Pizarro. Reimar Paul
und Josh Sargent als einzige Spieler: Auf Platz 1. Dabei hat die Spielzeit gar nicht gut begonnen. In den ersten beiden Partien gegen Fortuna Düsseldorf und die TSG Hoffenheim, in denen eine fette Punktebeute eingeplant war, setzte es Niederlagen. Pizarro wurde in beiden Spielen eingewechselt, konnte aber keine Akzente setzen.
KAPITEL 2 Fünfmal ist Bremer Recht: Der Greis schließt sich
Sonntag, 29. Juli 2018. Der Kölner „Express“ ist am schnellsten. Das Boulevardblatt hat es in der Nacht in seiner Online-Ausgabe berichtet, die Meldung verbreitet sich rasend schnell in den sozialen Netzwerken, und wenig später verkündet der SV Werder Bremen offiziell auf seiner Homepage: „Er ist wieder da!“ Er, Claudio Pizarro, der verlorene und wiedergefundene Sohn, verehrt als Heilsbringer und Halbgott, kehrt mit fast 40 Jahren noch einmal als Spieler nach Bremen zurück. Zum fünften Mal nach 1999, 2008, 2009 und 2015. Das ist Bundesliga-Rekord. Einer von vielen, die mit dem Namen Pizarro verbunden sind.
„Pizza“ ist mit bis zu diesem Zeitpunkt 192 Treffern der beste ausländische Torjäger der Bundesliga-Geschichte. Mit 104 Bundesliga-Toren ist er auch Werders Rekordtorschütze. Insgesamt erzielte der Peruaner bis dato in 271 Pflichtspielen 144 Treffer für Bremen. Nicht zu vergessen: Pizarro brachte Werder auch eine Rekordablöse ein. Rund acht Millionen Euro überwies Bayern München 2001 nach Bremen, um den Stürmer aus seinem laufenden Vertrag herauszukaufen. Inklusive Gehalt, Handgeld und Vermittlerprovision soll der Deal sogar rund 50 Millionen Euro schwer gewesen sein.
Die Superlative lassen sich fortschreiben: Pizarro ist sechsmaliger Deutscher Meister, 446-maliger Bundesligaspieler, im Torschützen-Ranking der Liga insgesamt liegt er auf Platz fünf. Der in Deutschland bekannteste und beliebteste Peruaner ist er ohnehin.
Keine Frage, die Verpflichtung von „Pizza“ ist die Sensation der sich dem Ende zuneigenden Transfer-Periode 2018. Nicht nur aus Sicht des Vereins – mit dem Niederländer Davy Klaassen, dem Japaner Yuya Osako, Kevin Möhwald aus Nürnberg und Martin Harnik (später wird auch noch Nuri Sahin zum Kader stoßen) haben die Bremer zuvor schon mehrere Hochkaräter verpflichtet, die nach vielen mauen Jahren helfen sollen, das erklärte Ziel „Europa“ zu erreichen. Auch bundesweit sorgt der Coup für Furore.
Erste Überlegungen, Pizarro erneut an die Weser zu holen, gibt es bei Werder schon länger. Bereits im Januar hat „Pizzas“ Berater und Kumpel Carlos Delgado beim Bremer Manager Frank Baumann vorgefühlt, ob und zu welchen Konditionen eine Verpflichtung denkbar sei. Richtig Fahrt auf nimmt die Sache aber erst im Frühsommer, als sich abzeichnet, dass der ohnehin dauerverletzte Werder-Stürmer Aron Johannsson wegen einer Fußverletzung mehrere Monate ausfallen wird.
Die Geschäftsführung, die sportliche Leitung und der Aufsichtsrat von Werder entschließen sich, Pizarro zu verpflichten. Der Verein will die Rückholaktion unbedingt so abwickeln, dass die Öffentlichkeit keinen Wind davon bekommt und der Spieler nicht vorher in Bremen gesehen wird. „Es war uns ganz wichtig, dass das Thema nicht vorher als Gerücht durch die Medien geistert. Deshalb sind wir besonders vorsichtig gewesen“, sagt Baumann mit Blick auf den Hype drei Jahre zuvor. Als 2015 Claudios damalige – vierte – Rückkehr zu Werder durchsickerte, drehten die Fans buchstäblich durch. Einige hatten seinen Abflug in München mitbekommen, Hunderte empfingen ihn wie einen Popstar mit Sprechchören und Gesängen am Bremer Flughafen.
Dieses Mal wählen die Beteiligten den Umweg über Hannover. Pizarro checkt dort am Abend des 28. Juli in einem Hotel ein, Baumann holt ihn morgens mit dem Auto ab: „Im Weserstadion haben wir dann alles klargemacht“, berichtet der Manager. Bei seinem fünften Engagement bei Werder bekommt „Pizza“ die Rückennummer 4. Seine Lieblingsnummer 14, mit der er insgesamt 14 Spielzeiten für Werder, den FC Bayern München und den FC Chelsea auflief, ist leider schon vergeben. An den Nachwuchsspieler Ole Käuper.
Claudio, der nach seinem Intermezzo beim 1. FC Köln ablösefrei ist, erhält einen leistungsbezogenen Einjahresvertrag. Das heißt, er bekommt ein relativ niedriges Grundgehalt – die Rede ist von 300.000 Euro –, er kassiert aber Prämien, wenn er eingesetzt wird und möglicherweise auch für Tore. Genaueres wird nicht bekannt. Aber allen ist klar: Selbst bei viel Spielzeit und vielen Treffern dürften die Ausgaben allein durch den Verkauf von Pizarro-Trikots und anderen Devotionalien mit seinem Konterfei locker wieder eingespielt werden.
Denn der Peruaner ist in Bremen seit vielen Jahren Publikumsliebling, mehr noch: Er ist eine Kultfigur. Das hat, zum einen, natürlich mit seinen außergewöhnlichen Leistungen und Rekorden als Fußballspieler zu tun. Aber ebenso mit seinem charmanten Auftreten, seinem ewigen Lachen, seiner nach außen getragenen Lebensfreude, seiner scheinbar immerwährenden guten Laune. Nicht nur weibliche Fans schwärmen für Claudios Aussehen, wie unzählige einschlägige Posts in den sozialen Netzwerken belegen.
Die Verpflichtung im Sommer 2018 kommt dennoch mehr als überraschend. Denn Pizarro hat ein Jahr zuvor, nach Auslaufen seines bis dahin letzten Vertrages und einer Saison mit vielen Verletzungen, auf Betreiben des damaligen Trainers Alexander Nouri in Bremen kein neues Arbeitspapier bekommen. Nouri, so sagen es in Bremen jedenfalls viele, habe sich dabei mehr an Claudios Popularität als an seiner zuletzt nicht mehr durchgängig guten Performance auf dem Rasen gestört.
Auch Baumann, der dem von ihm selbst als Coach installierten Nouri nicht widersprechen und schon gar nicht in den Rücken fallen konnte, hat sich 2017 öffentlich gegen eine Vertragsverlängerung mit Pizarro ausgesprochen. Und zwar „aufgrund der großen Konkurrenzsituation im Angriff und der jungen Talente, deren Entwicklung wir nicht blockieren wollten“, so der Manager. „Wir müssen an die Zukunft denken.“ „Pizza“ hat daraufhin äußerst verstimmt die Stadt verlassen und beim 1. FC Köln angeheuert. Er kommt beim späteren Absteiger aber nur sporadisch zum Einsatz.
Nun also die Rolle rückwärts. „Wir haben uns dazu entschlossen, noch einen richtigen Mittelstürmer dazuzunehmen, der unseren Kader richtig gut ergänzen wird“, sagt Baumann, der früher noch gemeinsam mit „Pizza“ auf dem Platz stand, an jenem Sonntag. „Claudio ist zudem mit seiner Qualität und Erfahrung genau der richtige Spieler, um auch unsere jungen Spieler auf das nächste Level zu heben.“ Im Klartext: Pizarro soll nicht nur als Stürmer auf dem Platz stehen und Tore schießen, sondern sich auch als eine Art Zusatztrainer und Mentor um die Bremer Nachwuchsangreifer Johannes Eggestein und Josh Sargent kümmern.
Dass „Pizza“ ein Jahr vorher quasi vom Hof gejagt wurde, erklärt ein entspannt wirkender Baumann am Sonntagabend in der Radio-Bremen-Sendung „buten un binnen“ so: Einer seiner Grundsätze als Manager sei es, dass bei Transfers sowohl er als auch der jeweilige Trainer übereinstimmen müssten. „Wenn einer, entweder der Trainer oder ich, das ablehnt oder nicht gut findet, dann machen wir das nicht. Das war vielleicht im letzten Jahr der Fall.“
Mit Florian Kohfeldt, der Nouri am 30. Oktober 2017 als Cheftrainer ersetzt und mit einer fulminanten Rückrunde und einer offensiven Spielweise bundesweit auf sich aufmerksam gemacht hat, gibt es diese Differenzen offensichtlich nicht. Auch aus Kohfeldts Sicht macht die Rückholaktion Sinn. „Claudio weiß, dass er nicht zwangsläufig ein Startelf-Kandidat sein wird“, wird der Trainer auf der vereinseigenen Internetseite zitiert. „Aber er wird einen Effekt in der Kabine haben und mit seiner extrem positiven Energie, seiner Überzeugung und seinem Erfolgshunger dieser Mannschaft guttun.“
Dass „Pizza“ vor allem als Gute-Laune-Onkel zum Zuge kommen soll, sehen auch manche Kommentatoren so. „Der durchweg positive Typ Claudio Pizarro (wird) für das Innenleben des ganzen Teams wieder eine Bereicherung sein“, heißt es etwa bei der „DeichStube“, dem Werder-Portal der „Kreiszeitung Syke“. Pizarro bringe etwas mit, was für Werder momentan vielleicht sogar das Wertvollste sei: „Seine grenzenlose Strahlkraft nach außen.“
Dem rein sportlichen Aspekt der abermaligen Pizarro-Rückkehr komme hingegen „eine untergeordnete Bedeutung“ zu. Pizarro sorge dafür, dass die Anzahl an Alternativen im Angriff nicht sinke – „spielen wird er aber trotzdem nur, wenn es sein muss. Als Back-up-Lösung, als Mann für die letzten Minuten.“
Pizarro selbst richtet den Blick nach vorn. „Das ist genial für mich“, sagt