurer Seite zu stehen.«

      »Zur Tarnung haben wir sogar in den Händlerfonds einbezahlt«, ergänzt Theodoros.

      »Dann müsst ihr uns mindestens das Zehnfache geben«, wirft Alda ein.

      Theodoros hebt wieder seine Hände.

       »Wir setzen alle unsere liquiden Mittel für euch ein. Was braucht ihr sonst noch?«

      »Salz«, sagt jemand.

      Ioannis notiert es sich.

      Pergament, Papier, Schmiedewerkzeuge, Öl, Kupfer, Getreide kommen noch auf die Wunschliste.

      »Schön und gut«, meint schließlich eine blonde Frau mit dicken Zöpfen und Doppelkinn, »aber nun erklärt uns mal, warum ihr das wirklich für uns tun wollt. Ich glaube nämlich zufälligerweise nicht mehr an den Weihnachtsmann.«

      »Ja, was ist der Haken an der Sache?«, fragt der skeptische Alte in der Ecke.

      »Da hast du es, Theodoros«, seufzt Chrisostomos achselzuckend, »sie trauen uns nicht.«

      Theodoros gestikuliert mit seinen schlanken Händen.

      »Die Welt«, beginnt er zu leise, »ist in einem schlechten Zustand.«

       »Lauter!«

      »Die Welt«, setzt Theodoros mit überschlagender Stimme nochmals an, »ist in einem erschreckenden Zustand. Das Übel, das vor viertausend Jahren begonnen hat, steckt immer weitere Teile des Planeten an. Das Geschwür der Herrenklüngel ist eine entfesselte Landplage geworden. Sie terrorisieren mit ihren bewaffneten Banden ihre eigenen und benachbarte Bevölkerungen. Angst beherrscht das Leben und macht unterwürfig und abhängig. Diejenigen, die die Lebensmittel produzieren, werden ruiniert, damit die Herren weiterhin ihre Heere unterhalten können – angeblich, um sie zu schützen. So verkommt die Landwirtschaft, und bei der geringsten Dürre oder Kälte entstehen Missernten und Hungersnöte. In der Not suchen die Bauern Trost bei den Kirchen. Doch diese stecken mit den weltlichen Herren unter einer Decke, seien es nun Kaiser oder Kalifen. Die, die plagen, und die, die trösten, sind dieselben. Die, die das Jammertal beklagen, stellen es absichtlich her. Eine perverse, lähmende Situation ohne Ausweg. Sie kann nicht verbessert, nur zerschlagen werden. Was ihr hier versucht, ist schon oft versucht worden. Wir kennen es aus unserer eigenen Geschichte. Ursprünglich war Monemvasia eine Fluchtburg der peloponnesischen Bauern. Wir flohen vor Byzantinern, Normannen, Sarazenen, vor


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