Sternschnuppen. Gudmund Vindland

Sternschnuppen - Gudmund Vindland


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du. Ich verstehe das gut. Es ist doch kein Wunder, daß du gedacht hast, das wäre in Ordnung. Und jetzt macht es doch nichts mehr.«

      Ich entdeckte zu meiner großen Freude, daß ich mich nicht mehr anhörte wie ein Kinderfunkonkel. Der Junge betrachtete mich durch seine Finger und sagte: »Ihr schmust – ich nicht!« und dann piepste er weiter. Ich setzte mich auf einen Stein und hätte am liebsten mit ihm zusammen geweint. Wie sollte ich sein Vertrauen erwecken, ohne allzu sehr in diese Geschichte hineinzugeraten? Denn ich wollte mit diesem Fall nichts zu tun haben. Meine Aufgabe und meine Verantwortung waren lediglich, ihn zu verbinden und nach Hause zu schaffen. Ich wollte mir kein lahmes Entlein aufhalsen, weil ich wußte, daß mich das binden würde. Ich mußte mich hart machen.

      »Hast du denn keine anderen zum Schmusen, Børre?«

      »Nein. Sagen Pfui, und ich krieg einen Klaps.«

      »Ja, aber was willst du denn eigentlich?«

      »Schmuuuuusen!« Ein gequältes Piepsen.

      »Børre! Jetzt ist Øystein unterwegs und holt Pflaster und Salbe und so was. Wenn er zurückkommt, dann waschen wir dich und machen dich wieder richtig fein. Das ist doch fast wie Schmusen, meinst du nicht?«

      Überraschenderweise schniefte Børre und nickte energisch.

      Er gehorchte wie ein guttrainierter Musterpatient, während Øystein und ich ihn wuschen und verbanden. Als ich sein Gesicht wusch, lächelte er wieder und sagte: »Schmuuuus!« Ich setzte ihm einen kleinen Schmatz auf die Wange – worauf seine Latte sich gleich wieder hob. Darum kümmerte Øystein sich und sagte: »Du, Børre? Weißt du, daß wir dich anfassen und so, bedeutet nicht, daß wir Lust haben, irgendwas sexuell mit dir zu tun zu haben, weißt du. Das dürften wir auch gar nicht, selbst wenn wir Lust hätten. Jetzt kriegst du noch Pflaster auf die Knie – mach mal das Bein gerade –, und dann ziehst du dich wieder an, ja?«

      Øystein war absolut kein Kinderfunk. Er war eher Volkshochschule. Børre beugte sich mit widerstrebendem Nicken der Autorität, und dann zog er mit unserer Hilfe Badehose und Shorts an.

      »Und jetzt noch die Schuhe, und dann bringen wir dich nach Hause zu deinen Großeltern, ja?« sagte ich.

      »Neeeein«, widersprach Børre. »Selber gehen.«

      »Aber wir bringen dich gern hin. Ich möchte sehen, wo du wohnst, und ich würde auch gerne deinen Großeltern guten Tag sagen und so.«

      »Nein, schaff ich selber. Wiedersehn!« sagte Børre und stürzte davon. Oben auf dem Felsen drehte er sich um und rief: »Ihr seid lieb!« Wir ließen ihn laufen, sahen uns an und atmeten auf.

      »Wir haben wahrscheinlich noch mehr Grund, froh zu sein, als uns klar ist«, sagte Øystein. Ich nahm seine Hand, und dann schlenderten wir zu unserem eigenen Steg zurück.

      Am nächsten Morgen mußten alle anderen in die Stadt, und deshalb hatte ich am Vormittag den Strand für mich. Das Wetter hatte sich definitiv zu einem anhaltenden Hochdruck stabilisiert, und ich beschloß, mit gutem Gewissen faul zu sein. Also machte ich es mir unten am Steg mit allem gemütlich, was das Herz an Eistee, Lektüre und Mozarts Klavierkonzerten begehrte, legte mich nach einer langen Runde Schwimmen in die Sonne und ließ mich wärmen.

      Ich zuckte schrecklich zusammen, als sich plötzlich ein Mensch über mich beugte. Im scharfen Sonnenlicht war ich fast blind, und im folgenden Angstanfall konnte ich nicht atmen. Dann aber sagte die Person: »Hallo! Mach Besuch bei dir.«

      Als ich begriff, daß es Børre war, stieß ich ein erleichtertes Keuchen aus, dem sofort akute Gereiztheit folgte.

      »Was willst du denn jetzt schon wieder? Du willst ja wohl nicht jeden Tag zu Besuch kommen? Und du darfst dich nicht so anschleichen wie eben – du hast mir ja einen Todesschrecken eingejagt! Das ist gefährlich, verstehst du?«

      »Nicht gefährlich. Børre ist lieb.«

      Er setzte sich neben mich und nickte so überzeugend, daß ich es einfach nicht über mich brachte, ihn abzuweisen.

      »Ja, ja. Aber wenn du hier sein willst, dann darfst du nicht zuviel quatschen. Ich will meine Ruhe haben und es mir in der Sonne gemütlich machen.«

      »Schmuuuusen?«

      »O nein! Kein Schmusen. Geh und spring in den Fjord, das kühlt dich ein bißchen ab. Das Wasser ist herrlich.«

      Er nickte energisch und zog sich im Nu aus – und tatsächlich prunkte er auch heute wieder mit seiner Latte. Und genau das gefiel mir überhaupt nicht. Er mußte ja schließlich als Kind betrachtet werden, und ich finde nun wirklich, daß Kinder mit ihrer Sexualität in Ruhe gelassen werden sollen.

      »Zeig mal, ob du dich traust zu springen. Nimm Anlauf und rein mit dir!«

      Er warf mir ein strahlendes Lächeln zu, als er ungefähr wie Inga losrannte und mit einem Riesensprung im Wasser landete. Mir fiel ein, daß ich überhaupt nicht wußte, ob er schwimmen konnte, aber dann sah ich ihn mit kräftigen Zügen davonkraulen. Im nassen Element war er jedenfalls nicht beschränkt. Ich versuchte, die Situation abzuschätzen. Natürlich konnte ich ihn verjagen und ihm das Wiederkommen verbieten, aber das wäre einfach herzlos. Er brauchte doch nicht unbedingt eine Plage zu sein, wenn wir lernten, ihn richtig zu behandeln. Er tat ja immer, was man ihm auftrug. Ich mußte ihm eben zu verstehen geben, daß bei uns von »Schmus« nicht die Rede sein konnte, dann würde er vielleicht von selber verschwinden. Ich legte Mozarts Klavierkonzert Nummer vierundzwanzig in c-Moll ein – das gehört zum Schönsten, das ich mir vorstellen kann – und legte mich bequem auf den Bauch. Ich wollte mich jedenfalls von einem zudringlichen Bengel nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen.

      Kurz vor Ende des zweiten Satzes kam er aus dem Wasser – und, Gott soll mich schützen, er hatte immer noch einen stehen. Die Großeltern hatten wohl vergessen, ihn mit Salpeter zu füttern, was sie in Pflegeheimen ins Essen mischen, um die Potenz der glücklich Unwissenden zu verringern. Ich wußte, daß das üblich war, und deshalb hielt ich seine Erektion für eine natürliche Reaktion, die ich ihm gönnen mußte. Also lächelte ich und reichte ihm das Handtuch. Er bedankte sich und trocknete sich Haare und Schritt – und dann holte er sich vor meinen Augen einen runter. Das war gelinde gesagt verwirrend. Es war sogar entsetzlich aufregend – nicht nur, weil er sexy und gutgebaut war, wie es in Kontaktanzeigen heißt. Aber ich durfte jetzt nicht die Kontrolle verlieren und mich mit diesem großen Kind einlassen. Reiß dich zusammen, Yngve! Sieh in eine andere Richtung ...

      »Du auch! Schmuuusen!« sagte er plötzlich. Er hatte wohl mitbekommen, daß ich ein immer mehr zum Bersten bereites Geheimnis ausbrütete.

      »Nein, bleib weg. Das mußt du schon allein schaffen.«

      Da erschien in seinem Gesicht ein nahezu triumphierendes Lächeln, das ganz deutlich sagte, daß er mich durchschaute und genau wußte, was von mir zu halten war. Und er tat etwas, das ziemlich ernste Folgen haben sollte. Er nahm die Sonnencremetube, gab sich eine große Portion auf die rechte Hand, kniete sich hin und schmierte sich von hinten ein, glatt und routiniert mit zwei Fingern im Enddarm. Mein Gehirn war so blockiert, daß es sich weigerte zu begreifen, was er da machte. Aber dann legte er sich mit gespreizten Beinen auf den Bauch und sagte mit seinem entzückten Lächeln: »Jetzt kannst du schmuuusen. Ficken!«

      In diesem Moment schien etwas in mir zu platzen, und nachher begriff ich, daß es Über-Yngve gewesen war, der die Kontrolle verloren hatte. Daß er, den ich als eine Art infantiles und unterentwickeltes Wesen betrachtete, dort lag und sich anbot, machte mich wahnsinnig geil. Es weckte in mir etwas Uraltes und Unwiderstehliches, von dessen Existenz ich bisher nichts gewußt hatte. Es war der Alte Adam, dessen sabberndes Grinsen zum ersten Mal in meinem Bewußtsein auftauchte. Daß Børre mich aufforderte, mit ihm zu machen, was ich wollte, verschaffte mir die bohrende Lust, in einem wütenden Egotrip über ihn herzufallen. Er machte sich zu meinem Sklaven – und deshalb mußte ich sein Herr werden. Ich versank hilflos in einem Abgrund tierischer Lust, ihn zu ficken, und kniete schon neben ihm, als Über-Yngve es schaffte, mir die große und grundlegende Frage einzuhämmern, die mich wieder in die Wirklichkeit riß: Wo hat er das gelernt? Wer hat ihn bisher


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