Fußball durch Fußball. Marco Henseling

Fußball durch Fußball - Marco Henseling


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Sekunden wieder zurückzugewinnen (Gegenpressing, Rn. 90ff.). Gelingt ihr das, erhält sie einen Punkt. Gelingt es ihr nicht, soll sie sich nach hinten zum eigenen Tor orientieren. Auch die bloße Dauer einer Spielform hat Einfluss auf das Verhalten der Spieler. In kurzen Spielzeiten (zwei bis fünf Minuten) kann mehr Tempo gemacht werden, weil man nicht mit den Kräften haushalten muss. Gerät eine Mannschaft in einem solch kurzweiligen Spiel in Rückstand, bleibt ihr außerdem nicht viel Zeit, diesen Rückstand aufzuholen oder gar zu drehen. In längeren Spielformen müssen die Spieler ihre Kräfte hingegen einteilen. Sie müssen Tempo und Rhythmus variieren, um auch Erholungsphasen innerhalb des Spiels zu erzeugen (Rn. 39 und 192).

       Feldergrößen

      22 Mit zunehmender Spielfeldgröße (in Relation zur Spieleranzahl) steigt die Spielintensität,10 weil mehr gelaufen wird. Zwar sinkt dabei die Anzahl der Aktionen, allerdings steigt die Dauer derselben an. Je enger das Spielfeld ist, desto schneller hat die jeweils defensive Mannschaft Zugriff in Ballnähe. So kann etwa der Ball auf kleinen oder auch engen Feldern schneller unter Druck gesetzt werden. Um dies zu kompensieren, muss die ballbesitzende Mannschaft den Ball noch schneller (direkter) zirkulieren lassen. Denn je schneller der Ball in den eigenen Reihen zirkuliert wird und je geringer die individuelle Ballbesitzzeit ist, desto schwieriger ist es für den Gegner, den Ball zu erobern, weil er zwar den Ballführer anlaufen, aber nicht mehr stellen kann (Rn. 254f.). All dies hat eine Schulung der Technik zur Folge, weil die jeweiligen Anforderungen in engen Räumen größere Fehlerquellen mit sich bringen (Rn. 365ff.).

      In größeren Räumen hingegen ist vor allem eine kluge Raumbewertung und -aufteilung von entscheidender Bedeutung, um in Ballnähe den Raum zu verengen; gleichzeitig darf aber andernorts kein nutzbarer Freiraum für den Gegner entstehen. Die ballbesitzende Mannschaft kann den Gegner durch ein weiträumiges Passspiel zu vielen Bewegungen zwingen und so ermüden. Die Feldgröße muss folgerichtig stets realistische Anforderungen an die Spieler stellen. Mit acht Spielern (vier pro Mannschaft) auf 100 Quadratmetern zu spielen, erlaubt keinerlei Spielfluss, weil das Feld schlichtweg viel zu eng ist. Mit der gleichen Spieleranzahl auf einer Platzhälfte (3.570 Quadratmeter) zu spielen, ist ebenso unrealistisch, weil die Akteure nach wenigen Minuten völlig ermüdet sind, ohne dass eine zufriedenstellende Zahl an Ballaktionen zustande kommt.

       Feldformen

      23 Auch die Feldformen können unterschiedlich gestaltet sein. Felder können breiter als lang sein (Rn. 383ff.) oder extrem eng, dafür aber sehr lang. Anstatt Spiele in rechteckigen Feldern abzuhalten, können sie auch im Mittelkreis durchgeführt werden. Selbst ellipsen- oder rautenförmige Felder sind möglich. Auf diese Weise werden die Raumwahrnehmung und die daraus resultierende -nutzung variiert. So nutzte etwa Thomas Tuchel in seiner ersten Vorbereitung mit dem BVB rautenförmige Spielfelder, um Vertikalpässe in den Außenzonen zu unterbinden. Legt man Tabuzonen innerhalb des Spielfeldes fest, können bestimmte taktische Verhaltensweisen erzwungen werden. Sollen die Spieler beispielsweise Angriffe über außen aufbauen, werden zentrale Zonen abgesteckt, die nicht bespielt werden dürfen. Um einen Flügelangriff für eine bestimmte Seite zu forcieren, empfiehlt sich die sogenannte „Banane“.11 Hierbei dürfen lediglich die Strafräume und eine der beiden äußeren Zonen bespielt werden. In Verbindung mit Zeitlimits können Konter über die Flügel trainiert werden.

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      Abb. 4: Tabuzone Zentrum

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      Abb. 5: Tabuzone „Banane“

       Spielziele

      24 Eine unterschiedliche Zielsetzung hinsichtlich Toren und festgelegten Spielrichtungen erzeugen eigene Spielformen. Spielformen, die ohne Tore und ohne eine feste Spielrichtung absolviert werden (Rn. 340 bis 343, 345), fördern kein angriffsorientiertes Spielen, sondern haben das ballsichernde Passspiel zum Gegenstand. Dabei gibt es kein Abseits. Dies ermöglicht es allen Spielern, sich frei im Raum zu bewegen.

      Finden Spielformen zwar mit Toren, dafür aber ohne eine feste Spielrichtung (Rn. 346, 350, 351 und 378) statt, ist zunächst ein ballsicherndes Passspiel angebracht, um erfolgreiche Angriffshandlungen mittels ständiger Verlagerungen vorzubereiten. Wird der Ball verloren / erobert, müssen beide Teams schnell umschalten. In Spielformen mit fester Spielrichtung, aber ohne Tore (Rn. 344, 347 und 349) geht es um ein raumgewinnendes Spiel. Ziel solcher Spielformen ist der Ballvortrag an sich. Übungen, die sowohl eine feste Spielrichtung haben als auch mit Toren durchgeführt werden (Rn. 360 bis 377, 380 bis 385), stellen wettkampfnahe Spielformen unter Berücksichtigung der Abseitsregel dar und erfordern somit sämtliche technisch-taktischen Aspekte des Fußballs.

       Spieleranzahl

      25 Variationen der Anzahl der Mannschaften und der Anzahl der Spieler pro Mannschaft eröffnen zahlreiche taktische Möglichkeiten. So kann Einfluss auf die technisch- taktischen Anforderungen genommen werden. Bei mehr als zwei Mannschaften können sich situative „Allianzen“ zwischen den einzelnen Teams ergeben, sodass es dabei zu Über- / Unterzahlsituationen kommt (Rn. 342f.). Auch die Verwendung neutraler Spieler bei zwei ansonsten gleichstarken Mannschaften führt zu Über- / Unterzahlsituationen. Das sorgt unter anderem dafür, dass die verteidigende Mannschaft keine Manndeckung betreiben kann (Rn. 379ff.). Täte sie es trotzdem, wäre immer ein Angreifer frei. Stattdessen muss ball- und raumorientiert verteidigt werden, um trotz Unterzahl zumindest in Ballnähe Überzahl zu erzeugen.

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      Je weniger Spieler beteiligt sind, desto mehr Ballaktionen hat jeder Spieler. Um viele Dribbling- und Abschlussaktionen zu erzeugen, eignen sich Spielformen mit ein bis vier Spielern pro Mannschaft. In Spielformen mit acht oder mehr Spielern pro Mannschaft kommt es beispielsweise vermehrt zu Kopfbällen.12

      Mit steigender Spieleranzahl können zunehmend variable Formationen und Staffelungen entstehen. Je nach Formation werden Passoptionen erzeugt, auf die situativ reagiert werden muss (Rn. 376). Je mehr Spieler beteiligt sind, desto zahlreicher sind die möglichen Handlungsoptionen, was die Komplexität der Übung erhöht (Rn. 353).

ohne Spielrichtungmit Spielrichtung
ohne TorBallorientierungballsicherndes Passspielraumgewinnendes Passspiel
mit Torballsicherndes Passspielschnelles Umschaltenständige Verlagerungenwettkampfgemäße Anforderungen an sämtliche technisch-taktischen Aspekte

      Abb. 6: Zielsetzungen in Spielformen

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      Grundsätzlich muss auch das Niveau der Spieler berücksichtigt werden, damit einerseits stets Spielfluss möglich ist und die Spieler andererseits nicht unterfordert werden. So werden sich kombinationsstarke Spieler in engen Räumen besser zurechtfinden als Spieler, die dahingehend (noch) Defizite haben. Je höher die technisch-taktischen Fähigkeiten der Spieler sind, desto engere Felder können gewählt werden. Auch die Einschränkung der individuellen Ballberührungen wird in Abhängigkeit des Spielerniveaus bestimmt. Novizen werden es beispielsweise kaum schaffen, den Ball direkt zu passen. Stattdessen brauchen sie Zeit, um das Spielgerät unter Kontrolle bringen zu können.

       Zusammenfassung

      28 Kombiniert man mehrere Vorgaben miteinander, entsteht ein hochkomplexes Spielreglement mit hohem Schwierigkeitsgrad, das auch die Konzentration der Akteure fordert und fördert und so nicht zuletzt Auswirkungen auf die mentalen Aspekte hat. Denn im Wettkampf gibt es die beschränkenden Vorgaben des Trainings ja nicht; der Spieler kann sich freier entfalten und wird unweigerlich merken, dass die Situationen im Spielverlauf zwar nicht weniger komplex, dafür aber leichter zu handhaben sind als im Training. Eine schnellere und bessere Wahrnehmung sowie Entscheidungsfindung und eine größere Resistenz gegen Stress


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