Sternschnuppen. Gudmund Vindland

Sternschnuppen - Gudmund Vindland


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Segen gab: »Jaja. Wenn ihr das unbedingt so wollt, dann muß ich mich wohl damit abfinden. Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, dann muß ich zugeben, daß sich das ganz schön ... spannend anhört! Ich hatte einmal einen Klassenkameraden, mit dem ich ... einige Male übernachtet habe, aber ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, damit weiterzumachen, auch wenn ... Aber dann habe ich ja Rita kennengelernt, und damit war mein grausames Schicksal besiegelt. Also, Prost, auf euch beide! Willkommen bei uns, Yngve. – Ach, Rita? Du hast doch sicher noch zwei Flaschen Rotwein versteckt, was? Das müssen wir feiern.«

      Øystein war der einzige in unserer WG, der engen und offenen Kontakt zu seinen Eltern halten konnte. Ich versuchte das auch mit meinen, aber wir entfernten uns immer weiter voneinander. Meinem Vater paßte es absolut nicht, daß ich mit »Kindern aus besserem Haus« zusammengezogen war, wie er das nannte, und daß ich in einer ML-WG wohnte, fand er noch viel schlimmer. Der solide Arbeiter verabscheute beides. Magne war anderer Ansicht: »Alles, was sich bewegt, ist gut – solange es links geschieht«, war eine Aussage, die seine Toleranzgrenzen so ungefähr umriß. Er haßte alles, was rechts von der Mitte angesiedelt war – und die Mitte lag für ihn mitten in der Sozialdemokratie. Ich mußte Magne und Rita einfach mögen.

      Øystein war von dieser Szene geprägt und hatte von beiden Eltern etwas. Er hatte Aussehen und Gemüt seiner Mutter, aber auch viel von der künstlerischen Ader seines Vaters. Er hatte sich für Zeichnen und Malen entschieden und steckte voller bedächtiger und wohlüberlegter Einfälle, so seltsam sich das vielleicht anhört. Er hatte eine langsam expandierende Phantasie, die unaufhörlich unter seiner glänzend schwarzen Mähne arbeitete. Außerdem war er von seinem Talent überzeugt; darin hatte er Ritas gesunde Sicherheit geerbt. Während des ganzen Frühlings hatte er Ragnhild und mich in ziemlich vielen Varianten gezeichnet, und jetzt war er gerade an der Staatlichen Handwerks- und Kunstschule angenommen worden. Das hieß, daß er im Herbst seinen proletarischen Gesellschaftseinsatz bei der Straßenbahn aufgeben konnte – worüber er erleichterter war, als er zugeben mochte. Seine Selbstproletarisierung während des letzten Jahres hatte ihm außer Geld auf dem Konto nur wenig gebracht. In dieser Hinsicht war er eher theoretisch als praktisch veranlagt.

      Außerdem hatte ihm Rita eine christliche Grundhaltung vererbt – was mich überraschte, als er es mir erzählte. Früher hatte ich die Begriffe »christlicher Sozialist« und »christlicher Homosexueller« als zwei äußerst lächerliche Etiketten betrachtet, die sich höchstens schizophrene Individuen in der mißverstandenen Zwangsvorstellung, daß man einfach alles mitnehmen muß, ankleben konnten. Aber Øystein war alles andere als verwirrt. Er schien körperlich und geistig kerngesund zu sein. Es war ein Mysterium, mit dem ich mich bis auf weiteres abfinden konnte. Ich war ausreichend damit beschäftigt, mit meiner materialistischen Neuorientierung auf der Welt fertig zu werden – und es machte mir auch nichts aus, daß er an Gott glaubte. Außerdem war er kein herkömmlicher Betbruder. Er meditierte jeden Tag eine halbe Stunde, und der WG war es recht. In dieser Hinsicht genossen wir große persönliche Freiheit – solange sie nicht mit unseren gemeinsamen Interessen kollidierte – und waren alles andere als ein marxistisch-leninistischer Musterbetrieb.

      Øysteins väterliches Erbe dagegen war komplizierter, als es zunächst den Anschein hatte. Er hatte nämlich einen Großvater namens Kristoffer Gyldenhorn, und der lebte unbescheiden zurückgezogen im avanciertesten elektrischen Rollstuhl, der für Geld zu haben war, und von dort aus lenkte er sein Finanzimperium mit harter und sicherer Hand. Innerhalb der Familie hieß er nur »der Alte« und dominierte durch seine bloße Existenz. Er schien sie alle zusammen mit unsichtbaren Ketten an sich gefesselt zu haben, und ich ahnte ja nicht, welche Bedeutung dieser alternde Magnat für meine eigene Zukunft haben würde.

      Der alte Gyldenhorn war, wie auch Hermann Farmandsen, von der alttestamentarischen Schule. Er hatte seinen Erstgeborenen nach dem großen Kaiser Carl Magne getauft und sein solides und weitverzweigtes Finanzkonsortium mit dem Ziel aufgebaut, daß sein Sohn es übernehmen und zu einem multinationalen Imperium erweitern würde. Und dann wollte der Sohn nicht! Dieser undankbare Waschlappen hatte Aufstand und Salto mortale gemacht und sein Leben der Musik gewidmet. Der Musik! Der Alte hatte gefleht und gedroht, aber das half alles nichts – und zum Schluß blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Drohungen wahrzumachen. Der verworfene junge Mann war ohne fünf Öre für Studien oder Lebensunterhalt in die Finsternis des Vergessens gestoßen worden. Aber dank der vielen demoralisierenden Stipendien, die diese widerwärtigen Sozialisten nach dem Krieg eingeführt hatten, um mittellose Studenten zu bestechen, hatte er es trotzdem geschafft. Und dann hatte er auch noch eine Frau gefunden, die viel zu gut für ihn war und die arbeitete und sie beide unterhielt. Eine Schande war das! Worauf dieser undankbare Verräter mit einem einzigen Federstrich das Gyldene in seinem stolzen Familiennamen getilgt und ihn noch vor seiner Hochzeit in »Einhorn« abgeändert hatte – wodurch er seiner Frau und seiner künftigen Nachkommenschaft die offenbare Verwandtschaft mit ihm, Kristoffer Gyldenhorn, raubte – ja! Nein, es war unverzeihlich! Und als Rita diesen ersten Sohn geboren und der Alte für sie ein Haus gekauft hatte, war sie so schamlos gewesen, dieses Geschenk anzunehmen. Glücklicherweise. Und sie hatte auch Carl Magne überreden können, dort zu wohnen. Gott sei Lob und Dank! So hatten sie ein Dach über dem Kopf – und auf dem Dach lag seine Hand. Gut.

      Die Tatsache, daß Magne Einhorn sich langsam einen Namen als Komponist machte, ignorierte der Alte einfach. Es kam nie zu einer Versöhnung zwischen Vater und Sohn. Wenn es in Norwegen möglich wäre, seine Kinder ganz und gar zu enterben, dann hätte Magne nicht einmal einen Manschettenknopf bekommen.

      Von den vier Enkelkindern war Øystein Kristoffer Gyldenhorns persönlicher Augenstern. Zur Konfirmation hatte er zehn Aktien der Norwegischen Creditbank bekommen, und seitdem noch viel mehr – zum Geburtstag und zu Weihnachten – so daß er jetzt Aktien zum Verkaufswert von einigen hunderttausend Kronen besaß. Die einzige Klausel, die der Alte bei diesen Geschenken festgesetzt hatte, war, daß sie in der Familie bleiben sollten. Wenn Øystein sie verkaufen wollte, dann mußte er sie an ihn verkaufen. Auf diese Weise gab der alte Gyldenhorn sich alle Mühe, seinen Enkelkindern die wunderbare Welt des Kapitalismus zu erschließen. Leider fiel seine Saat jedoch auf steinigen Boden – zumindest bei Øystein. Der nahm die Aktien an, weil er den Alten nicht kränken wollte, hatte jedoch durchaus nicht vor, dieses Geld jemals zu benutzen. Er hatte überhaupt ein rührendes Verhältnis zu dem ergrauenden Despoten. An jedem Donnerstag machte er einen Besuch auf Vettakollen, wo er aß und sich alle Mühe gab, ein wenig Licht und Freude ins Leben des Alten zu bringen. Ich war im Grunde ziemlich neugierig auf diese Graue Eminenz, und es sollte auch nicht mehr lange dauern, bis ich ihn aus nächster Nähe erleben konnte.

      Das Allerbeste an Øystein Einhorn war, daß er mich liebte. Seit ich meine Füße in dieses Haus gesetzt hatte, hatte er sich um mich gekümmert und sich auf seine bedächtige, liebevolle Weise meiner angenommen. Ich hatte keinen Zweifel an seinen ernsten Absichten. Er hatte sich für mich entschieden, und deshalb engagierte er sich voll und ganz in unserer Beziehung. Inzwischen machte ich das auch, auch wenn es manchmal schwierig war. Seine andauernde Aufmerksamkeit konnte durchaus zur Plage werden, vor allem, wenn ich sie nicht entsprechend erwidern konnte. Dann schienen unsichtbare Zügel angezogen zu werden – die ich konsequent wieder ausdehnte. Unfreiwillige Verkettungen waren das letzte, was ich brauchte, und Øystein schien meinen Unabhängigkeitsdrang zu verstehen – fürs erste jedenfalls. Ich glaube, ihm war klar, daß ich keine traditionelle Ehe wollte, auch wenn ich mich auf eine feste Zweierbeziehung einlassen und soviel wie möglich von mir selber mit ihm teilen wollte – aber nicht alles. Ebenso, wie ich nicht mehr von ihm verlangen wollte, als er geben konnte. Aber Øystein hatte Probleme mit solchen Grenzziehungen. Er hatte übrigens kürzlich erst ein großes Porträt von mir beendet, das diese Problematik sehr gut zum Ausdruck brachte. Auf dem Bild setze ich mein rechtes Bein in ein schönes Messingbett und strecke den rechten Arm aus, als ob ich »Komm« sagen wollte. Statt dessen sage ich ganz deutlich ohne Sprechblase: »Wenn du jetzt nicht kommst, dann gehe ich eben schlafen.«

      Die Veränderungen in meinem Ausdruck hatten sich während der Wochen, in denen er das Bild gemalt hatte, schrittweise ergeben. Ich stand jeden Abend vor dem Schlafengehen eine halbe Stunde Modell, und während dieser Zeit entpuppte Øystein sich als unverbesserliche Nachteule. Nach der halben Stunde war er so vertieft in seine Kunstausübung, daß er nicht einmal antwortete,


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