Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Mal hier übernachtet. Im Gästezimmer! Sie bleibt zum Frühstück, weil Joshua sich das gewünscht hat«, erwiderte er schroff. »Danach fährt sie weiter nach Zürich. Das war’s.« Er sah sich suchend um. »Wo steckt sie überhaupt? Und wo ist Joshua?«
»Joshua hat darauf bestanden, Brötchen zu holen.« Karin zündete eine Kerze an. Versonnen blies sie das Streichholz aus.
»Und ich bin hier!«, ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Adrian fuhr herum und starrte seine Ex-Frau an. Zum Glück war sie fix und fertig angezogen. Mit wiegenden Schritten kam sie auf ihn zu. Ehe er wusste, wie ihm geschah, legte sie die Hand um seinen Nacken und zog ihn zu sich hinunter. Ihr unschuldiger Kuss weckte Erinnerungen, die Adrian längst vergessen wähnte.
»Guten Morgen, mein Lieber.« Paola lächelte, ehe sie auch Karin begrüßte und sich an den Tisch setzte. »Das ist ja das reinste Schlaraffenland.« Sie streckte sich nach einer Rebe Trauben und zog die Füße hoch. »Das fühlt sich an wie ein richtiges Zuhause.«
Karin lächelte geschmeichelt. Ihr Plan war aufgegangen.
»Genau so sollte es sein. Du sollst dich willkommen fühlen.«
»Danke, das tue ich.« Paola schickte ihrem Ex-Mann einen vielsagenden Blick.
Karin legte die Hände ineinander und lächelte selig.
»Ach, Kinder, ist das schön.«
Adrian war froh, dass Joshua mit den Brötchen zurückkam. Sie setzten sich an den Tisch und machten sich über die reich gedeckte Tafel her.
Es dauerte nicht lange, und die Verstimmung war verflogen. Joshua war in Bestform. Zitate aus den verschiedensten Theaterstücken und Filmen flogen zwischen Mutter und Sohn hin und her, und auch Adrian und seine Mutter amüsierten sich prächtig. Viel zu schnell verflog die Zeit.
»Wenn ich jetzt noch einen Happen esse, platze ich«, seufzte Paola schließlich. Erschöpft lehnte sie im Stuhl zurück, die Hände auf dem flachen Bauch.
Joshuas Blick ruhte auf ihr.
»Kannst du nicht noch länger bleiben? Wenigstens noch einen Tag? Dann könnten wir zusammen etwas unternehmen«, platzte er heraus.
Der Vorschlag kam überraschend.
Adrian verschluckte sich an seinem Kaffee. Karin dagegen applaudierte.
»Was für eine wundervolle Idee.«
Geschmeichelt und voller Liebe musterte Paola ihren Sohn.
»Komisch!«, murmelte sie. »Dasselbe ging mir auch gerade durch den Kopf. Mein Engagement beginnt erst in ein paar Tagen, die ersten Termine habe ich morgen im Laufe des Nachmittags. Es würde also genügen, wenn ich morgen früh losführe«, dachte sie laut nach.
Joshua sprang auf und fiel ihr spontan um den Hals. Er lachte über das ganze Gesicht.
»Das wäre so cool!«
Adrian fühlte sich belogen und betrogen. Ehe ihm eine passende Bemerkung eingefallen war, wandte sich Paola an ihn.
»Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast.«
Wie ertappt sah er zu Boden.
»Warum sollte ich?«, fragte er und schämte sich gleichzeitig. Er war hin und her gerissen zwischen seiner Eifersucht wegen Joshua und den Gefühlen für Paola. Wenn er nur gewusst hätte, was sie im Schilde führte …
In seine Gedanken hinein klatschte sie in die Hände.
»Dann ist es abgemacht. Wisst ihr was? Wir gehen heute Abend ins Theater. Ein Freund von mir hat mir Karten angeboten. Eigentlich wollte ich absagen, da ich dachte, ich sei nicht mehr hier. Aber jetzt …« Ihre Augen leuchteten wie die eines Kindes. »Oh, das wird wundervoll.«
»Die kleine, heilige Familie zum ersten Mal seit Jahren wieder vereint. Ich freue mich so«, seufzte Karin aus tiefstem Herzen.
»Du kannst gern mitkommen«, bot Paola großzügig an.
»Nein, nein. Ich muss nicht überall dabei sein«, winkte Karin ab. »Es genügt mir zu wissen, dass ihr glücklich seid.«
*
Anders als sonst führte Dieter Fuchs’ Weg nicht direkt in sein Büro. An diesem Morgen wählte er einen Umweg. Bewaffnet mit einem Blumenstrauß hoffte er, niemandem zu begegnen. Vergeblich.
»Blumen?« Dr. Daniel Norden war schon an dem Verwaltungsdirektor vorbei geeilt, als ihm bewusst wurde, was er gesehen hatte. Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. »Wache oder träume ich? Sie haben tatsächlich eine leichtsinnige Investition getätigt und höchst vergängliche Blumen gekauft?«
»Natürlich nicht«, schnaubte Fuchs beleidigt. »Die Blumenhändlerin neben dem Kiosk hat sie mir geschenkt. Die sind von gestern. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen! Ich habe es eilig.« Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er weiter und betrat wenig später das Krankenzimmer von Elfriede Lammers.
Sie saß aufrecht im Bett und sah ängstlich hinüber zur Tür.
»Ach, Sie sind es!«, seufzte sie. »Ich dachte schon, Dr. Norden kommt mich holen.«
Er erschrak.
»So früh schon?«
»Besser, ich bringe es gleich hinter mich.« Elfriede dankte ihm für den Strauß. Schüchtern wie ein Mädchen schnupperte sie daran.
»Ich bin sicher, die Herrschaften tun ihr Bestes, um Ihnen zu helfen.« Dieter stand vor dem Bett. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen, schob sie in die Hosentaschen, zog sie wieder heraus und verschränkte sie schließlich vor dem Körper.
Belustigt sah Elfriede ihm zu. Seine offensichtliche Unsicherheit reizte sie. Sie beschloss, ihn aus der Reserve zu locken.
»Ich bin heute Nacht fast gestorben vor Angst. Wenn Sie mir Gesellschaft geleistet hätten, wäre das sicher nicht passiert.«
»Die Nachtschwester hätte Ihnen sicher ein Schlafmittel gegeben.«
Elfriede Lammers’ Lächeln gefror. War es möglich, dass ein Mann derart steif war?
»Natürlich. Wie dumm von mir.«
»Aber nicht doch. Jeder Mensch vergisst mal etwas.« Dieters Mundwinkel zogen sich kaum merklich hoch. »Machen Sie sich keine Sorgen. In ein paar Stunden ist alles vorbei.«
Elfriede dachte nach. Einen Versuch wollte sie noch wagen.
»Ich habe Ihnen ja gestern schon erzählt, dass ich große Angst davor habe, nicht mehr tanzen und reisen zu können. Wenn ich natürlich wüsste, dass Sie mich begleiten …«
»Reisen? Was für eine Zeit- und Geldverschwendung«, entfuhr es Dieter Fuchs. »Ich habe ein paar nette Naturfilme auf Video. Es ist doch viel bequemer, die Welt vom Fernsehsessel aus zu betrachten. Und günstiger natürlich. Warum kommen Sie nicht mal vorbei? Wenn Sie wieder gesund sind, meine ich.« Als ihm bewusst wurde, dass er gerade eine Einladung ausgesprochen hatte, schoss ihm das Blut in die Wangen.
»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte«, sagte Elfriede spontan zu. Insgeheim lobte sie sich für ihre Flirtkünste. Sogar ein harter Brocken wie dieser Fuchs konnte ihr nicht widerstehen.
Dieter dagegen suchte bereits nach einer Ausflucht.
»Ich bin mir nur nicht sicher, was Ihr strenger Herr Sohn dazu sagen wird …«
»Volker?« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der hat mir ja schon eine Szene gemacht, nur weil ich Ihnen gestern zum Abschied zugeläch …« Weiter kam sie nicht.
»Deine Fantasie geht mal wieder mit dir durch«, peitschte Volker Lammers’ Stimme durch das Zimmer.
Erschrocken fuhren Elfriede und Dieter herum. Sie waren so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass sie ihn nicht bemerkt hatten. Wie immer in letzter Zeit ignorierte er den Verwaltungsdirektor und wandte sich direkt an seine Mutter.