Sternschnuppen. Gudmund Vindland
dasselbe Gesicht auf der Straße sah. Oder einen Mann mit einer Zeitung in einem parkenden Auto, der mir bekannt vorkam. Oder wenn es besonders laut im Telefon klickte. Oder wenn zwei Männer in einem Motorboot draußen in der Bucht herumdümpelten und das Haus mit dem Fernglas betrachteten. Wurde man dann überwacht oder nicht? Und wenn ja, von wem?
Und so schaffte es der paranoide Genosse Adams, mir lange und spürbar das Leben zu vergällen. Er streute ganz bewußt Zweifel und Argwohn aus, die leicht Wurzeln schlagen und zu giftigem Verfolgungswahn erblühen konnten. Aber nicht bei mir. Gott sei Dank. Nie mehr! Ich hatte soviel darüber gelernt, wie Menschen sich in solchen geistigen Irrwegen verlaufen können, daß ich den verlockenden Fallen ausweichen konnte. Und obwohl ich Kraft und Aufmerksamkeit aufbringen mußte, um nicht wieder wahnsinnig zu werden, konnte ich doch damit leben – wie mit allem anderen. Also konnte der gedankenpolitische Roy Adams keine bleibenden Schäden anrichten. Bei mir, wohlgemerkt.
Ansonsten wurde mir, soviel ich weiß, noch zweimal in meinem Leben die Ehre zuteil, mich im Brennpunkt seines intensiven Interesses zu befinden. Im folgenden Jahr trotzte ich abermals allem, was Phobie und Noia hieß, nahm höchstpersönlich an der Maidemo in Oslo teil und zeigte mich stolz und Glad to be Gay. Und unter den Zuschauern – wo sonst? – entdeckte ich plötzlich einen bebrillten Adamsapfel mit forschender Miene, die sich zu hochmütigem Grinsen verzog, als er mich erkannte. Er war wohl doch nicht so kurzsichtig, wie mir nun aufging, während das, was er gerade begriffen hatte, wie Gorgonzola aus seiner ganzen Gestalt dampfte: »Ach, schwul bist du! Ja, hab ich’s mir nich’ gedacht!«
Zum letzten Mal sah ich ihn mehrere Jahre später ausgerechnet im Café Engebret. Damals zählte es zu Oslos besten Fischrestaurants, und ich hatte drei Schwule aus den USA mitgeschleift, um sie eine bessere norwegische Kabeljaumahlzeit mit viel französischem Rotwein genießen zu lehren. Wir wurden zu einem Fenstertisch geführt, und ich hatte noch nicht einmal den Aperitif bestellt, als ich den Gorgonzoladuft der Gedankenpolizei bemerkte. Am anderen Ende des Lokals hüpfte der Adamsapfel wie ein Yo-Yo auf und ab, während er klebrige Sprechblasen mit folgendem Klartext aussandte: »Aha! Du bist so dekadent, daß du hier verkehrst! Und was sind das für Agenten, diese aufgetakelten Schwulen, die mit dem Geld um sich schmeißen?«
Als der Kellner uns einen Dry Martini brachte, prostete ich ihm mit einem förmlichen kleinen Nicken zu, und dann konnte ich ihn zum Vorteil des Kabeljaus vergessen – der trotz allem ein viel angenehmerer Fisch war.
Hier und jetzt befinde ich mich in der hervorragenden Lage, hinterher klüger zu sein, und deshalb möchte ich gern eine letzte Runde für Genossen Adams schmeißen. Es stellte sich nämlich heraus, daß er allen Grund hatte, sich verfolgt zu fühlen, der Arme. Inzwischen ist gründlich belegt worden, daß Sicherheits- und Überwachungspolizei in den siebziger Jahren ganz schön viel Dreck am Stecken hatten, was abgehörte Telefone und allgemeine Registrierungen von Linksradikalen im Königreich Chlorwegen betrifft. Inzwischen haben sie ja exotischere Jagdgründe aufgetan. Jetzt sind es Phänomene wie dunkle Hautfarbe und grüne Haare – und alles andere, was auf rechte Politiker und ihre weißen Kaninchen anstößig wirkt –, die ausübende Macht und erzieherische Tätigkeit der Bullerei anregen. Aber die Sicherheitspolizei hat die politischen Archive, die sie damals so emsig angelegt hat, sicher nicht zerstört. Sicher haben sie immer noch ein liebevolles und vielleicht ein wenig nostalgisches Auge auf uns. Und wer und wieviele im großen Erinnerungsbuch einen Ehrenplatz einnehmen – ja, das weiß wohl nicht einmal der König.
Die AKP wußte sicher schon zu Anfang der siebziger Jahre viel mehr als Seine Majestät und gab sich alle Mühe, immer ein oder zwei Schritte vor ihren Überwachern zu liegen. Sie beschäftigten sich fast manisch mit der sogenannten Sicherheitsfrage, und natürlich waren alle Kader auf der Hut vor Spionen und Provokateuren, von denen es sicher eine Menge gab. Und wenn man irgendwelche Zweifel hatte, weil man irgendwas nicht sicher wußte, dann gab es genug phantasievolle Vorstellungen, die Roy Adams and His Apple Bugs schluckten und schluckten und schluckten, ehe sie sie wie eine Viruspest weiterverbreiteten.
Der Sauberkeitsgrad in der ML-Bewegung war deshalb ganz schön hoch, und mitten in dieser trügerischen Wirklichkeit war Genosse Adams mit seinem angeborenen Argwohn gelandet. Im Grunde waren Roy Adams und seine Gesinnungsgenossen sehr zu bedauern, denn die ganze Welt muß ja von seinem kurzsichtigen Standpunkt aus in jeder Einzelheit äußerst bedrohlich ausgesehen haben. Viele konnten den Druck, den der Machtapparat auf die ML-Bewegung ausübte, nicht ertragen, und einige sind durch rücksichtslose politische Schikanen einfach kaputtgegangen. Das geschah nicht zuletzt durch unsere Freie und Unabhängige und Wahrheitssuchende Presse, die ein für allemal beweisen konnte, daß die Massenmedien die wirksamste Waffe der Systembewahrer sind. Niemals haben sich so viele Presseleute gegenüber einem so lebensgefährlich bedrohten Machtapparat als so unterwürfig und loyal erwiesen, wie man auf allen ersten Seiten und Kilometern von Spalten nachlesen konnte. Wir müssen schon nach Süd-Korea, um eine ähnlich hysterische Kommunistenjagd zu erleben.
Bloody Lord Nelson!
An diesem Abend in Wolkenwild hob sich der Säuregrad nach Roy Adams’ ätzenden Spekulationen über meine heimlichen Agenturen in gefährliche Höhen, bis Kyrre in die Hände klatschte und die volle Aufmerksamkeit aller erheischte. Wichtige Meldung also.
»Wie ihr alle wißt, wohnen Inga und ich jetzt schon über ein Jahr zusammen, und so soll es auch bleiben. Und deshalb können alle, die Lust dazu haben, zu unserer Hochzeit am Mittsommerabend kommen – oder am Johannisabend, wie es hier als christliches Relikt heißt –, in drei Wochen also. Das Fest wird im Nachbarhaus stattfinden – im Tempel, wie wir das nennen ...«
Der Rest der Einladung ertrank in Gratulationsovationen. Ich blickte zu Ragnhild hinüber, die nur resigniert den Kopf schüttelte und offenbar genauso überrascht war wie ich, während Øystein zusammen mit allen anderen johlte und applaudierte. Ich verstand nur noch Bahnhof. Gehörte das auch zu den Sicherheitsmaßnahmen? Sollte die Hochzeit geheimgehalten werden?
»Ich weiß, daß das für die meisten von euch überraschend kommt, aber wenn ich die Wahrheit sagen soll, wir haben uns auch erst gestern dazu entschlossen«, rief Kyrre freudestrahlend durch das Getöse.
Aber gestern war er doch gar nicht zu Hause gewesen! Um alles möglichst nett auszulegen, ging ich davon aus, daß er vorgestern meinte. In diesem Moment entdeckte ich Inga im Gewimmel, und wenn sie genauso überrascht war wie ich, dann jedenfalls positiv; sie lächelte und errötete und wirkte richtig glücklich. Verschwunden war die blödsinnige Wirtin-Rolle, und übrig war eine errötende Braut, die zu glauben schien, daß die Ehe all ihre Probleme lösen würde. Die Umstehenden schienen auch dieser Ansicht zu sein. Also Prost auf das Brautpaar, Genossen!
Welches Recht hatte ich denn aber, so kritisch zu sein? Vorauszusehen, daß Ingas Ehe zu einem unendlichen Hindernisrennen von unlösbaren Aufgaben in einer hitzigen Szene werden würde, wo Freizeit und Ferien Schimpfworte waren, wenn sie nicht Treffen und Lager bedeuteten? O nein. Jung-Vilde hatte keine gediegene Grundlage für seine Skepsis – und bei weitem nicht genügend Gewicht, um sie zum Ausdruck zu bringen. Statt dessen stellte ich mich ins Glied der Gratulierenden und umarmte die Braut und ihren Gam, und dann überließ ich die ganze Gesellschaft sich selber.
Ohne Zögern stahl ich zwei Flaschen Liebfrauenmilch – übrigens der scheußlichste Weißwein, den ich mir vorstellen kann – und ging damit in Øysteins Atelier, wo ich mich in seinen bequemen Sessel setzte und mir in melancholischer Einsamkeit in aller Ruhe einen antrank. Die Alkoholpolitik in unserer WG war, wie gesagt, recht streng, es gab Sauermilch im Alltag, und bei Festen war Maßhalten angesagt, und so war es kein Wunder, daß ich die Gelegenheit ausnutzte, um mich ein bißchen in Schwung zu bringen. Das fand ich immer noch herrlich – von Zeit zu Zeit. Damals war ich mit dem Maßhalteprogramm einverstanden. Ich war wild entschlossen, mich nicht zu Tode zu saufen, und verglichen mit meinen früheren alkoholischen Leistungen waren meine Mitbewohner die besten und gesündesten Freunde, die ich gehabt hatte, seit ich zu Hause ausgezogen war. Eben deshalb war es besonders schön, ihnen für ein Weilchen zu entkommen, und ich kippte den zuckersüßen Scheißwein und konzentrierte mich gewaltig auf alles zwischen Nase und Nabel.
Und es muß mir