Die Eroberung von Plassans. Emile Zola

Die Eroberung von Plassans - Emile Zola


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Ich sagte mir: Bestimmt wird das Kleid dabei draufgehen. — Aber nicht die Spur; das ist haltbarer Stoff, Stoff, wie ich ihn selber trage. Wir haben mehr als zehnmal gehen müssen. Mir waren die Arme wie zerbrochen. Sie brummte, daß es nicht vorangehe. Ich glaube, ich habe sie, mit Verlaub, fluchen hören.“

      Mouret schien sich sehr zu ergötzen.

      „Und die Betten?“ fing er wieder an.

      „Die Betten, die hat sie zurechtgemacht . . . Man muß sehen, wie sie eine Matratze umwendet. Die ist für sie nicht schwer, versichere ich Ihnen; sie nimmt sie an einem Ende, wirft sie in die Luft wie eine Feder . . . Dabei sehr sorgsam. Sie hat das Gurtbett wie ein Kinderbettchen bezogen. Hätte sie das Jesuskind zu Bett bringen müssen, würde sie die Laken mit nicht mehr Andacht zurechtgezogen haben . . . Von den vier Decken hat sie drei auf das Gurtbett gelegt. Genauso mit den Kopfkissen: für sich hat sie keins gewollt; ihr Sohn hat beide.“ „Sie wird also auf der Erde schlafen?“

      „In einer Ecke, wie ein Hund. Sie hat eine Matratze auf den Fußboden des anderen Zimmers geworfen und dabei gesagt, daß sie da besser als im Paradies schlafen würde. Ich habe sie nie und nimmer dazu bewegen können, sich anständiger einzurichten. Sie behauptet, sie friere niemals und ihr Kopf sei zu hart, um den Fliesenfußboden zu fürchten . . . Ich habe ihnen Wasser und Zucker gegeben, wie mir Madame aufgetragen hatte, und das wäre es . . . Macht nichts, das sind komische Leute.“

      Rose trug das Essen fertig auf. An diesem Abend zogen die Mourets die Mahlzeit in die Länge. Sie plauderten ausführlich von den neuen Mietern. In ihrem Leben, das mit der Regelmäßigkeit einer Uhr ablief, war die Ankunft dieser beiden Fremden ein großes Ereignis. Sie sprachen davon wie von einer Katastrophe, mit jenem kleinlichen Eingehen auf Einzelheiten, das die langen Provinzabende totschlagen hilft. Besonders Mouret fand an den Kleinstadtklatschereien Gefallen. Während er beim Nachtisch die Ellenbogen auf den Tisch stützte, wiederholte er im lauen Wohnzimmer mit der zufriedenen Miene eines glücklichen Menschen zum zehnten Mal:

      „Das ist kein schönes Geschenk, das Besançon Plassans macht . . . Habt ihr den Hinterteil seiner Soutane gesehen, als er sich umgedreht hat? — Es sollte mich sehr wundern, wenn die Betschwestern dem da nachliefen. Er sieht zu schäbig aus; die Betschwestern lieben die hübschen Pfarrer.“

      „Seine Stimme klingt sanft“, sagte Marthe, die nachsichtig war.

      „Aber nicht, wenn er zornig ist“, erwiderte Mouret. „Habt ihr ihn denn nicht gehört, wie er böse wurde, als er erfuhr, daß die Wohnung nicht möbliert ist? Das ist ein rücksichtsloser Mann; der wird in den Beichtstühlen nicht lange fackeln, sage ich euch! Ich bin sehr neugierig, wie er sich morgen einrichten wird. Wenn er nur wenigstens zahlt. Tut mir leid! Ich werde mich an Abbé Bourrette wenden; ich kenne nur ihn.“

      Man war wenig fromm in der Familie. Selbst die Kinder machten sich über den Abbé und seine Mutter lustig. Octave ahmte die alte Dame nach, wie sie einen langen Hals machte, um tief in die Zimmer hineinzusehen, was Désirée zum Lachen brachte. Serge, der ernsthafter war, verteidigte „diese armen Leute“. Für gewöhnlich nahm Mouret, wenn er seine Partie Pikett nicht spielte, Punkt zehn Uhr einen Leuchter und ging zu Bett; aber diesen Abend widerstand er dem Schlaf noch um elf Uhr. Désirée war schließlich eingeschlafen, den Kopf auf Marthes Schoß. Die zwei Jungen waren in ihr Zimmer hinaufgegangen. Mouret saß seiner Frau allein gegenüber und schwatzte noch immer.

      „Wie alt schätzt du ihn?“ fragte er unvermittelt.

      „Wen?“ sagte Marthe, die gleichfalls einzunicken begann.

      „Den Abbé, bei Gott! He? Zwischen vierzig und fünfundvierzig, nicht wahr? Das ist ein stabiler Kerl. Wenn das nicht schade ist, daß so einer die Soutane trägt! Er hätte einen ausgezeichneten Karabinier abgegeben.“ Nach kurzem Schweigen sprach er dann allein und führte mit lauter Stimme seine Überlegungen fort, die ihn ganz nachdenklich machten: „Sie sind mit dem Zug sechs Uhr fünfundvierzig angekommen. Sie haben also nur Zeit gehabt, bei Abbé Bourrette vorbeizugehen und hierherzukommen . . . Ich wette, daß sie nicht zu Abend gegessen haben. Das ist klar. Wir hätten sie wohl gesehen, wenn sie herausgekommen wären, um ins Hotel essen zu gehen . . . Ah! Das würde mir zum Beispiel Vergnügen machen, zu erfahren, wo sie wohl gegessen haben.“

      Rose strich seit einer Weile im Wohnzimmer umher und wartete, daß ihre Herrschaften schlafen gehen würden, damit sie Türen und Fenster schließen konnte.

      „Ich weiß, wo sie gegessen haben“, sagte sie. Und als sich Mouret lebhaft umwandte, fuhr sie fort: „Ja, ich bin noch einmal hinaufgegangen, um zu sehen, ob ihnen nichts fehlt. Da ich kein Geräusch hörte, habe ich nicht gewagt anzuklopfen; ich habe durch das Schlüsselloch geguckt.“

      „Das ist aber schlecht, sehr schlecht“, unterbrach Marthe streng, „Sie wissen doch, Rose, daß ich das gar nicht liebe.“

      „Laß doch, laß doch!“ rief Mouret, der unter anderen Umständen gegen die Neugierige aufgebraust wäre. „Sie haben durch das Schlüsselloch geguckt?“

      „Ja, Herr Mouret, es geschah in guter Absicht.“ „Offensichtlich . . . Was machten sie denn?“

      „Nun ja! Also, Herr Mouret, sie aßen . . . Ich habe gesehen, wie sie auf einer Ecke des Gurtbettes aßen. Die alte Dame hatte eine Serviette ausgebreitet. Jedesmal wenn sie sich Wein einschenkten, legten sie die verkorkte Literflasche wieder gegen das Kopfkissen.“

      „Aber was aßen sie?“

      „Ich weiß nicht genau, Herr Mouret. Es hat mir wie ein Rest Pastete ausgesehen, in eine Zeitung eingewickelt. Sie hatten auch Äpfel, kleine, mickrige Äpfel.“

      „Und sie unterhielten sich, nicht wahr? Haben Sie gehört, was sie sagten?“

      „Nein, Herr Mouret, sie unterhielten sich nicht . . . Ich habe ihnen eine gute Viertelstunde zugeschaut. Sie sagten nichts, nicht soviel, versichere ich Ihnen! Sie aßen, sie aßen!“ Marthe war aufgestanden, hatte dabei Désirée geweckt und machte Anstalten hinaufzugehen; die Neugierde ihres Gatten verletzte sie. Dieser entschloß sich endlich, ebenfalls aufzustehen, während die alte Rose, die fromm war, mit leiserer Stimme fortfuhr:

      „Der arme liebe Mann mußte tüchtig Hunger haben . . . Seine Mutter reichte ihm die größten Bissen und sah ihm zu, wie er mit Behagen schluckte . . . Kurz und gut, er wird in schön weißen Bettüchern schlafen. Sofern ihn der Obstgeruch nicht belästigt. Es riecht nämlich nicht gut in dem Zimmer; Sie wissen, dieser säuerliche Geruch von Birnen und Äpfeln. Und nicht ein Möbelstück, nichts als das Bett in einer Ecke. Ich hätte Angst, ich würde das Licht die ganze Nacht brennen lassen.“

      Mouret hatte seinen Leuchter genommen. Er blieb einen Augenblick vor Rose stehen und faßte als ein Bürger, den man aus seinen gewohnten Vorstellungen herausgerissen hat, den Abend in folgendem Ausspruch zusammen:

      „Das ist ungewöhnlich.“

      Dann holte er seine Frau am Fuß der Treppe wieder ein. Als er noch den leisen Geräuschen lauschte, die aus dem oberen Stockwerk kamen, lag sie schon im Bett, schlief sie bereits. Das Zimmer des Abbé lag genau über dem seinen. Er hörte ihn sacht das Fenster öffnen, was ihn sehr neugierig machte. Er hob den Kopf vom Kissen, kämpfte verzweifelt gegen den Schlaf an, weil er wissen wollte, wie lange der Priester am Fenster bleiben würde. Aber der Schlaf war der Stärkere; Mouret schnarchte fest, ehe er das dumpfe Knirschen des Fensterriegels erneut hatte wahrnehmen können.

      Oben am Fenster schaute Abbé Faujas barhäuptig in die schwarze Nacht. Er blieb lange dort, glücklich, endlich allein zu sein, sich in jene Gedanken vertiefend, die ihm so viel Härte auf die Stirn prägten. Unter sich fühlte er den ruhigen Schlaf dieses Hauses, in dem er seit einigen Stunden war, der Kinder reinen Atem, Marthes ehrbaren Hauch, Mourets schweres und regelmäßiges Luftholen. Und es lag eine Verachtung in der Art, seinen Ringkämpferhals geradezurücken, während er den Kopf hob, als wolle er in der Ferne der eingeschlafenen kleinen Stadt bis auf den Grund sehen. Die großen Bäume im Garten der Unterpräfektur bildeten eine düstere Masse; Herrn Rastoils Birnbäume reckten hagere und verrenkte Glieder; dann war das nur noch ein Meer von Finsternis, ein Nichts, aus dem kein


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