Sternschnuppen. Gudmund Vindland
da weiß ich eine Lösung! Wir schenken uns den Alk – total. Ich hab mir das schon lange überlegt. So ein Entschluß würde völlig mit der Enthaltsamkeitspolitik der Partei übereinstimmen. Dann können wir ein wirklich schönes Fest ohne Suff veranstalten – ohne Suff, aber mit viel guter Kultur. Was haltet ihr davon?« fragte Kyrre Eliassen enthusiastisch.
»Nein, ehrlich gesagt, jetzt mußt du ...« brachte ich heraus.
»Ja!« rief Inga Lunde – und natürlich bestimmte sie und keine andere über ihre eigene Hochzeit.
So kam es, daß wir uns im festlichen Kreis versammelt hatten, während nichts Stärkeres als Kefir im Haus war. Das machte mir nichts aus, auch wenn ich es ein bißchen verschroben fand, aber ich sorgte mich, daß es vielleicht ein bißchen zu verkrampft festlich zugehen könnte. Und was war mit dem Ehepaar Lunde? Wenn sie so gern ein oder fünf Gläschen wegknasperten, dann war das eine ziemlich schlaue Beleidigung. Aber ich kannte sie ja nicht – und auf ihre Reaktion war ich geradezu gespannt.
Bald stellte sich heraus, daß niemand Niels Adolf Lunde kannte, und da Inga ihn zu kennen glaubte, hatte sie ihn gröblich unterschätzt. Er und seine Gnädige kamen im größten Cabincruiser an, den ich je aus der Nähe gesehen hatte und den eine tadellos gekleidete Mannschaft, bestehend aus zwei jungen Herren, die ich nicht genauer anzusehen wagte, aus Angst, restlos abgelenkt zu werden, unten am Anleger vertäute. Das Boot hatte keinen geringeren Namen als »Seagull« und hatte zweifellos genausoviel Schnaps geladen wie Kronprinz Harald. Ich rede selbstverständlich nicht von SKH, Seiner Königlichen Hoheit, sondern von SMS, der Fähre Kiel-Oslo nämlich.
Mams und Paps Lunde waren im Rathaus erschienen und hatten auf der Ehre bestanden, ihre einzige Tochter und deren charmanten ersten Ehemann in ihrem bescheidenen privaten Fahrzeug zu Wasser nach Nesodden zu bringen – wenn die jungen Leute damit einverstanden waren? Aber das waren sie nicht. Ich war sauer, weil ich nicht miterleben durfte, wie Kyrre seinem Schwiegerpaps klarmachte, daß sie zusammen mit »allen anderen, die sich nicht in soviel dekadentem Luxus suhlen können«, Bundefjordens Dampfschiffahrtsgesellschaft vorzögen. So konnte Kyrre bereits ganz zu Anfang jeglichen Versuch von Klassenzusammenarbeit abbügeln, was Paps aber nicht daran hinderte, noch weitere Versuche zu unternehmen.
Als das Ehepaar Lunde am Anleger des Tempels an Land ging – er im weißen Seglerdress und sie in einem rosa Seidentraum –, brachten sie eine vereiste Magnumflasche Champagner mit, mit einem so blendenden Etikett, daß es im Sonnengeflimmer einfach nicht zu entziffern war. Und damit war es Inga – nicht Adele – Lunde, die die erste Szene des Abends improvisierte. Sie stürzte sich auf ihren Ursprung, daß Silber und Gold an ihrer echten Oslo-City-Tracht nur so klirrten, und informierte sie mit einem Flüstern, das noch auf dem dritten Tempelabsatz zu hören war, über die alkoholpolitischen Maßnahmen des Abends: »Schafft diesen Dreck sofort wieder an Bord! Hier ist der ganze Abend alkoholfrei – das hat in der Einladung gestanden –, und wenn ich merken sollte, daß ihr versucht, heimlich auch nur einen Tropfen zu trinken, dann jage ich euch sofort wieder auf See. Ist das klar?«
Paps nahm das so jovial hin, als ob ihm gerade ein Millionengeschäft durch die Lappen gegangen wäre.
»Aber liebes Kind, Inga, es war doch nur nett gemeint. Wir würden doch so gern auf dich und deinen Mann anstoßen, das kannst du dir ja denken, aber natürlich soll alles so sein, wie du willst. Ich stoße auch gern mit Obstsaft an!«
Ich stand auf dem ersten Absatz und beobachtete Mams während dieses Auftritts, und mir fiel auf, daß sie dabei nicht eine Miene verzog. Sie schien unverrückbar guter Laune zu sein. Sie sah auch sonst richtig gut aus, professionell konserviert, mit einer hellblonden Sonjafrisur, die ihr sehr gut stand. Sie sah keinen Tag älter aus als die Kronprinzessin, die damals vielleicht neunundzwanzig war. Und da war es doch umsichtig von Mams gewesen, daß sie ihre gemeinsame Frisur gebleicht hatte, damit niemand behaupten konnte, sie ähnelten einander wie ein Ei dem anderen.
Der Champagner wurde von einem der Matrosenanzüge wieder an Bord gebracht, und Inga schob ihre Eltern die vielen Treppen und Absätze bis zu der großen Terrasse hinauf, wo wir alle mit funkelndem Apfelsaft in garantiert keimfreien Plastikgläsern anstießen. Ich muß zugeben, daß ich ziemlich beeindruckt war, als ich Niels Adolf Lunde die Hand schüttelte. Er hatte eine frische, korkbraune Hautfarbe, die von viel Sonne und Segeln und Golf und so erzählte, und einen strammen, fast unmerklich zitternden Händedruck, der von einer nahezu übermenschlichen Selbstkontrolle zeugte. Inga überließ ihre Eltern sofort Ragnhild und mir. Wir fungierten als eine Art Reservegastgeber, während Øystein sich der kulturellen Belange annahm.
»Ihr habt hier ja wirklich einen phantastischen Ort gefunden«, plauderte Paps und nippte an seinem Saft. »Ist das über Bekannte gelaufen?«
»Nein, Inga hat das alles durch ihre großen Überredungskünste geschafft«, sagte ich, so höflich ich konnte. Mams warf einen langen Blick über den ganzen Putz und kommentierte mit milder Stimme: »Inga war immer schon wie ihr Vater in bezug auf Temperament und ... Geschmack.«
»Ja, die hält wirklich die Ohren steif!« erwiderte Paps. Er war sichtlich zufrieden mit dieser Bemerkung, aber Mams war auch nicht schlecht drauf:
»Du weißt genau, daß sie meine Ohren geerbt hat«, sagte sie tatsächlich, ehe sie sich an uns wandte: »Ansonsten sieht sie meiner Mutter als jungem Mädchen sehr ähnlich. Nach ihr ist sie auch getauft.«
»Das hat dein seliger Vater so entschieden, Liebe. Die Mutter meiner Frau ist verwitwete Pröpstin!« erklärte Paps mit klarer Aussprache, und danach sagte Mams lange gar nichts mehr.
»Wie ist denn so das Wohnen in ... einer Wohngemeinschaft?« fragte er Ragnhild. Sie trug ein schlichtes meergrünes Kleid, das all ihre Qualitäten betonte – nicht zuletzt auch ihre offene Freundlichkeit, die sie mit ihrem intelligenten Witz kombinierte.
»Es ist ungefähr so, wie ununterbrochen sturmfreie Bude zu haben. Es ist lustig, weil niemand über uns bestimmt, und anstrengend, weil keine Mutter für Ordnung im Haus sorgt.«
Das kam an.
Beide lachten und schienen sich ein kleines bißchen zu entkrampfen. Paps sah sie aufgemuntert an: »Aber, sag mal, ich hab immer gedacht, bei sturmfreier Bude würden unweigerlich Vaters Barschrank und Weinkeller geleert. Hat meine Tochter sich von den Guttemplern einfangen lassen, oder hab ich etwas Wesentliches mißverstanden?«
»Nein, wir sind keine Antialkoholiker, aber ... normalerweise trinken wir ja nichts, aber ... also, unsere Bewegung vertritt die sogenannte Maßhaltelinie.«
Ragnhild sandte mir eine lächelnde Bitte um Hilfe, während ich ebenfalls lächelte – nicht ohne eine gewisse Schadenfreude – und die Gelegenheit wahrnahm, die halbe Wahrheit zu erzählen.
»Heute ist ein ganz besonderer Abend, weil das Brautpaar gemeinsam beschlossen hat, eine alkoholfreie und kulturelle Hochzeit zu feiern. Wir waren anderer Ansicht, aber heute haben ja schließlich nicht wir zu bestimmen.«
»Es ist ja beruhigend zu hören, daß Adele und ich heute abend nicht die einzigen Dissidenten sind. Und deshalb lade ich euch gleich zu einem Drink auf die Seagull ein, wenn hier die schlimmsten Formalitäten überstanden sind. Denn an Bord bestimme ich, wer was trinken darf. Nicht wahr, meine Schöne?«
Mams’ Lächeln war um ein, zwei Millimeter abgesackt, wurde jedoch sichtbar strammer, als sie sagte: »Du mußt doch einsehen, daß Inga sich das nur ausgedacht hat, um mich zu demütigen – und dich, Nisse!«
»Aber, aber ...«
»Ich möchte am liebsten sofort wieder an Bord gehen. Es ist doch offensichtlich, daß diese Menschen uns überhaupt nicht hierhaben wollen. Ach, verzeiht mir, das war unverschämt von mir. Ich meine ja auch nicht euch beide, wirklich nicht. Ich weiß eure Offenheit und Höflichkeit zu schätzen. Ihr seid herzlich willkommen an Bord. Das meine ich wirklich ehrlich.«
»Wir können nicht einfach gehen, meine Liebe. Wir müssen uns wenigstens verabschieden.«
»Sofort, Nisse, sonst schreie ich!«
Sie lächelte immer noch genauso steif, aber ein