Das Dekameron. Джованни Боккаччо

Das Dekameron - Джованни Боккаччо


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Mädchens hervorgehen hörte, dem freilich niemals das Wort auf den Lippen erstarb, noch die Zunge versagte, als er sich ferner erinnerte, sein Vater sei wirklich in Palermo gewesen und dabei nach eigener Erfahrung die Sitten der Jugend erwog, die gern zu lieben geneigt ist, als er endlich die Tränen der Rührung, die Umarmungen und die keuschen Küsse des Mädchens fühlte, maß er allen Worten vollkommenen Glauben bei und sagte, sobald es schwieg: „Madonna, mein Erstaunen kann Euch nicht anders als natürlich erscheinen, wenn Ihr bedenken wollt, daß mein Vater, was immer der Grund gewesen sein mag, niemals von Eurer Mutter oder von Euch gesprochen hat, oder wenn er es getan haben sollte, mir wenigstens nichts davon zu Ohren gekommen ist, so daß ich von Euch nicht mehr wußte, als wenn Ihr gar nicht auf der Welt wäret. Je mehr ich aber hier allein stand und je weniger ich dergleichen erwarten konnte, desto lieber ist mir nun, in Euch eine Schwester gefunden zu haben. Und wahrlich, ich wüßte nicht, wie Ihr dem Vornehmsten anders als lieb und wert sein könntet. Wieviel mehr seid Ihr es also mir, der ich nur ein kleiner Handelsmann bin. Doch über eines bitte ich Euch, mir noch Aufschluß zu geben: wie habt Ihr erfahren, daß ich hier in der Stadt bin?“ Darauf erwiderte sie: „Heute früh erzählte es mir eine arme Frau, die bei mir ein- und auszugehen pflegt, weil sie nach ihrer Versicherung lange Zeit bei unserem gemeinschaftlichen Vater in Palermo und Perugia gedient hat. Hätte ich es nicht für schicklicher gehalten, daß du zu mir in mein eigenes Haus kämst, als ich zu dir in ein fremdes, so wäre ich längst schon bei dir gewesen.“ Nun fing sie an, ihn auf das genaueste und namentlich nach allen seinen Verwandten zu fragen, worauf ihr Andreuccio vollen Bescheid gab. Um dieser Tatsache willen glaubte er nur immer mehr, was nicht zu glauben ihm gesünder gewesen wäre.

      Das Gespräch hatte lange gedauert, und die Hitze war groß. Daher ließ das Mädchen griechischen Wein und Konfekt kommen und Andreuccio einschenken. Darüber kam die Essenszeit heran, und Andreuccio wollte Weggehen. Sie aber gab es durchaus nicht zu, stellte sich sehr gekränkt darüber, umarmte ihn und sagte: „Ja, nun sehe ich wohl, wie wenig du dir aus mir machst! Nicht für möglich sollte man es halten; du bist bei deiner Schwester, die du nie zuvor in deinem Leben gesehen hast, und in ihrem eigenen Hause, wo du gleich nach deiner Ankunft hättest absteigen sollen, und nun willst du sie wieder verlassen, um im Wirtshaus essen zu gehen. Wenn auch mein Mann leider nicht zu Hause ist, so werde ich doch wohl nach den schwachen Kräften einer Frau dir einige Ehre zu erweisen wissen.“

      Andreuccio wußte darauf weiter nichts zu erwidern und sagte nur: „Ich habe Euch so lieb, wie man eine Schwester haben soll; wenn ich aber nicht nach Hause gehe, wird man mich den ganzen Abend zu Tisch erwarten, und mein Ausbleiben wird als Unhöflichkeit betrachtet werden.“ „Nun, gottlob“, erwiderte sie dagegen, „habe ich denn niemand in meinem Hause, um sagen zu lassen, daß man nicht auf dich warten soll? Höflicher aber wäre es gegen mich und im Grunde nur deine Schuldigkeit, wenn du deinen Gefährten sagen ließest, sie sollten hierher zum Abendessen kommen. Dann könntet ihr nachher, wenn ihr anders wolltet, in Gesellschaft nach Hause gehen.“ Andreuccio erwiderte, die Gefährten möchte er für den Abend nicht. Da sie es aber einmal so haben wolle, solle sie nach Gefallen über ihn selbst verfügen. Darauf tat sie, als ließe sie im Wirtshaus bestellen, daß man ihn nicht zum Essen erwarten möchte, und nach mancherlei andern Gesprächen setzten sie sich zu Tisch, wo sie auf das glänzendste mit zahlreichen Schüsseln bedient wurden und das Essen durch die List des Mädchens sich bis tief in die Nacht hinein ausdehnte.

      Als sie endlich vom Tisch aufgestanden waren und Andreuccio nach Hause gehen wollte, erklärte sie, daß sie das keinesfalls zugeben werde. Neapel sei überhaupt nicht, am wenigsten aber für den Fremden, der Ort, um in der Nacht darin umherzugehen. Auch habe sie, als sie das Essen im Wirtshaus habe absagen lassen, dasselbe gleich für das Nachtlager getan. Er glaubte nicht allein dies alles, sondern fand auch in seinem falschen Wahn an der Gesellschaft des Mädchens großen Gefallen und blieb. Auch nach Tisch spann sie nicht ohne Absicht mancherlei Gespräche noch lange aus, und erst als ein bedeutender Teil der Nacht vorüber war, ließ sie Andreuccio mit einem kleinen Kinde, das ihm zeigen sollte, was er etwa brauchen könnte, in der Stube zurück und ging mit ihren Dienerinnen in ein anderes Zimmer.

      Die Hitze war noch immer groß. Deshalb warf Andreuccio, sobald er sich allein sah, die Kleider ab, zog die Hosen aus und legte diese unter das Kopfkissen. Weil ihn nun das natürliche Bedürfnis überfiel, sich der überflüssigen Last des Leibes zu entledigen, fragte er das Kind, wo er das tun könnte. Dieses zeigte ihm eine Tür auf der einen Seite des Zimmers und sagte: „Geht nur dort hinein.“ Andreuccio schritt unbefangen vorwärts, setzte aber unglücklicherweise den Fuß auf ein Brett, das auf der entgegengesetzten Seite losgegangen war, und fiel mit ihm zugleich hinab. So gnädig war ihm aber Gott, daß er sich, wie tief er auch hinunterfiel, doch im Fallen keinen Schaden tat, obgleich er von dem Unrat, der jenen Ort erfüllte, ganz bedeckt ward. Damit ihr aber das eben Gesagte und was ich noch hinzuzufügen habe, besser verstehen mögt, will ich euch näher beschreiben, wie jener Ort beschaffen war. Es waren in einem engen Gäßchen auf zwei Balken, die man, wie unter ähnlichen Umständen oft geschieht, zwischen den gegenüberstehenden Häusern eingeklemmt hatte, einige Bretter befestigt und auf diesen der Sitz angebracht. Eines dieser Bretter war es nun, mit dem Andreuccio hinunterfiel. Zwar rief er aus der Tiefe des Gäßchens, erschrocken über den Unfall, nach dem Kinde, aber dieses war, sobald es ihn fallen gehört hatte, zu seiner Gebieterin geeilt und hatte dieser berichtet, was geschehen war. Sogleich lief das Mädchen in die Stube, um zu sehen, ob Andreuccios Kleidungsstücke da seien, und sobald es diese und mit ihnen den Geldbeutel, den er aus törichter Besorgnis immer bei sich führte, gefunden und den Zweck erreicht sah, um dessentwillen sie, die Palermitanerin, sich zur Schwester eines Perugianers gemacht und ihre Schlingen ausgelegt hatte, bekümmerte sie sich nicht mehr um jenen, sondern schloß eilends die Tür zu, aus welcher er herausgetreten war, als er fiel. Andreuccio rief inzwischen, da ihm das Kind nicht antwortete, immer stärker, doch es half ihm nichts. Nun erst fing er an, argwöhnisch zu werden, und begann allzu spät zu erraten, daß er betrogen worden war. Er kletterte über die kleine Mauer, welche das Gäßchen von der Straße trennte, ging an die Haustür, die ihm noch wohlbekannt war, klopfte und rüttelte lange daran und rief hinauf, aber alles vergebens. Jetzt sah er sein Unglück klar ein, weinte und sagte: „O Himmel, in welcher kurzen Zeit habe ich eine Schwester und fünfhundert Goldgulden eingebüßt!“ In dieser Weise redete er noch weiter und fing dann wieder an zu klopfen und zu rufen. Endlich machte er solch einen Lärm, daß viele der nächsten Nachbarn darüber erwachten und aufstanden, als sie es nicht mehr ertragen konnten. Inzwischen kam eine Magd des Mädchens ans Fenster, stellte sich ganz schläfrig und sagte höhnisch: „Wer pocht denn dort unten?“ „Kennst du mich denn nicht“, sagte Andreuccio, „ich bin ja Andreuccio, der Bruder der Madonna Fiordaliso.“ Jene aber antwortete: „Guter Freund, wenn du zuviel getrunken hast, so geh und schlafe und komme morgen in der Frühe wieder. Ich weiß nicht, von was für einem Andreuccio du redest, noch was du sonst schwatzest. Gehe in Frieden und sei so gut und laß uns schlafen.“ „Wie“, sagte Andreuccio, „du weißt nicht, wovon ich rede? Nun, wenn es mit den sizilianischen Verwandtschaften so steht, so gib mir wenigstens die Kleider wieder, die oben geblieben sind, und ich will gerne gehen.“ Zur Antwort lachte ihm die Magd beinahe ins Gesicht und sagte: „Guter Freund, ich glaube, du redest im Traume.“Dies sagen, sich umdrehen und das Fenster zuschlagen, war eins.

      Als dem Andreuccio nun kein Zweifel übrigblieb, daß er betrogen worden sei, geriet er so in Zorn, daß dieser sich fast zur Wut steigerte, und er beschloß, mit Gewalt durchzusetzen, was er im Guten nicht erlangen konnte. Zu diesem Ende ergriff er einen großen Stein und begann mit viel heftigeren Schlägen als zuvor gegen die Tür zu pochen. Darüber traten mehrere der Nachbarn, die schon vorher erwacht und aufgestanden waren, ans Fenster. Sie waren aufgebracht über das Pochen, das er vollführte, meinten, irgendein ungezogener Mensch wolle mit lügenhaften Worten das arme Frauenzimmer ärgern, und schrien, nicht anders als alle Hunde einer Gasse einen fremden Hund anbellen: „Es ist sehr ungezogen, um diese Stunde die armen Weiber mit solchem Geschwätz in ihrem eigenen Hause zu stören. Geh mit Gott, guter Freund, und sei so gut und lasse uns schlafen. Hast du etwas mit ihr zu tun, so komm morgen wieder. In der Nacht aber laß uns ungeschoren.“ Vielleicht machten diese Worte einen Menschen, der sich drinnen im Hause befand und — ohne daß Andreuccio ihn zuvor gesehen — bei dem Mädchen Kupplerdienste versah, dreist genug, daß er ans Fenster trat und mit


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