Die große Fälschung. P. M.

Die große Fälschung - P. M.


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wir als freie Stadtrepublik – und wurden sogar reich. Ganz ähnlich übrigens wie Venedig. Doch wir blieben isoliert, und unser Reichtum lockt die großen Herren immer wieder. Sie lassen uns nicht in Ruhe. Die Sarazenen und Normannen planen neue Belagerungen, der Vertrag mit Basilios kann jederzeit gekündigt werden. Verzweifelt versuchen wir, uns im Handelsbereich unentbehrlich zu machen. Doch eigentlich möchten wir lieber ruhig unsere Weinberge pflegen, unsere Oliven ernten, unsere Weizenfelder bestellen. Die Stadt, in die wir geflüchtet sind, ist unser vergoldeter Käfig geworden. Als Städter werden wir untergehen. Unseren Mitbürgern wird das, was ihr hier in Tuckstett macht, sofort einleuchten. Doch darf euer Experiment nicht enden wie unseres. Es darf nicht isoliert werden. Diesmal brauchen wir Kontakte in allen Ecken und Enden der Welt, auch in Arabien, bevor wir uns als Feinde auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen. Vor uns liegen weitere tausend Jahre Krieg, wenn es uns diesmal nicht gelingt. Wir sind für Auschwitz und Hiroshima verantwortlich, wenn wir es nicht schaffen.«

      »Wo liegen Auschwitz und Hiroshima?«, fragt eine ältere Frau scheinheilig.

      »Das sind Prophezeiungen«, antwortet Leo, »die besagen, dass Menschen millionenweise wie lästiges Ungeziefer getötet und verbrannt werden.«

      Er blickt Theodoros halb strafend, halb mitwisserisch an. Die Firma scheint wirklich die Kontrolle über die erlaubten Gesprächsstoffe verloren zu haben. Namen wie Auschwitz und Hiroshima werden sie linguistisch furchtbar herrichten müssen, damit sie in tausend Jahren nicht mehr erkennbar sein werden. Es gibt allerdings Leute in der Desinformationsabteilung, die solche Knacknüsse nur zu gerne übernehmen.

      »Wir haben gute Beziehungen mit Alexandria, Damaskus, Susa, Tunis, Antiochia«, erklärt der besonnene Ioannis. »Wir werden sie benützen, um Kontakte zu euch herzustellen.«

      »Und wie steht’s mit den Ungarn, Russen, Warägern, Petschenegen und Bulgaren?«, fragt Lambert, der Kesselmacher.

       »Auch da können wir einiges unternehmen, denn überall haben wir Kontore und Kontaktpersonen.«

      »Am besten wäre es«, meint Theodoros wieder, »wenn einige von euch uns auf der Rückreise begleiteten. So könnt ihr selber mit den Leuten reden und euch in Monemvasia von unserer Aufrichtigkeit überzeugen.«

      Sogleich meldet sich ein halbes Dutzend meist jüngerer Leute. Das Reisebüro Tuckstett hat soeben seine Geschäfte aufgenommen. Wenn noch mehr abreisen, ist im Frühling niemand mehr da, um die kaiserlichen Heere abzuwehren.

      Die Monemvasier haben eine gute Geschichte, aber ganz glauben mag ich ihnen nicht. Sie sind Konkurrenten Venedigs. Venedig ist mit dem Kaiser verbündet – er ist sogar Pate des Sohns des Dogen. Der Kaiser wiederum hat Streit mit Byzanz, dem er Süditalien abnehmen will. Monemvasia ist mit Byzanz verbündet. Dieses kann ein Interesse daran haben, die kaiserlichen Heere in dessen eigenem Land zurückzuhalten. Otto kann nicht gut in Apulien, das noch Langobardien heißt, einfallen, wenn er mit Rebellen in Franken und Schwaben beschäftigt ist. Sind also die Malvasier Agenten von Byzanz? Die politische Großwetterlage fördert das Vertrauen in sie nicht gerade. Vielleicht versucht die Firma uns darin logisch einzuordnen: eine byzantinische Verschwörung in Mitteleuropa?

      Während einige unserer Leute mit Ioannis, Alexis und Chrisostomos ihre Reisen planen, finden Unna, Hilda, Lambert und andere sich mit Theodoros am Kaminfeuer zusammen.

      Wir probieren noch einmal den Monemvasier, den ich zu süß finde und der mich melancholisch stimmt. Sehr pflaumig, leicht modrig, ein Hauch von Rhabarber. Doch – unbestreitbar – ein abgerundetes Tröpfchen.

      »Nun, Theo, wie siehst du die Sache wirklich?«, wende ich mich an den Mann, der uns aus dunklen Augen anblickt.

      »Ja«, meint Unna, »wie schätzt du unsere Chancen ein?«

      Sie trägt ein weißes Gewand mit weißem Fellkragen und darüber eine schwere Goldkette mit einem Schlangenamulett. Wie schon oft versuche ich aus ihrem Gesicht auf ihr Alter zu schließen: dreißig, vierzig, fünfzig?

      »Ihr seid wahnsinnig«, erwidert Theodoros mit einem mitleidigen Lächeln.

      Wir lassen diese Worte auf uns arme Psychopathen wirken. Er schaut uns nachdenklich, vorsichtig, an. Er weiß, dass man Verrückte nicht provozieren sollte, sonst rasten sie aus. Da wir nichts sagen, erklärt er uns die Sache im Einzelnen:

       »Ihr seid daran, Veranstalter und Opfer eines so ungeheuerlichen Massakers zu werden, dass es nicht einmal in die Geschichte wird eingehen dürfen. Zehntausende werden abgeschlachtet werden, weil ihr in eurem Übermut der Firma einen Streich spielen wollt. Ihr seid alle auf der Entlassungsliste – das ist euch wohl klar. Ja, mehr noch, auf der Liquidationsliste. Das habe ich aus direkter Quelle vom Sicherheitsdienst. Bis jetzt ist es mir gelungen, sie hinzuhalten. Ich habe versucht, ihnen eure seltsamen Geschäftspraktiken zu erklären – mit Zitaten aus Lehrbüchern und Kursunterlagen. Zudem habt ihr unwahrscheinliches Glück gehabt. Auf Grund rätselhafter Pannen ist die Geschäftsleitung über das volle Ausmaß eurer Sabotageaktionen nicht im Bild. Auf ihren Operationskarten gibt es einige weiße Flecken. Es scheint, als ob viele Feldagenten mit euch sympathisierten. Offenbar werdet ihr von gutmütigen Idealisten, sentimentalen Abteilungsleitern, die in der Midlife-Crisis stecken …«

      »Die Welt ist in der Midlife-Crisis, mein Guter«, versetzt Unna lachend, »an beiden Enden des Jahrtausends.«

      »Was hat die Firma uns zu bieten?«, meint Lambert, der blonde Kesselmacher mit dem dünnen Bärtchen. »Offenbar sind sowohl Agenten wie Agierte in der Krise. Niemand glaubt den Versprechungen der Firma mehr, weder heute noch morgen. Sie hat keine attraktive Zukunft mehr zu bieten. Aber schau dich hier um. Was können tausend Jahre Entwicklung da noch verbessern?«

      Theo schaut sich gehorsam um. Er sieht eifrig plaudernde Gruppen, beobachtet das laute Eintreffen einer Delegation aus Prag, eine Auseinandersetzung in einer Ecke, gerötete Gesichter, eine entfesselte Mode. Es wird eine Schale mit Hafer-Honig-Plätzchen herumgereicht. Während wir arme Irre zugreifen, fährt Theo beschwörend fort:

       »Ganz bezaubernd, wirklich schön, das Leben, wie es sein soll. Eure kleine Realität wird viele anstecken und überzeugen, aber sie ist eine Illusion, nur Schein, das Flackern einer Kerze, die beim leisesten Windstoß verlöschen muss. Versteht ihr: Die Handelsherren ganz Europas und halb Asiens haben sich gegen euch verschworen. Millionen von Goldmark und Dinaren stehen gegen euch. Schafft es der Kaiser nicht, so kommt der Kalif. Auch die Ungarn sind noch nicht ganz zur Ruhe gekommen. Die Logik des Zeitalters steht gegen euch, der Prozess ist irreversibel, das akkumulierte Kapital schon zu groß. Die Widersprüche sind zu gut orchestriert, die Maschine läuft – ihr könnt sie nicht mehr aufhalten.«

      Leo, der schon früh abgesprungene Mönch, gesellt sich zu uns. Sein Rossschwanz ist buschiger, und eine rötliche Narbe hat einen kriegerischen Akzent auf seine Wange gesetzt.

      »Plötzwald«, erklärt er, da wir alle hingestarrt haben.

      Hilda wendet sich hitzig an den pessimistischen Provokateur:

       »All das wissen wir schon lange. Wir wurden, ohne es wirklich zu wollen, hineingezogen. Konrad erschlug den herzöglichen Emissär, Ulrich setzte Rodulf unter Druck, Rodulf machte mit usw. Die ganze Bewegung entstand in einem unüberlegten Augenblick, in einer unkontrollierten Tausendstelsekunde. Aber sie hat trotzdem ihre Logik.«

      »Auch das Universum ist im Bruchteil einer Sekunde und ohne Ursache entstanden«, fügt Leo hinzu.

      »Das weiß ich«, erwidert Theodoros ungehalten. »Doch ihr macht es euch zu einfach, bloß Opfer der Umstände sein zu wollen. Natürlich gibt es – rein theoretisch – eine minimale Chance, mit eurer Sache durchzukommen. Aber mein Szenario ist das wahrscheinlichste. Bisher habt ihr Glück gehabt, doch jetzt ist der Moment für ein vernünftiges Krisenmanagement gekommen. Ihr habt einen historischen Atommeiler an den Rand des Meltdowns getrieben. Wenn er kippt, werden Betreiber und Saboteure zusammen umkommen. Ich schlage euch ein Abkühl- und Normalisierungsszenario vor.«

      »Brauchen


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