Rescue: Zeig's mir mit Gefühl. Janice Blendell
war aufgrund der Entfernung zwischen Minneapolis und Minnesota, wo sich die Kanzlei befand, nach Minnesota gezogen. Den Abschluss der Ausbildung absolvierte sie mit Bestnoten und seitdem stand ihr Job an erster Stelle in ihrem Leben.
Dabei blieb ihr Privatleben natürlich auf der Strecke. Für eine Beziehung blieb ihr wenig Zeit, und auch in puncto Sex war sie eher unerfahren, was sicher auch an ihrer eigenen Unsicherheit lag. Sie selbst fand sich nicht besonders attraktiv. Ihren Busen fand sie schön, aber ihr Oberkörper war im Vergleich zu ihren Hüften eher schmal, dafür wirkten ihre Beine kräftig, weil sie einen rundlichen Po hatte.
Die anderen Frauen in der Kanzlei waren alle schlank, trugen eng anliegende Kleider und liefen auf Pumps mit derart hohen Absätzen herum, dass Karens Füße schon beim Zusehen schmerzten. Karen trug am liebsten Hosenanzüge mit engen Blusen darunter, die ihren Oberkörper betonten und von ihren Beinen und ihrem Po ablenkten. Ihre Schuhe hatten dezente Absätze, die ihre Beine oft kurz wirken ließen.
Sie war ganz in ihre Gedanken versunken. Plötzlich stieß jemand ein Glas um und das Geräusch holte Karen aus ihren Gedanken zurück. Als sie aufblickte, starrte sie geradewegs in Tom Watts Augen. Er schien sie zu mustern. Sie errötete, steckte verlegen eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und senkte den Blick.
Nach der Konferenz gingen alle wieder zurück in ihre Büros, und obwohl es nicht zu ihren Aufgaben gehörte, stellte Karen das benutzte Geschirr zusammen und brachte es in die Küche. Da sie Tom Watts nicht gleich wieder auf dem Flur begegnen wollte, räumte sie die Tassen und Gläser auch noch in den Geschirrspüler. Erst als die Gespräche im Flur leiser wurden, ging auch sie zurück in ihr Büro.
Das Kommunikationsfenster auf ihrem Bildschirm ploppte auf und unterbrach sie bei der Überarbeitung des Protokolls. Alle PCs waren miteinander vernetzt und man konnte mit anderen Mitarbeitern Unterhaltungen führen, ohne das Telefon benutzen zu müssen.
„Hat Ihnen gefallen, was Sie beobachtet haben?“
Karen starrte das kleine Fenster auf ihrem Monitor an, denn die Nachricht kam von Mr. Watts. Auf was wollte er hinaus?
Unentschlossen, ob sie antworten sollte, verstrichen einige Minuten.
„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“
„Nein? Dann sollten wir darüber reden. Wollen Sie mich zum Mittagessen begleiten?“
Karen stockte, dann las sie die Nachricht erneut. Es war zwar durchaus üblich, dass die Angestellten die Mittagspause zusammen verbrachten, aber nicht mit einem der Chefs.
„Hat es Ihnen die Sprache verschlagen oder sind Sie wegen heute Morgen, bezüglich des Kaffees, verärgert?“
Karen lächelte. Schnell schrieb sie zurück. „Ich gebe zu, dass ich es nicht gewohnt bin, Befehle zu erhalten, und ein kurzes Dankeschön hätte ich auch für angemessen gehalten, dennoch gebe ich Ihnen die Möglichkeit, diesen Fauxpas bei einem Mittagessen zu korrigieren. Wir können uns um eins unten vor der Tür treffen, wenn es Ihnen recht ist.“ Gespannt wartete sie auf seine Antwort.
„Wunderbar! Bei der Gelegenheit können Sie mir mehr über Ihren Aufgabenbereich und den Ihrer Kolleginnen erzählen. Bisher weiß ich nicht sehr viel über die einzelnen Bereiche und mit welchen Aufgaben ich wen betreuen kann. Ich hole Sie um eins in Ihrem Büro ab. Bis später.“
Das Fenster verschwand und Karen starrte einige Sekunden den Bildschirm an.
Bis zur Mittagspause arbeitete sie an dem Protokoll. Sie prüfte es ein letztes Mal, bevor sie es an ihre Chefs und in Kopie an alle Mitarbeiter verschickte. Plötzlich klopfte es an ihre Tür und Karen sah von ihrem Bildschirm hoch. „Herein.“
Die Tür öffnete sich und Tom Watts stand in ihrem Büro.
„Oh, schon so spät?“ Karen sah auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „Ich dachte, wir treffen uns unten?“ Ihre Stimme klang gereizter, als sie es beabsichtigt hatte. Sie wollte nicht, dass sie mit ihrem neuen Chef gesehen wurde, da es so aussehen könnte, als ob sie sich bei ihm einschmeicheln wollte.
„Nein, ich habe geschrieben, dass ich Sie abhole. Ist das ein Problem?“ Fragend sah er sie an.
Karen schüttelte den Kopf. Er drehte sich um und ging aus der Tür hinaus auf den Flur. Karen griff nach ihrer Tasche und folgte ihm.
Rechts neben Karens Büro befanden sich die Fahrstühle. Er drückte den Knopf, um einen der Fahrstühle zu holen. Schweigend warteten sie, bis sich die Türen des Fahrstuhls öffneten. Er machte eine einladende Handbewegung in den Fahrstuhl und ließ Karen den Vortritt. Sie fuhren nach unten und traten vor das Bürogebäude.
„Gut, wohin gehen wir?“ Fragend sah er sie an.
„Ein Stück die Straße runter ist Billy’s Diner. Es ist ein kleiner Laden, aber das Essen ist gut und bezahlbar.“ Sie zeigte mit dem Finger nach links, in die Richtung, in der das Lokal lag.
„Das klingt nett, ich folge Ihnen.“
Billy’s Diner war um diese Uhrzeit immer gut besucht. Sie hatten jedoch Glück und fanden einen freien Tisch am Fenster. Ein Kellner kam wenige Minuten später an ihren Tisch, um die Bestellung entgegenzunehmen. Karen bestellte einen Salat und Mr. Watts ein Steak mit Pommes.
Es dauerte nicht lange, bis das Essen gebracht wurde. Während sie aßen, unterhielten sie sich zwanglos über die Kanzlei, bis er das Gespräch auf Karen lenkte.
„Erzählen Sie mir etwas über sich. Wo sind Sie aufgewachsen, seit wann leben Sie hier, gibt es einen Mann an Ihrer Seite?“
Sie versuchte, nicht ins Detail zu gehen, denn schließlich war er ihr Chef und sie kannte ihn erst seit heute Morgen. „Ich komme aus Minneapolis und bin aus beruflichen Gründen nach Minnesota gezogen. Da ich sehr viel arbeite, hat ein Mann momentan keinen Platz in meinem Leben.“
„Dass Ihre Arbeit Sie so einnimmt, ist schade und sollte unbedingt geändert werden.“ Er lächelte charmant und sah ihr intensiv in die Augen.
Sie nickte und senkte verlegen den Blick.
Nach dem Essen begleitete er Karen noch zurück in ihr Büro. „Danke für die nette Mittagspause, das sollten wir unbedingt wiederholen.“ Er zwinkerte ihr zu, verabschiedete sich und verließ ihr Büro.
Danach trafen sie sich öfter zum Mittagessen. Karen war nicht wohl dabei, sie wusste nicht, wie die Kollegen darauf reagieren würden. Emma aus der Buchhaltung fragte Karen direkt, ob da etwas zwischen ihr und Mr. Watts laufen würde. Karen wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, und wich der Kollegin aus. Sie musste mit Tom darüber sprechen.
Sie nutzte einen Abend, an dem Tom sie zu sich zum Essen eingeladen hatte, um mit ihm über ihre Bedenken hinsichtlich der Arbeit zu sprechen.
Sie saß auf seiner Terrasse und Tom holte zwei Gläser mit Wein aus der Küche.
„Du siehst heute besorgt aus.“ Er hielt ihr ein Weinglas hin, Karen griff danach und atmete tief durch.
„Ich wurde von einer Kollegin gefragt, ob zwischen uns etwas laufen würde. Das gefällt mir nicht, weil ich nicht in Schwierigkeiten kommen möchte.“ Karen schaute zu ihm auf.
„Ja, Michael und Brandon haben mich heute auch darauf angesprochen.“
„Und? Was hast du ihnen gesagt?“
„Ich sagte, dass ich eine wundervolle Frau kennengelernt habe und sie sich keine Sorgen machen müssen, da sich unser Interesse füreinander nicht auf die Arbeit in der Kanzlei auswirken wird. Lass uns offen mit der Situation umgehen, dann muss keiner hinter unserem Rücken reden.“ Er trat dicht an Karen heran, senkte seinen Kopf und dieser erste Kuss raubte ihr den Atem.
Ein Schauer rieselte über ihre Haut. Er löste sich von ihr und sah ihr tief in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick, lächelte und nahm verlegen einen Schluck Rotwein.
Er behielt recht.