Ein unerwartetes Geständnis. Christa Wagner

Ein unerwartetes Geständnis - Christa Wagner


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»Na, Bärbelchen, du willst doch bestimmt nicht allein heimgehen, in der großen, fremden Stadt. Der liebe Fritz wird dich begleiten.« Dabei stellte er sich so dicht neben mich, dass der Geruch seiner Haarcreme mir in die Nase stieg.

      Unsere Kollegin Evi, die hinter ihm stand und alles mitanhörte, runzelte die Stirn.

      Ich wich ein paar Schritte zurück. Dann sprach ich extra laut, dass Evi es mühelos mithören konnte: »Danke, Fritz, aber ich bin schon dem Kindergarten entwachsen und kann allein laufen. Gute Nacht!«

      Fritz verzog das Gesicht. »Ganz wie du willst, mein Vögelchen, war ja nur ein gut gemeintes Angebot.«

      Evi nickte mir hinter seinem Rücken zu und grinste.

      Tante Alice saß im Nachthemd in der Küche, als ich nach Hause kam. Ich setzte mich zu ihr und erzählte ihr, mit Ausnahme meiner Eindrücke von Fritz, alles von meinem ersten Tag.

      Sie war erleichtert, dass es mir so gut gefiel, und nahm mich in den Arm, bevor sie mir eine gute Nacht wünschte.

      Ich würde sie wochentags kaum sehen, denn wenn sie heimkam, war ich bereits zur Arbeit weg. Samstags hatte sie frei und wollte sich mit Fritz treffen.

      Aber am Sonntag hatten wir beide Zeit und wollten etwas gemeinsam unternehmen. Ich freute mich darauf, auch weil ich wusste, dass Fritz dann Dienst hatte und ich mit Alice allein sein würde.

      Die Woche verging wie im Fluge. Tagsüber schaute ich mir nicht nur die Geschäfte an, sondern auch einige Sehenswürdigkeiten, die ich bisher nur im Vorbeifahren erblickt hatte. Mit dem Stadtführer von Tante Alice in der Hand nahm ich die Gelegenheit wahr, die Stadt gründlicher kennenzulernen und auch weniger Bekanntes wahrzunehmen.

      Meine Arbeit in der Weinstube war zwar körperlich anstrengend, aber es machte mir Freude, dort zu bedienen. Ich wurde gelassener und selbstbewusster. Schon nach einer Woche durfte ich sogar kassieren.

      Zu den Kollegen fand ich guten Kontakt, wir lachten viel, und Fritz, der ach so Wichtige, konnte mir mit seinen anzüglichen Reden die Freude nicht trüben.

       5

      Am Sonntag wanderten Tante Alice und ich nach einem ausgiebigen Frühstück hinauf zur Festung Marienberg, die mächtig über der Stadt thronte. Wir erzählten uns gegenseitig von den Erlebnissen der Woche. Von Fritz sagte ich wieder nichts. Alice musste es aufgefallen sein, denn sie fragte diesmal nach: »Und, ist mit Fritz alles klar?«

      »Sicher, es hat ja jeder seine abgegrenzten Aufgaben, und wir kommen uns nicht in die Quere.« Ich lachte zur Auflockerung.

      Bestimmt hatten Fritz und sie gestern über mich gesprochen. Meine Tante war neugierig, und ihr Freund redselig. Ich hätte Mäuschen sein mögen.

      Auf den steilen Stufen hinauf zur Festung kamen wir ins Schnaufen. Alice blieb stehen, zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Fritz ist dir nicht sympathisch, das spüre ich. Immer, wenn er neuen Leuten begegnet, will er Eindruck machen und redet zu viel. Du darfst ihm das nicht übelnehmen, Bärbel, denn im Grunde ist er ein feiner Kerl.« Sie lächelte etwas unsicher zu mir herüber.

      Ich nickte und versicherte ihr, dass es zwischen Fritz und mir keine Probleme gebe.

      Damit war das Thema erledigt, und sie erzählte befreit vom gestrigen Abend mit Fritz im Kino und anschließend bei ihr zu Hause. War Fritz noch da gewesen, als ich von der Arbeit nach Hause kam? Ich hatte ihn weder gehört noch gesehen, aber ich war ja müde gewesen und sofort eingeschlafen. Der Gedanke jedoch, ihm vielleicht einmal in Zukunft beim Gang zur Toilette im dunklen Flur begegnen zu können, beunruhigte mich.

      Von der Festung bot sich ein herrlicher Blick auf die Stadt, die Umgebung und den Main direkt unter uns. Ich konnte mich kaum sattsehen, und meine Tante erklärte mir, wo was lag und wohin wir an unseren gemeinsamen freien Tagen noch hinwandern könnten.

      Alice hatte keine Lust, das Mainfränkische Museum in der Burg zu besuchen, auf das ich mich eigentlich gefreut hatte. Sie wollte lieber an der Alten Mainbrücke einen Schoppen auf einer Terrasse in der Sonne trinken, einen Erholungsschlaf halten und den restlichen Tag zu Hause vergammeln.

      Ich bekundete Zustimmung, nahm mir jedoch vor, später einmal allein in dieses Museum zu gehen. Im Stadtführer war von herausragenden Kunstwerken die Rede, die ich mir auf keinen Fall entgehen lassen wollte.

      Mit meinen Eltern hatten wir vereinbart, dass sie mich an den Wochenenden, an denen ich nicht zu ihnen ins Dorf heimkam, zu einer bestimmten Zeit sonntags anrufen konnten. Meine Tante hatte bereits Telefon, die Eltern jedoch noch nicht, und so musste Mutter, um mit mir reden zu können, zum öffentlichen Fernsprechhäuschen gehen.

      Mutter war pünktlich. Als das Telefon läutete, nahm Alice ab und reichte mir nach ein paar Höflichkeitsfloskeln den Hörer. Mutters Stimme klang ungewohnt, ich hatte sie noch nie am Telefon sprechen hören. Sie redete lauter als sonst, hatte wohl Angst, von mir auf diese große Entfernung nicht verstanden zu werden. Wir versicherten einander in wenigen Sätzen, dass es uns gutginge. Von der Arbeit schwärmte ich ihr regelrecht vor. Mit dem Versprechen, nächstes Wochenende zu Hause ausführlich zu erzählen, beendeten wir das knappe Gespräch. Telefonieren war schließlich teuer. Und meine Mutter war es gewohnt, jeden Pfennig umzudrehen.

      Die nächsten Wochen in Würzburg waren unbeschwert, auch der Besuch zu Hause gestaltete sich harmonisch.

      Ich hatte das Gefühl, jetzt im Spätherbst kamen die Eltern ganz gut ohne mich klar. Jedenfalls schmierten sie mir nicht aufs Butterbrot, was für ein Opfer es sei, auf meine Arbeitskraft einige Monate verzichten zu müssen.

      Erwartungsfroh fuhr ich wieder nach Würzburg zurück.

      Aber in der darauffolgenden Woche geschah etwas, meine liebe Simone, das mich völlig aus dem Gleichgewicht brachte.

      Das Gesicht von Mutter Bärbel umspielte ein geheimnisvolles Lächeln.

       6

      Eines Abends, es muss Ende Oktober 1966 gewesen sein, grinste Fritz mich, kurz bevor wir das Lokal aufsperrten, wieder einmal schmierig an.

      »Heut’ haben Amis einen deiner Tische reserviert. Zehn Personen. Glück für dich. Wenn so ein blondes, fesches Fräulein ihnen schöne Augen macht, sprudelt das Trinkgeld. Davon kann unsereins nur träumen.«

      »Ich mache niemandem schöne Augen, damit du es weißt! Und jetzt lass mich in Ruhe!«

      »Mir kannst du nichts weismachen. Ich kenn mich mit Frauen aus.« Sein schepperndes Lachen folgte mir wie eine Schleppe durch den Raum.

      Ich war froh, als die ersten Gäste hereindrängten und ich gut zu tun hatte. Für mich war es das Natürlichste der Welt, nett und freundlich zu sein. Das hatte nichts mit Anbiederung zu tun. Ich konnte gar nicht anders. Klar machte sich das auch beim Trinkgeld bemerkbar. Jeder konnte nach der Abrechnung seinen Teil selbst behalten. Wir verglichen nie direkt, aber ich war mir sicher, dass meines als angelernte Kraft den Vergleich zu manch ausgebildetem Kellner, wie zum Beispiel Fritz, nicht zu scheuen brauchte. Das gab mir eine gewisse Genugtuung.

      Laut plaudernd kamen jetzt die Amerikaner herein und nahmen Platz.

      Aufgeregt brachte ich ihnen die Karten. »Hello! Sorry, I … no English!«

      Zu meinem Bedauern hatten wir es in der Volksschule nicht gelernt. Ich kam mir vor wie ein Dorftrampel.

      Gott sei Dank waren es freundliche junge Männer, auch zwei Farbige waren dabei. Als ob er etwas von meiner Unsicherheit ahnen würde, lächelte mich einer der Dunkelhäutigen an und sagte: »Guten Abend, Fräulein. Mein Name ist Simon. Ich kann etwas Deutsch sprechen.«

      Sein Akzent war unverkennbar amerikanisch, die Stimme klang wunderbar weich.

      Erleichtert


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