Mild ist die färöische Sommernacht - Ein Färöer-Krimi. Jógvan Isaksen
Außentür war versiegelt. Also war die Polizei dagewesen. Das freute mich, dadurch wurde mir Hugos Leiche erspart, aber wie sollte ich jetzt hineinkommen? Auf keinen Fall wollte ich mitten in der Straße stehen und in aller Öffentlichkeit das Siegel der Polizei brechen, und das galt auch für die Kellertür. Auf dieser Seite des Hauses stand kein Fenster angelehnt, und als ich in den Hof kam, sah ich nur das gleiche Siegel und die gleichen geschlossenen Fenster.
Während ich dastand und überlegte, ob ich eine Scheibe einschlagen sollte, oder ich ebensogut das Siegel brechen konnte, fiel mein Blick auf die Kellertür. Mit dem Siegel stimmte etwas nicht, war es nicht locker? Ich ging hin und schaute es genauer an. Es war aufgebrochen und schlampig wieder aufgeklebt worden.
Sinn eines Siegel ist es ja nicht, jemanden daran zu hindern, irgendwo hineinzukommen. Aber man kann sofort sehen, ob jemand dagewesen ist. Hier mußte es sich um eine Person handeln, der es ganz egal war, ob die Polizei wußte, daß sie dagewesen war. Oder war sie noch da? Es lief mir eiskalt den Rücken herunter. Ich hatte keine Waffe. Sollte ich die Polizei anrufen? Nein, das würde zu lange dauern und zu viele Umstände bereiten.
Ich löste das Siegel von der Tür und öffnete sie vorsichtig. Es war vollkommen still, nichts war zu hören, kein einziger Laut. Meine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit im Keller, und ich sah, daß niemand vor der Treppe lag. Ich sah mich nach einer Waffe um, ein Spaten und eine Mistgabel standen an die Wand gelehnt. In meiner Not war ich kurz davor, den Spaten zu ergreifen, wenn gleich er eigentlich zu groß war, um ihn als Waffe in einem Haus zu benutzen, da sah ich eine große rostige Rohrzange auf der Fensterbank liegen. Ich ergriff sie und fühlte mich gleich sicherer.
Die Treppe knackte, obwohl ich versuchte, so vorsichtig wie möglich zu gehen. Die Tür zum Flur war zu, ich stand oben auf der Treppe fast im Dunkeln, hielt den Atem an und lauschte. Nichts zu hören.
Ich drückte die Klinke hinunter und schob die Tür vorsichtig mit der linken Hand auf, während die rechte mit der Rohrzange bereit war.
Der kleine Flur hatte sich seit gestern verändert. Er war von einem Unwetter heimgesucht worden. Die Schubladen waren aus der Kommode herausgerissen und auf dem Fußboden ausgekippt worden, die Kommode umgeworfen, der Spiegel in einer Ecke zerschlagen, obenauf lag der Mantel. Ich versuchte, nirgends draufzutreten. Es war nichts zu hören. Die Türen zur Küche und zur Stube standen weit offen.
Zuerst ging ich in die Stube. Der Tornado war hier mindestens genauso zerstörerisch gewesen. Es gab nichts, was stand oder lag, wie es sollte, Möbel, Bücher und Nippes in einem riesigen Durcheinander. Mittendrin lag das zerschnittene Sigmund Pettersen-Gemälde. Die Küche war ein Dreckhaufen. Alle Dosen waren auf dem Boden ausgekippt: Zucker, Kaffee, Tee und Mehl überall. Eine Schicht Mehl bedeckte Tisch, Stühle und den Boden. Der Kühlschrank stand mit brennendem Licht offen.
Ich verließ den Schweinestall und ging die Treppe nach oben. Irgendjemand hatte nach irgendwas gesucht, und das konnte noch nicht lange her sein, denn die Polizei mußte heute vormittag hiergewesen sein. Aber auf keinen Fall waren sie es gewesen, wie schlampig sie auch sein mochten. Ich lauschte so gut ich konnte, strengte meine Ohren an, aber nichts. Nicht einmal eine Uhr hörte ich.
Bei jeder Stufe, die ich nahm, erschien mir das Knacken so laut, daß ich glaubte, die gesamte Nachbarschaft würde es hören können, ganz zu schweigen von dem, der vielleicht im 1. Stock war.
Mein Herz schlug schneller.
Mir brach der Schweiß aus, und die Hand, die die Rohrzange hielt, wurde feucht.
Oben am Treppenabsatz stand ich für einen Augenblick wie der Erzengel mit gehobenem Flammenschwert, bereit, alle Sünder auszutreiben. Aus der fernen Wirklichkeit konnte man ein Auto starten und wegfahren hören.
Vorsichtig schaute ich in die leeren Zimmer und ins Bad. Niemand. Wie unten war alles durchwühlt und lag in einem großen Tohuwabohu.
Die Tür zu Hugos Zimmer war nur angelehnt. Ich schlich mich zu ihr, schob sie mit dem linken Fuß auf, bereit, mit der Rohrzange zuzuschlagen.
Keine Menschenseele. Aber was für eine Bescherung: Kleidung, Schubladen, Modellflugzeuge, Bücher und überhaupt alles, was drinnen war, in einem heillosen Durcheinander.
Vieles davon war zerbrochen oder auseinandergerissen. Der Person, die nach etwas gesucht hatte, war es vollkommen gleich gewesen, ob man es merken würde, außerdem hatte sie nichts gefunden, so brutal wie sie zu Werk gegangen war. Es war offensichtlich Hugos Zimmer, das am gründlichsten untersucht worden war, denn hier gab es nichts, das nicht auseinandergenommen worden war.
Ich sah mich einen Moment lang um. Langsam ließ ich die Hand mit der Rohrzange sinken. Hier war niemand, also konnte ich sie ebensogut hinlegen, während ich nach Hugos Versteck suchte. Der Teppich sah alt und abgenutzt aus, die Farbe war eine undefinierbare Mischung aus Grau und Grün, war es etwa noch der gleiche Teppich wie vor 20 Jahren? Wo wohl das Versteck war? Auf jeden Fall an der Außenkante des Teppichs, an soviel konnte ich mich noch erinnern, und dann fiel mir noch eine Heizung ein. Unter dem Fenster stand eine vom alten Schlag, gesprenkelt mit Rostflecken wie mit Masern. Ich kniete mich hin und hob den Teppich hoch. Ja, da war ein Strich quer über zwei Bretterbohlen, und ca. 25 cm weiter wiederholte der Strich sich. Mit den Fingerspitzen konnte ich ein Brett zu fassen bekommen und hob es hoch. In dem Hohlraum lag eine braune Papiermappe mit einem Gummiband umwickelt. Ich nahm die Mappe und machte das Gummi ab. Sie war voll mit Zeitungsausschnitten, Fotos und Kopien. Das meiste drehte sich auf irgendeine Weise um den 2. Weltkrieg, so weit ich sehen konnte, denn im gleichen Augenblick, als ich das Material näher untersuchen wollte, hörte ich, wie eine Tür neben mir geöffnet wurde.
Der Schrank, fuhr es mir noch blitzartig durch den Kopf, und ich wollte mich gerade zu dem Geräusch umdrehen, als ich von einem harten Schlag getroffen wurde und ausging wie ein Licht.
12
Stimmen. Weit weg redete jemand. Mir war übel und ich war vollkommen kraftlos, ich schaffte es nicht, mich zu übergeben, schaffte es nicht, zur Besinnung zu kommen. Die Stimmen kamen näher, wurden deutlicher. Ich versuchte, sie zu ignorieren, wollte nichts hören, nur meine Ruhe haben.
Aber die bekam ich nicht. Jetzt merkte ich, daß da jemand an mir zog, mich rüttelte, die Schmerzstöße durchschnitten meinen Kopf wie ein Messer, und dann schoß es aus mir heraus. Irgendjemand hob mich hoch und hielt meinen Kopf nach unten, während es aus mir herausquoll, bis nur noch grüner Schleim von meinen Lippen tropfte. Die Schmerzen in meinem Kopf waren nicht fort, aber ich fühlte mich etwas besser und kam unsicher auf die Beine.
Zwei Männer standen vor mir. Den einen kannte ich nicht, er trug eine Polizeiuniform, war groß, schlacksig und jung. Er versuchte energisch auszusehen, aber ganz offensichtlich fehlte ihm die Erfahrung dafür.
Die hatte dafür der andere, mein alter Bekannter. Es war der gleiche, mit dem ich von Kopenhagen aus wegen Sonja telefoniert hatte. Er war von mittlerer Größe und ein wenig korpulent, sah freundlich und entgegenkommend aus. Er ähnelte einem netten Vater, der er auch war, aber man brauchte nicht weit hinter die Fassade zu schauen, dann stieß man auf eine ungewöhnliche Willensstärke. Ich kannte ihn seit vielen Jahren und wußte, daß er das, was er sich vorgenommen hatte, auch durchführte. Er hieß Karl Olsen. Wir sprachen miteinander, wenn wir uns trafen und waren halbwegs Freunde. Wie man sich anfreundet, wenn man sich schon immer gekannt hat. Es gibt so vieles Gemeinsames, was verbindet.
Karl sah mich fragend an, sagte aber nichts.
“Habt ihr ihn erwischt?” quäkte ich.
“Es war niemand außer dir hier, als wir kamen”, sagte Karl. “Und das ganze Haus war auf den Kopf gestellt”, fügte er hinzu.
“Du brauchst mich gar nicht so anzusehen”, erwiderte ich, während ich vorsichtig mit der Hand meine rechte Kopfseite berührte. Da war es klebrig. Dieses Mal hatte dieser Schurke mich also blutig geschlagen. “Das war schon, als ich gekommen bin.” Für einen Moment war Stille. “Woher wißt ihr eigentlich, daß ich hier bin?” fragte ich schließlich.
“Die Nachbarn haben angerufen. Sie wußten, daß