Messi. Luca Caioli
im Süden der Zentral-Anden im sogenannten Kaffeeanbaugebiet, weit entfernt von der Hauptstadt Bogotá. Man spielt in großer Höhe: In Ar menia sind es 1.650 Meter, in Manizales 2.500 Meter. Besonders den Argentiniern fällt es schwer, sich zu akklimatisieren.
Messi macht sein erstes Spiel am 12. Januar 2005 im Centenario-Stadion in Armenia. Es geht gegen Venezuela. Wie gehabt steht er nicht in der Anfangsformation, sondern sitzt auf der Bank. 15 Minuten nach der Pause wird er für Ezequiel Lavezzi eingewechselt, den man heute als groß-zügig tätowierten Mittelstürmer des SSC Neapel kennt. Als Messi auf den Platz kommt, führt Argentinien bereits mit 1:0. Dank ihm leuchtet acht Minuten später das 2:0 auf der Anzeigetafel auf. Die Partie endet schließ-lich mit einem 3:0. Die Niederlage Venezuelas ist eindeutig und Messis Beitrag unbestreitbar. Im Spiel gegen Bolivien im Palogrande-Stadion in Manizales wiederholen sich die Ereignisse. Zu Beginn der zweiten Halbzeit schickt der Trainer seine Nummer 18 für Barrientos auf den Platz, um den Offensivdruck zu verstärken. „Und nach fünf Minuten demonstrierte Messi allen seine spielerische Klasse“, schreibt die argentinische Zeitung Época. „Er schnappte sich auf Höhe der Mittellinie den Ball, startete ein unwiderstehliches Solo und schlug den Ball diagonal in die Maschen. Ein herrlicher Schuss, der bei der Wahl der schönsten Tore der U20-Südamerikameisterschaft ganz sicher vorn dabei sein wird. In der 57. Minute erzielte Messi dann noch das 3:0.“
Zwei Tage später trifft man auf Peru, und Messi steht erstmals in der Startelf. Insgesamt wird er jedoch nur in drei Spielen von Beginn an auf dem Platz stehen, bei den übrigen bringt Hugo Tocalli ihn in der zweiten Halbzeit. Warum? Tocalli rechtfertigt seine Entscheidung: „Der Junge hatte sich dem Rhythmus der Mannschaft noch nicht angepasst, war nur das Spielen in Barças Jugendmannschaften gewohnt und brachte noch nicht diese Intensität mit, die man im südamerikanischen Fußball braucht … Die Spiele waren ziemlich anspruchsvoll. Hinzu kam, dass seine Gegner Jahrgang 1985 waren, und in dem Alter machen zwei Jahre einen gewaltigen Unterschied. Also beschloss ich, ihn mit Bedacht einzusetzen, um ihn nicht zu verheizen oder ihm zu viel Verantwortung zu übertragen.“
Die hervorragenden Ergebnisse bestätigen Tocallis Vorgehensweise, so auch im letzten Spiel am 6. Februar in Manizales gegen Brasilien. Messi kommt in der 65. Minute für Neri Cardoso. Zehn Minuten später verwertet er einen Pass von Barrientos optimal und sorgt mit einem gefühlvollen Schuss in den Kasten für den 2:1-Sieg – sein erstes Tor gegen den ewigen Rivalen. Am Ende qualifiziert sich Argentinien als Turnierdritter hinter Kolumbien und Brasilien für die FIFA U20-WM in den Niederlanden. Messi hat fünfmal getroffen und ist damit der zweitbeste Torschütze nach dem Kolumbianer Hugo Rodallega, der elf Tore auf dem Konto hat. Rodallega ist 19 Jahre alt und macht sowohl im Spiel wie auch danach keine Kompromisse: „Ich bin eindeutig besser als Messi“, erklärt er. „Aber der große Unterschied zwischen uns ist, dass er für Barcelona spielt und ich für Deportes Quindío [kolumbianischer Klub aus Ar menia].“ Leo antwortet bescheiden: „Dazu sage ich nichts. Ich spiele für die Mannschaft.“ Völlig zu Recht nimmt ihn die FIFA in die Elf der besten Spieler Südamerikas auf – eine Auszeichnung, mit der er das Herz des Auswahltrainers erobert.
„Er hat mich verzaubert“, gesteht Tocalli. „Ich liebte seine rasanten Tempowechsel von null auf hundert, seine Tricks, mit denen er die Gegner ausspielte, und seine Fähigkeit, sich mit dem Ball am Fuß extrem schnell zu bewegen. Er zeigte, dass er trotz seiner Statur viele Tore schießen konnte. Er hatte einen guten linken Fuß und traf den Ball genau richtig.“
Für Hugo Tocalli ist das Spiel gegen Brasilien allerdings sein letztes als Trainer der U20. Der gerade zum Trainer der argentinischen National-mannschaft ernannte José Pekerman will ihn in der Qualifikation zur WM 2006 in Deutschland als Assistenten an seiner Seite haben. Die Leitung der U20, die im Juli bei der WM in den Niederlanden antreten wird, übernimmt nun Francisco „Pancho“ Ferraro, der „Ruhige“. Während der viermonatigen Vorbereitungszeit für die Europareise verändert Pancho den Kader. Neu dabei sind Kun Agüero, seinerzeit bei Independiente in Buenos Aires aktiv, und Gago, damals bei den Boca Juniors. Dafür müssen Boselli und Zanotti weichen. In letzter Minute muss Ferraro noch José Sosa von Estudiantes de La Plata ersetzen, der sich die linke Hand gebrochen hat. Überdies hat er genau wie seine Vorgänger eine Reihe weiterer Spieler zu ersetzen, die bei ihren argentinischen Klubs in der Pflicht stehen und nicht abgestellt werden. Messi wird so zu einer Schlüsselfigur in der Mannschaft: Er hat mit Barcelona gerade die Meisterschaft geholt, und jeder erwartet, dass er in den Niederlanden seinen endgültigen Durchbruch schafft. Die Argentinier gehen als Favoriten ins Turnier, sie wollen ihren fünften Titel in diesem Wettbewerb holen. Unter Pekermans Regie waren sie viermal dabei und gewannen dreimal den Titel (1995 in Katar, 1997 in Malaysia und 2001 in Argentinien). Unvergessen auch Argentiniens Turniersieg 1979 in Japan mit Diego Maradona als Star der Mannschaft.
Es ist Samstag, der 11. Juni. Argentinien spielt im Stadion des FC Twente Enschede gegen die USA. Große Überraschung – Messi steht nicht in der Startelf, sondern sitzt auf der Bank, und die Albiceleste verliert mit 0:1. Der Fehlstart in das Turnier ist perfekt, doch Leo beruhigt: „Ich fühle mich sehr gut und denke, dass ich 90 Minuten spielen kann. Aber ich muss die Entscheidung des Trainers respektieren. … Die Mannschaft wird ihren Rhythmus finden, weil wir einige sehr gute Spieler haben. Wir haben alles, was man zum Weiterkommen braucht.“ Leo liegt goldrichtig und liefert am 14. Juni gegen Ägypten den Beweis. Dieses Mal spielt er von Beginn an. Er erzielt den ersten Treffer, woraufhin die Afrikaner ihre Abwehr aufmachen. Zabaleta trifft schließlich zum Endstand von 2:0. Im schweren dritten Spiel gegen Deutschland entscheidet sich die Teilnahme am Achtelfinale. Die Deutschen haben einen Punkt mehr als Argentinien. Ihnen reicht ein Unentschieden, um weiterzukommen. Aber Messi setzt ein Zeichen. Er bekommt den Ball auf Höhe der Mittellinie, umkurvt die Abwehrspieler, spielt einen präzisen Pass – Oberman lässt den Ball durch, und Neri Cardoso trifft zum entscheidenden 1:0.
Auf dem Weg ins Finale gilt es viele Hindernisse zu überwinden. Im Achtelfinale ist es Kolumbien, der Sieger der Südamerikaqualifikation. In der 52. Minute steht es 1:0 für Kolumbien. Messi leidet darunter, dass kein Spieler in seiner Mannschaft ihn mit Zuspielen versorgen kann. Nichtsdestotrotz gelingt ihm in der 57. Minute der Ausgleich. Dann kommt mit Gago, Pablo Vitti und Emiliano Armenteros frisches Blut in die Mannschaft, und in der 93. Minute schießt Julio Barroso den 2:1-Siegtreffer und verhindert damit die drohende Verlängerung. Im Viertelfinale wartet Spanien. Die Zeitungen berichten im Vorfeld groß über dieses Spiel, schließ-lich sind die Spanier der amtierende U20-Europameister und standen bei der vorangegangenen U20-WM immerhin im Finale, auch wenn sie sich am Ende Brasilien geschlagen geben mussten. Nicht zuletzt kommt es in diesem Spiel zum direkten Vergleich zwischen Messi und Cesc Fàbregas, beide 18 Jahre alt (Messi hatte am Tag vor dem Spiel Geburtstag), Freunde aus Barcelona und Rivalen auf dem Platz.
„Ich habe mich seit unserer ersten Begegnung in der Jugendakademie super mit Messi verstanden und drei wundervolle Jahre mit ihm verbracht, mit vielen Toren und Doppelpässen. Es war einzigartig, an seiner Seite zu spielen“, berichtet das „Wunderkind“, wie Fàbregas von den Arsenal-Fans genannt wird.
„Cesc ist ein guter Freund – wir haben uns damals in der Jugend von Barça kennengelernt. Er ist ein beeindruckender Spieler, zudem sehr vielseitig, er ist sowohl offensiv als auch defensiv stark“, antwortet Messi. Und er versichert überall, dass er und seine Mannschaft großen Respekt vor der roten Furie mit ihren Stars Cesc und Fernando Llorente haben. Das Spiel ist sehr ausgeglichen, bis zur 70. Minute steht es 1:1. Dann werden die Spanier unkonzentriert, und Leo legt einen Zahn zu. Zunächst serviert er Gustavo Oberman den Führungstreffer auf dem Silbertablett, zwei Minuten später erzielt er mit einem Heber über seinen Gegenspieler den 3:1-Endstand.
„Die argentinische Mannschaft hat verdient gewonnen, weil sie besser gespielt haben als wir“, räumt Spaniens Trainer Iñaki Sáez ein. Was Lionel angeht, lautet sein Kommentar: „Er hat Talent, trifft die richtigen Entscheidungen, guckt, was der Torhüter macht, und weiß, was er tun muss.“
Im Halbfinale kommt es zum Klassiker zwischen Argentinien und Brasilien. Beide haben das Turnier jeweils viermal gewonnen, die Siege ihrer Vorgänger sind eine große Bürde für sie – etwa der WM-Gewinn 1995 in Katar, als die Albiceleste durch Tore von Leonardo Biagini und Francisco Guerrero siegreich war. Die Argentinier spielen mit Trauerflor. Emiliano Molina, Torhüter