Sternschnuppen. Gudmund Vindland
als ich zu Weihnachten hier hereingeschneit war, dort oben einquartiert, aber dann bekam ich ein Problem, das jeden Tag schlimmer wurde. Ich konnte den Terpentingeruch nicht vertragen, und deshalb war ich nach einer Woche im ansonsten so himmlischen Bett des Barons zum kleinen Rotauge geworden, und überall juckte es mich. Also mußte ich gleich meine erste Aufgabe in diesem Haus lösen. Ich übernahm die Diele, die ansonsten nur zur Zier gedient hatte, und begann, sie nach meinem eigenen Geschmack einzurichten. Es war nämlich so, daß Chlorwegens Gesundheitswesen mir während der Monate, als ich mich bei den sehr, sehr Nervösen in sicherem Verwahr befunden hatte, volles Krankengeld bezahlt hatte. Und da es selten etwas bringt, das Tun und Lassen dieses Wesens zu hinterfragen, nahm ich das Geld an, ohne mit der Wimper zu zucken – und ich möchte mich, besser spät als nie, herzlich dafür bedanken. Auf meinem Konto hatten sich also einige tausend Kronen angesammelt, die in jeder Minute an Wert verloren. Man kann über die siebziger Jahre sagen, was man will, aber Sparen lohnte sich jedenfalls nicht. Wir konnten uns zwar aus der EG heraushalten, aber die Inflation kam trotzdem. Nicht zuletzt bei Oslos Gebrauchtwarenhändlern und Antiquitätenläden. Die Preise waren so französisch, daß es billiger gewesen wäre, gleich in Paris einzukaufen – inklusive Flugschein. Aber ich brauchte nicht so weit zu fahren, ich kannte nämlich zwei Trödelläden, einen in Toten und einen in Hedmarken, und deshalb lieh ich mir Kyrres VW-Bus und ging mit Ragnhild auf Requisitionstour.
In Toten konnten wir, ohne zu feilschen, ein prachtvolles englisches Messingbett für vierhundertfünfzig Kronen kaufen. In Oslo hätte das mindestens zweitausend gekostet. Außerdem erstanden wir zwei blankgesessene Ohrensessel aus rotem Leder, einen Teewagen, einen hübschen Couchtisch mit vier Stühlen, zwei Alabasterlampen, einen soliden Garderobenständer mit Messingbeschlägen – und einen total hinreißenden Kerzenlüster aus gegossener Bronze, der jeweils sechzig Kerzen verbrauchte. Der landete über dem Eßzimmertisch und löste Alarm beim Nordkommando der NATO aus, als sie ihn mit ihrem feinfühligen Radar anpeilten.
Beim Trödler in Hedmarken flippten wir abermals aus und stopften den VW voll mit Teppichen und Gobelins und Schlafröcken und Weinballons – und einer Hütekollektion, bei der Kronprinzessin Sonja mit den Zähnen gefletscht hätte. Ragnhild bekam ein Kostüm samt Sonnenschirm, und ich gönnte mir ein Rauchjackett aus weinrotem Spiegelsamt und eine in Silber eingefaßte Meerschaumpfeife. Am Ende erwarben wir noch zwei gediegene Messingleuchter und eine Landschaftsmalerei mit breitem Goldrahmen – es war fast zuviel für den armen alten Volxwagen. Aber als wir dann endlich nach Hause kamen, brach gewaltiger Jubel aus, und in den folgenden Tagen gingen alle im Hute – während ich mich in meiner Strandhalle einrichtete, wie ich mein neues Domizil nannte. Und dort war es intim und nobel und sicher genauso gemütlich wie in der Kammer der Großherzogin von Gerolstein.
Gleichzeitig begab es sich, daß die weitsichtige Redaktionsleitung der Prawda es für angebracht hielt, mit der Zeit zu gehen und die alten Büromöbel durch neue, funkelnde zu ersetzen, in einem Design, das so entsetzlich war, daß es ein Vermögen kostete. Und so bekamen Ragnhild, Kyrre und ich wunderschöne Eichenschreibtische mit Drehstühlen sowie zwei riesige Aktenschränke aus Birkenholz, in denen Kyrre siebzehn Kartons politischen Sprengstoff unterbringen konnte.
Jetzt hatte ich eine sichere, ungestörte Schreibecke, die ich oft benutzen wollte. Aber das war leichter gesagt als getan. Immer, wenn ich Zeit und Möglichkeit hatte, mich hinzusetzen und zu schreiben, fiel mir etwas anderes ein, was ich statt dessen tun konnte. Es gab wirklich mehr als genug zu tun. Meine Strandhalle wurde niemals fertig eingerichtet, aber sie war schließlich auch über dreißig Quadratmeter groß. Die Decke war mahagonibraun gestrichen, und auf dem Boden lag ein moosgrüner Teppichboden, deshalb strich ich die Wände weiß und dekorierte sie mit zwei großen Gobelins und ausgewählten Werken von Einhorn und Munch. In der hintersten Ecke stand das Messingbett und funkelte einladend, während der Schreibtisch vor dem Südfenster einstaubte, dort, wo ich einen Zimmerwein dazu brachte, zu wachsen und zu gedeihen. Ansonsten enthielt mein Zimmer noch den roten Teesalon für zwei und eine abgegriffene Truhe anno 1755, die ich als verfrühtes Erbstück von meiner Mutter bekommen hatte. Ich hatte es hell und luftig und schön – und das war wichtig für mich. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht behaglich gewohnt, wie so viele andere im prahlerischen Ölnorwegen auch nicht.
Ich setzte mich auf, als Øystein mit eiskaltem Hagebuttenund Zitronentee und einer Ladung von Ingas besonders wohlgelungenen Rosinenbrötchen vom letzten Abend den Weg herunterkam. Kyrre war bereits gestern zu seiner Besprechung gefahren, und wir hatten es harmonisch und nett gehabt. Jetzt erwarteten wir ihn und ein größeres Kontingent Rot-Front-Leute, die eine siegreiche Sitzung im Studentenausschuß feiern wollten. Wir aßen Rosinenbrötchen und sammelten Kräfte und diskutierten, was wir am Johannistag machen wollten. Wir standen nämlich vor einer gewaltigen Veränderung in unserem Dasein, die gründlich geplant werden mußte. Wir würden in vier Wochen in einen griechischen Tempel umziehen.
Unsere Vermieter waren clever genug gewesen, sich das Wohnrecht im Haus während der Sommerferien zu sichern. Dann kamen sie fröstelnd aus dem Eismeer angereist und wollten Sonne tanken und Kohlrabi und andere Südfrüchte essen – und deshalb mußten wir vorübergehend ausziehen. Im letzten Jahr waren alle einzeln verreist, aber in diesem Jahr hatte Inga noch einen Goldvogel geschossen, und zwar keinen geringeren als den Besitzer des Nachbargrundstückes. Auf dem Südufer von Flaskebekken lag nämlich eine strahlende Offenbarung. Ein echter griechischer Tempel. Direkt aus der Antike geholt und mit behutsamer Aphroditehand auf den Felsen des Inneren Oslofjords plaziert.
Unzählige Menschen mußten sich die Augen gerieben und staunend den Mund aufgerissen haben, wenn sie am Tempel vorbeigesegelt kamen, denn man erwartet hier oben bei uns keine griechischen Tempel. Aber er liegt ganz unangefochten oberhalb von drei halbkreisförmigen Balustraden, und ursprünglich waren auf jeder Seite symmetrisch Urnen und Statuen aufgestellt. Ganz oben führt eine breite Treppe mit neunzehn Stufen zum Haus selber, dessen Dach von vier eleganten symmetrischen Säulen mit erlesenem Kapitell getragen wird. Und es ist durchaus keine Mussolinische Zuckerbäckerei. Es ist eine genaue Kopie eines Tempels in der Ägäis – wenn auch nicht in vollem Maßstab, leider. Das Innere besteht aus einem Wohnzimmer mit grünem Belag, einem schwedischen Kachelofen und schlummerndem Lüster sowie einem neun Quadratmeter großen Eßzimmer und einer noch kleineren Küche mit Elektroherd und fliegenden Ameisen. Im ersten Stock gibt es ein brauchbar großes Schlafzimmer für die Herrschaft mit restlos ramponierten Betten und ein unentbehrliches Mädchenzimmer von dreieinhalb Quadratmetern, in dem eine verrostete Waschschüssel in der Ecke steht.
Es war Ingas Verdienst, daß wir bald umziehen würden, von einer Idylle in die andere, wie die Made im norwegischen Speck. Und falls irgendwer denkt, daß wir in einem Traumschloß wohnten, dann muß ich wohl teilweise zustimmen. Obwohl wir alle ausgeprägte Tatmenschen waren, umschwebten uns doch unleugbar einige große und schöne Träume. Über die Revolution. Über ein sozialistisches Chlorwegen. Über volle Gleichberechtigung. Über eine offene und positive Sexualmoral. Kurz gesagt, über eine bessere Gesellschaft. Ich persönlich träumte immer noch vom Ruhm, aber am liebsten träumte ich in Øysteins Armen – seinem Einheitsideal so nahe, wie ich nur kommen konnte.
Gedankenpolizei
Die Fähre aus Oslo brauste draußen in der Bucht an uns vorbei, und Kyrre stand an der Spitze des Roten Tornados auf dem Vorderdeck. Er schien an die dreißig Leute mitgebracht zu haben, und Inga rannte ziellos auf dem Steg herum, während sie versuchte, das mentale Kostüm der perfekten Wirtin überzustreifen – aber sie fand nicht einmal ihren Bikini. Ragnhild versuchte, die Vorstellung abzubrechen.
»Jetzt setz dich doch erst mal wieder, Inga. Die bringen doch Huhn und Salat und Baguettes und Getränke mit, und sie sind schließlich allesamt ans Organisieren gewöhnt, nicht wahr? Wenn sie nicht selber mit allem fertig werden, dann kannst du dir immer noch einen Weg durch den Brei bahnen, aber nicht vorher.«
»Ich kann ja wohl unsere Gäste begrüßen!« antwortete Inga heftig und trampelte den Weg hinauf.
»Ach ja. Wir sollten uns wohl ein bißchen anziehen, Knaben, sonst halten die uns am Ende für Anarchisten oder Trotzkisten oder Nudisten. Jetzt hält die Schicklichkeit ihren Einzug!«
Ragnhild war, gelinde gesagt,