Sternschnuppen. Gudmund Vindland

Sternschnuppen - Gudmund Vindland


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Und ich war dazu verdammt, in beleidigter Einsamkeit zu schlafen, und wenn er endlich kam und ich nicht wach wurde, wurde er so verschmust und liebevoll, daß ich trotzdem aufwachen mußte, um ihm zu sagen, daß er jetzt mit Warten an der Reihe wäre. Dann endeten wir in der Regel in schöner Vereinigung – aber der Schlaf litt darunter. Es war der erste kleine Schönheitsfehler, den ich in seinem scheinbar grundsoliden Charakter entdeckte, aber ich schrieb alles der Kunst zu. Er war unverbesserlich, aber er war ein guter Maler.

      In einer solchen Nacht versuchte ich, unsere Beziehung nüchtern auf den Punkt zu bringen. Ich sagte: »Du bist wichtig für mich, aber ich bin immer noch der wichtigste Mensch in meinem Leben. So wie du in deinem.«

      »Zement mal! Meinst du, daß das unverrückbar feststeht? Findest du nicht, daß wir uns wenigstens das Ziel setzen sollten, füreinander gleich wichtig zu werden? Daß wir es anstreben sollten, eine Einheit zu werden?«

      »Einheit? Wir sind trotz allem zwei Menschen, und jeder hat seinen Körper und seinen Geist. Wir können eine starke Allianz eingehen, ja – aber wir können nicht zu einer Einheit verschmelzen.«

      »Du hast das Wichtigste vergessen, Yngve. Du hast die Seele vergessen.«

      »Ach, ja. Gut, wir haben auch jeder unsere Seele.«

      »Nein, da irrst du dich glücklicherweise.«

      »Da siehst du’s! Wir werden nie zu einer Einheit!«

      »Vielleicht nicht, aber trotzdem haben wir die Seele gemeinsam.«

      »Wie bitte?«

      »Alle Menschen haben dieselbe Seele, und die ist Gott, wenn du so willst.«

      »Meinst du allen Ernstes, ich teilte meine Seele mit Nixon und Breschnew? Und mit Kåre Willoch? Da gibt’s jedenfalls nicht viel Einheit. Pfui Spinne!«

      »Nein – so etwas läßt sich nicht mit Worten erklären. Ich wünschte, du würdest einmal mit mir meditieren. Dabei versteht man so vieles besser. Hättest du vielleicht Lust dazu?«

      »Ehrlich gesagt, nein. Mir reicht’s auch so schon.«

      »Na gut, ich will nicht nerven. Aber wenn du mal Lust hast, dann sag einfach Bescheid.«

      »Ja. Mach ich. Gute Nacht. Du bist jedenfalls mein Liebster, weißt du.« Sagte ich und lag viel zu lange wach, ehe ich Schlaf fand.

      Aber nun lag ich in der Sonne und hatte seinen Kopf auf meinem Bauch und merkte, daß mir dessen Gewicht überhaupt nichts ausmachte, auch wenn er schwer war. So gehörte es sich schließlich in einer guten Beziehung. Wir müssen einander ertragen können und lernen, im Guten wie im Bösen miteinander zu leben – ob wir nun eine gemeinsame Seele haben oder nicht. Alle haben ihre schlechten Seiten. Ich auch – und nicht zu knapp. Ich ließ die Finger durch seine widerborstige Mähne gleiten und lachte los – heimlich, hatte ich gedacht, aber trotzdem wurde Øystein so heftig durchgeschüttelt wie vorhin auf dem Sprungbrett.

      »He, was ist denn jetzt los? Gehirnmassage?«

      »Ja, die könntest du sicher brauchen. Ich hab mir nur gerade vorgestellt, ich wäre ein entführter Prinz und wäre hier in den Roten Berg verschleppt worden und müßte den Kopf des Trolls in meinem Schoß liegen haben und ihm die Filzläuse ablesen.«

      »Filzläuse? Da bist du aber am falschen Ende. Obwohl, so klingt es viel plausibler – daß diese armen Prinzessinnen den Troll untenrum begrabbeln mußten. Wahrscheinlich haben die Märchensammler das einfach verschönert. ›Rapunzel, laß mich in deinen Schoß‹, das ruft der Prinz nämlich ursprünglich.«

      »Vielleicht hatte die auch Filzläuse?«

      »Ja, kann ja schließlich jedem passieren«, meinte Øystein, drehte sich auf den Bauch und vergrub sein Gesicht in meinem Schoß.

      »Nein, ich will nicht. Nicht hier!«

      »Prinzessin Willnicht?«

      »Wenn du darauf bestehst. Frag Prinzessin Ragnhild dahinten.«

      Ragnhild hob den Kopf und betrachtete uns aus zusammengekniffenen Augen: »Ach, bist du jetzt geil, du Superstier? Dann geh doch rauf und fick den Kühlschrank, und dann kannst gleich ein paar Liter von deinem erregenden Eistee mitbringen. Mich dürstet nach einem kühlen Trunk, nicht nach einem Mannsbild.«

      »Alles klar. Will sonst noch jemand irgendwas?«

      »Ja, bring mir doch ein Schmalzbrot mit – und mein Strickzeug. Ich glaub, das liegt irgendwo im Wohnzimmer.«

      »Jawohl. Inga Lunde im sandgeblasenen Isländer mit Schmalzmuster?«

      »Das ist kein Pullover, das ist eine Mütze.«

      »Eine Mütze? Mittsommernachtsgeschenk für den Schmalzheini?«

      »Jetzt hau schon ab. Ich hab Hunger!«

      »Ja, beeil dich ein bißchen. Du hast doch so einen schönen Gang.«

      Ich zündete mir eine Zigarette an und blickte hinter Øystein her. Ragnhild hatte recht. Er hatte einen schönen Gang – und war gelenkig und schlank und nackt. Aber Nacktheit ist ja eigentlich immer schön – wenn man sich erst daran gewöhnt hat. Jedenfalls in der richtigen Umgebung – und die hatten wir jetzt.

       Villa Wolkenwild

      Der Weg führte vom Strand in weitem Bogen über zwei Steintreppen zum Plateau, auf dem unser Haus lag. Und es war durchaus kein normales Haus. Es war groß und phantasievoll aus weißgestrichenem Holz gebaut und hatte witzige Giebel und haufenweise Balkons. Es war ein richtiges Krähenschloß, und die anderen hatten es Villa Wolkenwild getauft, lange, ehe ich es zum ersten Mal gesehen hatte. Es stand mitten an einem steilen Hang, der aus einem fünf Hektar großen Grundstück zwischen einer Bergkuppe im Norden und Flaskebekken im Süden bestand. Und ganz unten lag unser kleiner Sandstrand mit Steg und Sprungbrett. Das ganze Grundstück war eine Perle. Und nun soll niemand einen falschen Schluß ziehen und das für die Privilegien der Kinder besserer Leute halten, denn wir hatten das Haus ganz normal gemietet. Inga hatte auf viele Hausangebote in Aftenposten geantwortet, und dieses Mal hatte ihre Geschäftigkeit vollen Erfolg bei einem Zahnarztehepaar gehabt, das seine Pflicht in Nordnorwegen abdiente und das nichts gegen kollektive Ideen hatte, solange die für sie Zins und Zinseszins brachten.

      Das Haus war in T-Form gebaut und hatte zwei Etagen. Der Haupteingang lag im Süden, aber wir benutzten nur die Küchentür, weil ich die große Diele besetzt hatte. Die Küche war sehr eng, und deshalb aßen wir im Wohnzimmer, das nun wiederum groß wie ein Saal war und wo Fenstertüren auf den größten der Balkons hinausführten. Von diesem Balkon schaute man nach Westen über den Fjord auf Asker und Baerum. Im Südflügel lag ein noch größeres Wohnzimmer mit Kamin und Doppeltüren, die in meine Diele führten. Im Norden befand sich ein Erker, in dem wir die Glotze untergebracht hatten, und daneben lagen Ragnhilds Gemächer mit Klo und Dusche. Im ersten Stock lag das große Badezimmer neben Ingas und Kyrres Schlafzimmer, Arbeitszimmer und Balkon. Und dann gab es noch einen riesigen Dachboden über dem ganzen Südflügel, den Øystein sich als Atelier eingerichtet hatte. Es sah eher wie ein Hippienest aus und nicht wie der Arbeitsplatz eines malochenden kommunistischen Künstlers – was übrigens für das ganze Haus galt. Kaum etwas an Villa Wolkenwild verriet, daß sich hier die Speerspitze des Proletariats verbarg – abgesehen natürlich von den Plakaten und dem riesigen gemeinsamen Bücherregal, das von Hunderten von Taschenbüchern über Kommunismus und Sozialismus und Frauenbewegung und so weiter dominiert wurde. Ansonsten war das Haus mit sicherem Geschmack modern und praktisch eingerichtet – hoch über Ikea-Standard. Es gab sogar eine Spülmaschine in der Küche, und sie machte einen Lärm wie ein Traktor. Nicht einmal Kyrre war so prinzipientreu, daß er etwas dagegen hatte, geräumig und angenehm zu wohnen – was übrigens nur ich genug zu schätzen wußte. Niemand von den anderen ahnte, was es heißt, in einem Zimmer von zwölf Quadratmetern aufzuwachsen, das zur Hälfte einem unordentlichen älteren Bruder gehört. Also fühlte ich mich sauwohl in den riesigen Zimmern mit ihren hohen Decken, in denen ich dreizehn Meter in eine Richtung gehen konnte, ohne aus dem dritten Stock zu fallen.


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