Operation Führerhauptquartier. Will Berthold

Operation Führerhauptquartier - Will Berthold


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mit Stärke und Kampfmoral der deutschen Fliegersoldaten, die beinahe täglich die Insel mit dem Luftkrieg überziehen. Die Vernehmung und elektronische Ausforschung der abgeschossenen Flugzeugbesatzungen ist konsequent, fast perfekt. Dabei geht es den Offizieren von Cockfosters nicht nur um militärische, sondern auch um persönliche Dinge. So kann es passieren, daß ein abgeschossener deutscher Jagdflieger in Trent Park mit den zutreffenden Worten begrüßt wird: »Wie können Sie sich ausgerechnet am Geburtstag Ihrer Mutter herunterholen lassen?«

      Im Juli stößt die R.A.F.-Perspektiv-Forschung erstmals auf einen Hinweis, daß zwischen zwei berühmten Jagdfliegern, dem deutschen Hauptmann Fabian und dem britischen Captain Dunhill, eine frappante Ähnlichkeit besteht. Eine Notiz unter vielen, wie sie sich in den Akten häufen, um dann langsam zu vergilben. Noch weiß Cockfosters nicht, daß ein glücklicher Zufall die Chance bieten wird, den Venlo-Komplex ein für allemal loszuwerden und die ›Operation Doomsday‹ (›Jüngster Tag‹) einzuleiten, das geheimste und verwegenste Kommandounternehmen des Zweiten Weltkriegs.

      Am 4. September zeichnen sich erste Konturen ab: Eine Granate der Anti-Airkraft, der britischen Bodenabwehr, erfaßt in der Grafschaft Kent eine Me 109, und eine halbe Stunde später, nach der Festnahme ihres Piloten, wird sich der Abschuß als ein ausgesprochener Glückstreffer herausstellen.

      »Alsdann vorwärts im Namen des Unsinns«, schließt der neuernannte Gruppenkommandeur die Einsatzbesprechung. Hauptmann Fabian gibt sich keine Mühe, die Verbitterung vor seinen Männern zu verbergen. Der dramatische Abschluß des Zusammenpralls mit seinem Kommodore hat ihn in einen Zustand versetzt, für den er sonst bei seinen Flugzeugführern Startverbot ausspricht – aber wegen eines psychischen Tiefs, das sicher bald vorüber sein wird, bleibt der beste Pilot und sicherste Schütze des ›Puma‹-Jagdgeschwaders nicht zu Hause.

      Seit Hauptmann Fabian Abschuß auf Abschuß erzielt, in den Wolken wie in den Kissen, hat er einen Ruf wie Donnerhall. Schon optisch ist er ein Mann mit Mumm: 180 cm groß, mehr hager als schlank, drahtig und doch intelligent, einer, bei dem man bereits auf den ersten Blick vermutet, daß er mehr kann als töten oder sterben. Selbst in der Fliegerkombination wirkt der 28jährige nicht uniform, schon weil er statt der vorgeschriebenen Bordstiefel vormals weiße Tennisschuhe trägt, ein befehlswidriges Privileg, das er sich nach 19 Luftsiegen herausnimmt.

      Der junge Offizier verfolgt, wie seine Männer in die Mühlen klettern. Der bullige Feldwebel Frommleben, der nie den Mund halten kann, quittiert die Sitzbereitschaft mit den Worten: »Besser ein wunder Hintern als ein kalter Arsch.«

      Fabian steigt als letzter ins Cockpit, wartet, bis der zu schützende He 111-Verband den kleinen Einsatzhafen überflogen hat. Er nickt seinen Bordwarten zu, die Kuttenzwerge reißen die Bremsklötze von den Rädern, lösen das Kabel, das die 109 wie eine Nabelschnur mit dem Anlasserwagen verbindet. Der Propeller dreht sich, wirbelt Staub auf. Fabian jagt seine Maschine über die Graspiste, wird schneller und schneller, nimmt den Knüppel an den Bauch, zieht die Me hoch, startet zu seinem 167. Feindflug, dem dritten des Tages und dem letzten seines Lebens.

      Die Gruppe – auf neun abgekämpfte Piloten und neun verschlissene Jagdeinsitzer reduziert – holt den Kampfverband ein, um von nun an nach der glorreichen Vorstellung ihres frontfernen Oberbefehlshabers »angelegt« Begleitschutz zu fliegen. Die Schnellsten an der Seite der Langsamsten – dafür ist die 109 nicht geschaffen, und die Männer, die sie fliegen, wissen bereits vor dem Start, daß sie sich nur blutige Köpfe oder ungerechte Vorwürfe holen können. Fabian wurde zum Sprecher und Heros der deutschen Jagdflieger, als er im Kasino dem Kommandierenden vor seinem versammelten Stab in das Gesicht sagte, die neue Taktik sei so »umständlich und zwecklos wie ein Eunuchen-Fick«.

      Bei wolkenlosem Himmel überfliegt die Kampfgruppe den Kanal ohne Feindberührung, aber kurz vor der Küste wird die Formation von ›Spitfires‹ und ›Hurricanes‹ abgefangen und gesprengt. Da sich die Piloten des Fighter-Command nicht an die Befehle des deutschen Reichsmarschalls halten, kommt die Gruppe, in wilde Luftkämpfe verwickelt, doch noch zu ihrer eigentlichen Bestimmung. Bei der wilden Kurbelei gelingt Fabian ein letztes Mal der Trick, den ihm keiner nachmacht: er fährt die Landeklappen aus, drosselt den Motor bis zum Äußersten, reißt die 109 in die denkbar engste Schleife und kommt von unten, statt aus der Überhöhung anzugreifen. Er überrumpelt den R.A.F.-Piloten, dem man auf der Jagdschule eingetrichtert hat: »Denk an den Hunnen in der Sonne.«

      Ein kurzer Feuerstoß.

      Fabian verfolgt, wie die brennende ›Spit‹ nach unten trudelt. Über Sprechfunk gibt er seinen Leuten den Befehl, die Luftkämpfe abzubrechen und ihre gejagten Schützlinge wieder einzuholen.

      Unter ihm liegen normannische Kirchen, idyllische Wasserläufe, Dörfer mit Strohdächern; in 4000 Meter Höhe überfliegt der Hauptmann eine Kathedrale, deren Türme mit greisen Fingern nach oben zeigen, zum Himmel, an dem Platznot herrscht. In rollenden Einsätzen, in gestaffelten Höhen greifen seit Stunden Bombenflugzeuge mit dem Balkenkreuz Ziele in Südengland an, werden abgedrängt oder kommen durch, werfen ihre Bombenteppiche ins Ziel oder setzen sie wahllos ins Gelände. Mitunter sieht die Erde von oben aus, als trüge sie eine Gänsehaut.

      Plötzlich gerät der Verband in eine Flak-Falle. Die erste 111 platzt in der Luft, eine zweite steht in Flammen. Fabian versucht im ›Bügeleisen-Walzer‹ aus den Sprengwölkchen herauszukommen, schafft es fast, dann reißt eine Granate seine linke Tragfläche auf – und das ist das Ende.

      Er öffnet das Kabinendach, legt das unwillige Wrack auf den Rücken, läßt sich nach unten fallen, zählt die Sekunden mit, acht, neun, zehn, besonnen und ohne Hast zieht er die Reißleine, spürt, wie sich der Schirm über ihm öffnet und die Fallgeschwindigkeit bremst.

      Langsam pendelt er nach unten, auf Felder und Wiesen zu, die immer größer werden.

      Links unter ihm fleddern Souvenirjäger das Wrack eines rauchenden He-Bombers. Eine halbe Meile ostwärts steht ein Gehöft in Flammen, getroffen vom Notwurf einer Ju 88. Im Süden ballert die Flak wie wild auf einen neu eingeflogenen Verband. Eine ›Hurricane‹ fliegt so nahe an ihm vorbei, als wolle der Pilot ihn rammen. Fabian glaubt zu sehen, daß der Flugzeugführer ihn angrinst, und grinst sicherheitshalber zurück. Schwebend und baumelnd erfaßt er, daß der Wind ihn nach Süden weitertreibt, über eine halbverfallene Burg hinweg, auf schier endloses Weideland zu. Er winkelt die Beine ab, um beim Aufkommen elastisch zu sein. Er ist schätzungsweise noch 80 Meter über der Erde, noch 60, noch 40. Kurz vor der Landung bedauert er flüchtig, trotz des Verbots seines Ex-Kommodores, mit Tennisschuhen gestartet zu sein, und in den letzten Metern über der Erde sieht Fabian, daß er unweigerlich auf einem freistehenden Aborthäuschen inmitten einer großen Weide aufkommen wird. Seine Pendelbewegungen sind zwecklos. Der Bruchpilot knallt voll auf das Dach und bricht mit einem Bein durch bis zum Oberschenkel. Schließlich schafft er es, sich vom Schirm zu lösen. Die weiße Seide flattert davon und wird wohl bald das Brautkleid zu einer südenglischen Hochzeit beisteuern.

      In seinem linken Bein flammen Schmerzen auf. Trotz aller Anstrengung kann Fabian es nicht aus dem zertrümmerten Dach ziehen. Er ist erleichtert, als er drei Landarbeiter – fuchtelnd, mit Heugabeln bewaffnet – heranstürmen sieht. Er überlegt, ob er die Hände heben soll, – aber er braucht sie, um sich abzustützen. Zu Beginn der Luftschlacht hatte die Angst vor deutschen Fallschirmjägern gelegentlich zu wilden Jagdszenen in Südengland geführt, aber seit die Bevölkerung aufgeklärt wurde, daß nur mindestens sechs gleichzeitig Abgesprungene Fallschirmjäger sein können – das größte britische Bomberflugzeug hatte zu dieser Zeit nur fünf Besatzungsmitglieder –, hat sich die Panik gelegt.

      »I surrender!« schreit Fabian, als die Landarbeiter in Rufnähe sind: »I surrender!«

      Der Vordere trägt die Mistgabel waagerecht wie ein Gewehr im Anschlag. Als er sieht, daß das Aborthäuschen bereits den Nazipiloten geschnappt hat, lacht er schallend. Sie legen alle drei ihre Primitivwaffen beiseite, um den Vogel von der Leimrute zu holen, eine schmerzhafte Bergungsaktion für Fabian.

      »Von einer Scheiße in die andere«, schimpft er lachend.

      »What did you say?« fragt der Mann zu seiner Linken.

      Aber Fabians


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