Fußball durch Fußball. Marco Henseling
Individualtaktik beschreibt die Maßnahmen, die ein einzelner Spieler für bestimmte Handlungen in Offensive und Defensive zur Verfügung hat und auswählt (etwa Dribbling, Finten, Zweikampfverhalten). Bei der Individualtaktik geht es quasi um die spezielle Anwendung technischtaktischer Aktionen des einzelnen Spielers und die dabei – beispielsweise im Zweikampf – erzeugten Wechselwirkungen mit dem Gegner.
Bei der Gruppentaktik handelt es sich um Maßnahmen, bei denen das Handlungsfeld durch andere Spieler erweitert wird (wie Passspiel, Raumverengung, Doppeln). Die Mitspieler treten in eine Wechselbeziehung und agieren gemeinsam.
In der Mannschaftstaktik werden die Maßnahmen aller Spieler und Gruppen aufeinander abgestimmt (etwa Verschieben im Block, Positionsspiel). Hierbei geht es um die kollektive Spielumsetzung und von allen Spielern grundsätzlich angewendeten Aspekte sowie die Wirkung auf das gesamte gegnerische Team.
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Die Strategie ist die grundsätzliche (langfristige) Orientierung der Mannschaft, die ohne Berücksichtigung des speziellen Gegnerverhaltens vorgegeben wird. Bei der Strategie geht es vor allem darum, grundsätzlich festzulegen, welche Gewichtung besondere Pressingvarianten (Pressingintensität / -höhe), bestimmte Räume, Stile des Spielaufbaus und Deckungsarten (Mann- oder Raumorientierungen) erhalten. Anstelle von Strategie können auch die Begriffe (Spiel-)Stil, Ausrichtung oder Plan verwendet werden. Manchmal ist auch von „Philosophie“ die Rede, obgleich in diesem Wort eher eine idealisierte Wertung strategischer und taktischer Möglichkeiten liegt.
Strategie und Taktik stehen in einem engen Verhältnis. Einzelne Positionsänderungen, die Besetzung spielrelevanter Räume, die Wahl bestimmter Passwege oder die Ausführung eines Dribblings sind allesamt (taktische) Maßnahmen, die situativ dafür sorgen sollen, die zuvor festgelegte Strategie umzusetzen. Umgekehrt gibt die Strategie vor, wie in bestimmten Situationen taktisch agiert werden sollte (Rn. 37f.). Während also die Strategie eine Art Katalog möglicher Entscheidungen für die einzelnen Spielmomente vorgibt, beschreibt die Taktik die Auswahl der letztendlichen Entscheidung für die jeweilige Situation.
„Der Taktiker muss wissen, was er zu tun hat, wenn es etwas zu tun gibt; der Stratege muss wissen, was er zu tun hat, wenn es nichts zu tun gibt.“ – Savielly Tartakower (1887-1956), Schachgroßmeister
10 Entgegen der sonst oft oberflächlichen und ungenauen Verwendung der Begriffe „Offensive“ und „Defensive“ werden hier klare Definitionen genutzt. Die Offensive ist der Moment des eigenen Ballbesitzes; die Defensive der Moment des gegnerischen Ballbesitzes. Diese beiden Termini beschreiben also keine Positionen oder Orte auf dem Feld, sondern geben nur Auskunft darüber, welche Mannschaft im Besitz des Balles ist. Andernfalls käme es unweigerlich zu Missverständnissen: Ist ein offensiver Mittelfeldspieler von Abwehraufgaben befreit? Gibt es offensive Räume, wenn der Gegner den Ball hat? Kann ein „Sechser“ mit den meisten Ballkontakten innerhalb seines Teams ein defensiver Mittelfeldspieler sein?
Wenn im Folgenden also von offensiven Spielern (Angreifern) die Rede ist, sind damit all diejenigen Akteure gemeint, deren Mannschaft gerade im Besitz des Balles ist. Dementsprechend befinden sich die defensiven Spieler (Verteidiger) bei derjenigen Mannschaft, die nicht in Ballbesitz ist. Im Falle von Räumen und Positionen werden statt „offensiv“ / „defensiv“ die Worte „vorne“ / „hinten“ respektive „hoch“ / „tief“ verwendet.
Geschlecht
11 Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind wegen des Körperbaus nicht unerheblich. So haben Frauen eine zwei- bis achtmal höhere Verletzungsrate als Männer, die den gleichen Sport betreiben. Weibliche Fußballer erleiden etwa 2,8-mal häufiger einen Kreuzbandriss als männliche. Obwohl bisher keine gesicherten Feststellungen über die Ursachen dieser Ungleichverteilung an Verletzungen vorliegen, werden neben Hormonen auch anatomische Unterschiede diskutiert.
In den Wissenschaften dominiert die Betrachtung männlicher Athleten, sodass hinsichtlich weiblicher Sportler nur wenige gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Dies bezieht sich insbesondere auf die konditionellen Aspekte. Zumindest im Hinblick auf technisch-taktische Aspekte können jedoch die gleichen Schwerpunkte gesetzt werden. Im Sinne eines flüssigen Lesens wird im Folgenden nur die männliche Schreibweise genutzt.
Zum Schluss möchten wir noch denjenigen danken, die uns bei der Erstellung dieses Buches mit Rat und Tat unterstützt haben. Verpflichtet fühlen wir uns insbesondere unseren Interviewpartnern Tobias Langner und Stefan Sevecke, Martí Perarnau, Roger Schmidt und Robert Matosevic. Unser Dank gebührt aber ebenso den Kollegen von Spielverlagerung.de, insbesondere Martin Rafelt.
Anmerkungen:
1Bisanz / Gerisch 2008, S. 377.
2Lopes 2011, S. 66.
Abbildungslegende:
1.Methodische Grundlagen
13 Bis heute werden vielerorts taktische Inhalte hauptsächlich an der Taktiktafel besprochen, Techniken ohne Gegnerdruck eingeschliffen und konditionelle Elemente ohne Bezug zur jeweiligen Sportart trainiert. Jeder dieser drei Aspekte wird für sich und getrennt von den jeweils anderen beiden abgehandelt. Dabei zeigen jüngere Erkenntnisse in den Sportwissenschaften und die Erfolge Pep Guardiolas, Louis van Gaals und José Mourinhos, dass ein isoliertes Training von Technik, Taktik und Kondition überholt ist. Jede einzelne Situation nämlich, die im Laufe einer Partie entstehen kann, erfordert zur Lösung eine Entscheidung (taktischer Aspekt), eine daran anschließende motorische Fertigkeit (technischer Aspekt), deren Qualität von der Kondition abhängt (physischer Aspekt), die wiederum durch eine Emotion gesteuert wird (mentaler Aspekt).1 Diese Ganzheitlichkeit, nach der die einzelnen Aspekte von Taktik, Technik, Physis und sogar Psyche nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern vielmehr als untrennbare Einheit,2 muss in der Trainingspraxis Berücksichtigung finden.
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Gleichzeitig sind auch der Reifegrad und das Leistungsniveau zu beachten, damit Komplexität und Schwierigkeitsgrad der Übungen angepasst werden können. Sollen Spieler beispielsweise neue Strategien oder taktische Elemente lernen, müssen diese anders trainiert werden als bei solchen Spielern, die diese Elemente bereits beherrschen. Kinder und Jugendliche sind kleiner und schwächer als Erwachsene und können schon allein deshalb nicht auf die gleiche Weise trainiert werden. Zudem macht das menschliche Gehirn im Laufe des Lebens ständig Veränderungen durch. Die Persönlichkeit ändert sich, Bewegungen werden erlernt und verfeinert, Erfahrungen gesammelt, und das Verständnis komplexer Zusammenhänge nimmt altersabhängig zu oder ab. Auf all diese Variablen muss unterschiedlich reagiert und die Methodik entsprechend angepasst werden. Im Folgenden werden dafür Möglichkeiten aufgezeigt.
1.1Vorüberlegungen
15 Die Erfordernisse zur Lösung einer Spielsituation ergeben sich primär aus der taktischen Perspektive. Der Athlet nimmt die Spielsituation wahr, verarbeitet die wahrgenommenen Informationen, sucht Lösungen, trifft eine Entscheidung und führt diese aus. Die Ausführung – der technische Aspekt – erzeugt eine neue Situation, und der Prozess beginnt von vorn.
Abb. 1: Phasen taktischen Handelns (nach Bruckmann / Recktenwald 2010, S. 42)
Die Strukturen einer Spielsituation werden also durch die jeweilige Qualität der Entscheidung der Spieler und der darauffolgenden Ausführung durch sie beeinflusst. Die Qualitäten von Entscheidung und Ausführung hängen wiederum von mentalen und athletischen Voraussetzungen, wie der Beweglichkeit und Ausdauer, ab. Der Grad der Fitness bestimmt, wie lange, wie schnell und wie oft Entscheidungen getroffen und ausgeführt werden können. Dabei arbeiten Nerven- und Muskelsystem auf verschiedenen Ebenen des Spielers (Wahrnehmung, Verarbeitung, Entscheidung, Ausführung)