Messi. Luca Caioli
Kurz vor der Strafraumgrenze feuert Messi einen torpedoartigen Schuss ab, der am rechten Innenpfosten vorbei zum 1:0 ins Tor prallt, der brasilianische Torwart ist trotz seines spektakulären Hechtsprungs machtlos. In der zweiten Halbzeit gleicht Renato zwar aus, als Leo aber in der letzten Minute zum x-ten Mal seinen Gegner stehen lässt, bekommt die brasilianische Abwehr den Ball nicht mehr aus der Gefahrenzone und Zabaleta staubt zum 2:1-Siegtreffer ab.
Am 2. Juli um 20 Uhr findet im Utrechter Stadion Galgenwaard das Finale statt. Gegner ist Nigeria, das im Halbfinale Marokko ausgeschaltet hat. Tags zuvor hatte ein niederländischer Fernsehsender Messi den Goldenen Ball überreicht, mit dem er als Spieler des Turniers ausgezeichnet wird. „Ich freue mich sehr und danke Ihnen für den Preis“, sagt er. „Ganz ehrlich, ich bin sehr überrascht von all dem, was mir hier widerfahren ist.“ Aber das soll noch nicht alles gewesen sein. Im Finale bringt Messi in der 38. Minute den Ball an der linken Außenlinie unter Kontrolle, startet einen Slalomlauf über 40 Meter und dringt in den Strafraum ein. Dele Adeleye erkennt, dass er nicht mehr an den Ball kommen kann und haut Messi um. Schiedsrichter Terje Hauge entscheidet ohne zu zögern auf Strafstoß. Ohne Anlauf schießt Leo den Ball gefühlvoll mit dem linken Fuß rechts an Vanzekin vorbei, der genau in die entgegengesetzte Richtung springt: 1:0. Doch in der 52. Minute erzielt Chinedu Obasi, der heute für Hoffenheim in der Bundesliga spielt, den Ausgleich. 21 Minuten später wird Agüero vor dem Tor von Monday James gefoult. Wieder geht Leo zum Elfmeterpunkt und schießt mit viel Präzision ins linke Eck: 2:1. Die Argentinier holen ihren fünften U20-WM-Titel, und Leo Messi ist der Star.
„Was sollen wir schon über ihn erzählen? Die Bilder der vergangenen Nacht sagen doch alles, genauso wie die Auszeichnungen als bester Spieler und Torschützenkönig des Turniers, die Siegermedaille um seinen Hals und die hellblau-weiße Flagge um seine Schultern“, schreibt die argentinische Zeitung Clarín am folgenden Tag.
Kapitel 12
Eine Seifenoper
3. Oktober 2005
Am 26. August startet „La Liga“, die erste spanische Liga, in die Saison 2005/06. Die 75. Auflage der Meisterschaft hat einen neuen Star: Robinho, in Diensten von Real Madrid. Man hofft, dass er ebenso glänzen wird wie die anderen Brasilianer in der Liga, Ronaldinho und Ronaldo. Wie üblich ist die Liga geprägt vom ewigen Duell zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona. Das erste Spiel des Titelverteidigers findet auswärts statt, im Mendizorrotza-Stadion von CD Alavés. Messi steht weder auf dem Platz, noch sitzt er auf der Bank. Das mutet etwas seltsam an, war der junge Argentinier doch noch zwei Tage zuvor beim Joan-Gamper-Turnier, das jährlich zu Ehren des Vereinsgründers ausgetragen wird, der unumstrittene Star. In einer öffentlichen Erklärung heißt es: „Angesichts des noch offenen Rechtsstreits über Nicht-EU-Spieler, der demnächst vom Verband geklärt werden soll, hat sich der FC Barcelona als Vorsichtsmaßnahme entschieden, Leo Messi im Spiel gegen Alavés nicht einzusetzen.“
Was war passiert? Am 8. Juli änderte der spanische Fußballverband RFEF seine allgemeinen Regularien im Hinblick auf „eingebürgerte“ Spieler, genauer: Spieler zwischen 17 und 19 Jahren, die nicht aus der EU stammten, aber die Jugendabteilungen eines spanischen Vereins durchlaufen hatten. Von nun an sollten solche Spieler auch dann eingesetzt werden dürfen, wenn bereits drei Nicht-EU-Ausländer auf dem Platz stünden, die Obergrenze also eigentlich erreicht wäre. Messi erfüllt sämtliche Kriterien eines solchen „eingebürgerten“ Spielers, er wäre also trotz der bereits von Ronaldinho, Eto’o und Márquez besetzten drei Positionen für Nicht-EU-Bürger einsatzberechtigt. Doch der Beschluss, der von einigen Klubs als Ad-hoc-Maßnahme zugunsten Barcelonas und Leos kritisiert wird, muss erst noch von der Liga Nacional de Fútbol Profesional, dem Profiligaverband LFP, genehmigt und danach vom Consejo Superior de Deportes, dem Hohen Sportrat, ratifiziert werden. Genau aufgrund dieses schwebenden Verfahrens empfiehlt die Rechtsabteilung des FC Barcelona, Messi nicht spielen zu lassen. Die Situation ist nur schwer zu verstehen, wenn man bedenkt, dass Leo bereits in einem Champions-League-Spiel der Profimannschaft gegen Schachtjar Donezk ebenso zum Einsatz kam wie in sieben Ligaspielen – völlig ohne Profi-Spielerlaubnis und ohne EU-Dokumente, sondern nur auf Basis seiner Verträge mit der Jugendabteilung und der in der dritten Liga Segunda B spielenden zweiten Mannschaft Barcelonas.
Bereits am 16. Oktober 2004, einem Samstag, hatte Leo im katalanischen Derby gegen RCD Espanyol Barcelona im Olympiastadion auf dem Montjuïc sein Debüt bei den Profis gefeiert: Er kam für Deco aufs Feld und hatte zehn Minuten später nach einem Pass von Belletti seinen ersten Ballkontakt, danach noch einige interessante Aktionen, aber nichts für die Geschichtsbücher. Dennoch war es ein unvergesslicher Abend für Leo, bedeutete er doch die Erfüllung eines Kindheitstraums und des einst in La Capital geäußerten Wunsches, „in die Profimannschaft zu kommen“ – auch wenn er damals noch seine Lieblingsmannschaft Newell’s im Kopf hatte.
Bald schießt er auch sein erstes Tor in der Liga. Man schreibt den 1. Mai 2005, und die Anzeigetafel im Camp Nou zeigt drei Minuten vor Schluss eine 1:0-Führung Barças gegen Albacete Balompié. Frank Rijkaard wechselt Messi für Samuel Eto’o auf der ungewohnten Mittelstürmer-Position ein. Der erst 17 Jahre und zehn Monate alte Youngster profitiert von einem Zuspiel Ronaldinhos und überwindet Torwart Valbuena mit einem gefühlvollen Schuss. Es ist ein Moment reinster Glücksseligkeit: Leo weiß gar nicht, wohin mit sich, und schreit seine Freude auf Ronaldinhos Schultern sitzend heraus. Damit ist er der jüngste Torschütze der Vereinsgeschichte in einem Ligaspiel – eine Bestmarke, die am 20. Oktober 2007 durch Bojan Krkićs Tor gegen den FC Villareal erneut gebrochen wird.
Trotz dieses tollen Starts im Profiteam wird der Argentinier nach jenem 1. Mai kein weiteres offizielles Saisonspiel mehr bestreiten – auch nicht, nachdem sich Barça vorzeitig den 17. Meistertitel gesichert hat. Zu Beginn der Saison 2005/06 spielt Messi noch nicht einmal im spanischen Supercup gegen Betis Sevilla. Im Hinspiel sitzt er auf der Bank, im Rückspiel nicht einmal mehr das. Auch vor der offiziellen Mitteilung des Vereins ist klar, dass etwas nicht in Ordnung ist. Tatsächlich sieht sich der Klub wachsender Kritik ausgesetzt. Warum hat man Messi noch nicht eingebürgert? Warum hat man sich nicht schon längst darum gekümmert – angesichts der Tatsache, dass ein Argentinier nach zwei Jahren festen Wohnsitzes in Spanien die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen kann?
Als klar wird, dass Leo womöglich nicht in der Liga spielen kann, werden verschiedene Vorschläge diskutiert. Man könne ihn an einen anderen Verein abgeben, der noch einen Platz für einen Nicht-EU-Bürger frei hat. Doch diese Idee wird augenblicklich verworfen. Dann verdichten sich Gerüchte über ein mögliches Interesse anderer europäischer Klubs wie Inter Mailand. Der Präsident der Italiener, Massimo Moratti, hat nie einen Hehl aus seinem Interesse an dem Spieler gemacht und Jorge Messi sogar ein finanziell lukratives Angebot unterbreitet – der es seinerseits als Druckmittel gegen Barcelona verwendet, eine Lösung der Frage herbeizuführen. Zwischenzeitlich verlängert der FC Barcelona am 31. August, dem Ende der Transferperiode, Messis Spielerlaubnis als eingebürgerter Jugendspieler für die in der Segunda B spielende Mannschaft. Und am 16. September wird publik, dass der Spieler einen Vertrag mit einer neunjährigen Laufzeit bis 2014 unterzeichnet hat. Verschiedene Quellen vermelden, dass sein Gehalt auf drei Millionen Euro pro Spielzeit erhöht und die Ablösesumme bei 150 Millionen Euro festgesetzt sei.
Tatsächlich hat es bereits im Juni eine Presseerklärung zum Thema Vertrag gegeben. „Eine Woche nach seinem 18. Geburtstag hat Leo Messi sein schönstes Geschenk erhalten. Sportdirektor Txiki Begiristain ist gemeinsam mit dem Vater des Spielers nach Utrecht in Holland gereist, wo Messi seinen neuen, bis 2010 laufenden Vertrag unterzeichnete“, heißt es am 30. Juni auf der Homepage des FC Barcelona, als der Youngster gerade bei der FIFA U20-WM im Einsatz ist.
Es existieren verschiedene Theorien über die widersprüchlichen Vertragsdatierungen und Laufzeiten. Einige behaupten, dass Messi, nun volljährig, den neuen Vertrag ganz einfach akzeptierte. Andere vermuten, dass der Kontrakt im September noch einmal geändert wurde, weil der Vater des Spielers mit einigen leistungsbezogenen Klauseln nicht einverstanden war. Dann gibt es diejenigen, die glauben, dass die Vertragslaufzeit von den üblichen fünf auf neun Jahre verlängert wurde. Wieder andere schätzen, dass die Vereinbarung vom September lediglich eine Absichtserklärung war und ein neuer, im Einklang mit sämtlichen Vorschriften stehender Profivertrag im folgenden