Die Eroberung von Plassans. Emile Zola
machte eine ärgerliche Handbewegung. Er erwartete seinen Mieter wirklich erst frühestens übermorgen. Er erhob sich rasch, als Abbé Faujas an der Tür im Hausflur erschien. Es war ein großer und kräftiger Mann, ein vierschrötiges Gesicht mit breiten Zügen, erdiger Hautfarbe. Hinter ihm, in seinem Schatten, hielt sich eine alte Frau, die kleiner war, derber aussah und ihm erstaunlich ähnelte. Beim Anblick des gedeckten Tisches stutzten beide, sie traten taktvoll einen Schritt zurück, ohne sich zurückzuziehen. Die hohe schwarze Gestalt des Priesters bildete einen Fleck Trauer auf der Heiterkeit der weißgetünchten Wand.
„Wir bitten um Entschuldigung, daß wir Sie stören“, sagte er zu Mouret. „Wir kommen von Herrn Abbé Bourrette, er hat Sie wohl benachrichtigt . . .“
„Aber keineswegs!“ rief Mouret. „Der Abbé macht es nie anders; er sieht immer so aus, als ob er aus dem Paradies herabsteigt . . . Noch heute morgen, mein Herr, versicherte er mir, daß Sie nicht vor zwei Tagen hiersein würden . . . Kurzum, man wird Sie trotzdem unterbringen müssen.“
Abbé Faujas entschuldigte sich. Er hatte eine tiefe Stimme mit großer Sanftheit im Tonfall der Sätze. Er war wirklich untröstlich, in einem solchen Augenblick einzutreffen. Als er sein Bedauern ohne Geschwätz, in zehn deutlich gewählten Worten ausgedrückt hatte, wandte er sich um, um den Dienstmann zu bezahlen, der seinen Koffer hergetragen hatte. Seine großen, wohlgeformten Hände zogen aus einer Falte seiner Soutane eine Börse hervor, von der man lediglich die Stahlringe gewahrte; er suchte einen Augenblick darin herum, wobei er gesenkten Kopfes mit den Fingerspitzen sorgfältig herumtastete.
Dann ging der Dienstmann davon, ohne daß man das Geldstück gesehen hätte.
Der Abbé begann von neuem mit seiner höflichen Stimme: „Ich bitte Sie, mein Herr, setzen Sie sich wieder zu Tisch . . . Ihre Wirtschafterin wird uns die Wohnung zeigen. Sie wird mir helfen, dies hier hinaufzuschaffen.“ Er bückte sich schon, um einen Koffergriff zu fassen. Es war ein kleiner, durch Ecken und Bänder aus Blech gesicherter Holzkoffer; an einer Seite schien er mit Hilfe eines Spannriegels aus Fichtenholz ausgebessert worden zu sein.
Mouret blieb überrascht stehen und suchte mit den Augen die anderen Gepäckstücke des Priesters; aber er gewahrte nur einen großen Korb, den die betagte Dame mit beiden Händen vor ihren Röcken hielt, trotz der Müdigkeit eigensinnig darauf bestehend, ihn nicht auf die Erde zu stellen. Unter dem ein wenig hochgehobenen Deckel guckte zwischen Wäschebündeln die Ecke eines in Papier eingewickelten Kammes und der Hals einer schlecht verkorkten Literflasche hervor.
„Nein, nein, lassen Sie das“, sagte Mouret und stieß mit dem Fuß leicht gegen den Koffer. „Er dürfte nicht schwer sein. Rose wird ihn gut allein hinaufbringen.“ Er war sich zweifellos nicht der geheimen Geringschätzung bewußt, die in seinen Worten durchbrach.
Die betagte Dame starrte ihn mit ihren schwarzen Augen an; dann kam sie zurück in das Wohnzimmer, an den gedeckten Tisch, den sie musterte, seit sie da war. Mit zusammengekniffenen Lippen ließ sie den Blick von einem Gegenstand zum anderen schweifen. Sie hatte nicht ein Wort gesprochen.
Indessen willigte Abbé Faujas ein, seinen Koffer stehenzulassen. Im gelben Sonnenstaub, der durch die Gartentür hereinkam, wirkte seine fadenscheinige Soutane ganz rot; an den Säumen war sie mit Ausbesserungen geradezu bestickt; sie war sehr sauber, aber so dünn, so jämmerlich, daß Marthe, die bis dahin mit einer Art unruhiger Zurückhaltung sitzen geblieben war, nun ebenfalls aufstand. Der Abbé, der nur einen raschen Blick auf sie geworfen und sich sogleich abgewandt hatte, sah sie ihren Stuhl verlassen, obwohl er sie keineswegs zu betrachten schien.
„Ich bitte Sie“, wiederholte er, „bemühen Sie sich nicht; wir wären untröstlich, Ihr Abendessen zu stören.“
„Nun ja, ganz recht!“ sagte Mouret, der Hunger hatte. „Rose wird Sie führen. Fragen Sie sie nach allem, was Sie brauchen . . . Richten Sie sich ein, richten Sie sich nach Belieben ein.“
Abbé Faujas wandte sich, nachdem er gegrüßt hatte, bereits zur Treppe, als Marthe an ihren Mann herantrat und flüsterte: „Aber, mein Freund, denkst du nicht an . . .“ „An was denn?“ fragte er, als er sah, daß sie zögerte.
„An das Obst, du weißt doch.“
„Ah, zum Teufel! Das stimmt, da ist ja das Obst“, sagte er bestürzt. Und da Abbé Faujas zurückkam und ihn fragend ansah, begann er von neuem: „Es verdrießt mich wirklich sehr, mein Herr. Pater Bourrette ist sicherlich ein ehrenwerter Mann, nur ist es ärgerlich, daß Sie ihn mit Ihrer Angelegenheit beauftragt haben . . . Er hat nicht für zwei Heller Verstand . . . Wenn wir Bescheid gewußt hätten, würden wir alles vorbereitet haben, statt daß wir jetzt einen Umzug bewerkstelligen müssen . . . Sie verstehen, wir benutzten die Zimmer. Da oben liegt auf dem Fußboden unsere gesamte Obsternte, Feigen Äpfel, Rosinen . . .“
Der Priester hörte ihm mit einer Überraschung zu, die seine große Höflichkeit nicht mehr zu verbergen vermochte.
„Oh, aber das dauert nicht lange“, fuhr Mouret fort. „In zehn Minuten, wenn Sie sich die Mühe nehmen wollen zu warten, wird Rose Ihre Zimmer in Ordnung bringen.“
Eine lebhafte Unruhe auf dem erdfarbenen Gesicht des Priesters nahm zu.
„Die Wohnung ist möbliert, nicht wahr?“ fragte er. „Keineswegs, es steht nicht ein Möbelstück drin; wir haben sie nie bewohnt.“
Nun verlor der Priester seine Ruhe; ein Schimmer trat in seine grauen Augen. Er rief mit zurückgehaltener Heftigkeit:
„Wie! Aber ich hatte in meinem Brief ausdrücklich darum ersucht, eine möblierte Wohnung zu mieten. Ich konnte in meinem Koffer wahrhaftig keine Möbel unterbringen.“
„Na, was habe ich gesagt?“ rief Mouret lauter. „Dieser Bourrette ist unglaublich . . . Er ist gekommen, mein Herr, und er hat die Äpfel bestimmt gesehen, denn er hat selber einen in die Hand genommen und dabei erklärt, daß er selten einen so schönen Apfel bewundert habe. Er hat gesagt, daß ihm alles sehr gut erscheine, daß es das sei, was er brauche, und daß er mieten wolle.“
Abbé Faujas hörte nicht mehr hin; eine Zorneswoge war in seine Wangen gestiegen. Er wandte sich um und stammelte mit ängstlicher Stimme:
„Mutter, hören Sie? Es sind keine Möbel da.“
Die alte Dame, die in ihren dünnen schwarzen Schal eingewikkelt war, hatte gerade in verstohlenen Schrittchen, ohne ihren Korb loszulassen, das Erdgeschoß besichtigt. Sie war bis zur Tür der Küche vorgedrungen, hatte deren vier Wände gemustert; dann war sie auf die Freitreppe zurückgekommen und hatte mit einem Blick langsam vom Garten Besitz ergriffen. Vor allem aber interessierte sie das Wohnzimmer; sie blieb wieder gegenüber dem gedeckten Tisch stehen und schaute zu, wie die Suppe dampfte, als ihr Sohn mehrmals zu ihr sagte:
„Hören Sie, Mutter? Wir werden ins Hotel gehen müssen.“
Sie hob den Kopf, ohne zu antworten; ihr ganzes Gesicht weigerte sich, dieses Haus, dessen kleinste Winkel sie bereits kannte, zu verlassen. Sie zuckte unmerklich die Schultern, während die verschwommenen Augen von der Küche zum Garten und vom Garten zum Wohnzimmer schweiften.
Mouret verlor unterdessen die Geduld. Als er sah, daß weder die Mutter noch der Sohn entschlossen zu sein schienen, das Feld zu räumen, begann er wieder:
„Wir haben nämlich keine Betten, leider . . . Auf dem Boden steht wohl ein Gurtbett, mit dem Madame zur Not bis morgen fürliebnehmen könnte; nur sehe ich nicht recht, worauf der Herr Abbé sich schlafen legen soll.“
Da öffnete Frau Faujas endlich die Lippen. Sie sagte kurz in etwas rauhem Ton:
Mein Sohn wird das Gurtbett nehmen. Ich, ich brauche nur eine Matratze in einer Ecke auf dem Fußboden.“
Der Abbé billigte diese Regelung mit einem Kopfnicken.
Mouret wollte laut Einspruch erheben, wollte etwas anderes suchen; aber angesichts des zufriedenen Aussehens seiner neuen Mieter schwieg er und begnügte sich, mit seiner Frau einen Blick des Erstaunens zu wechseln.
„Morgen