Das Dekameron. Джованни Боккаччо
sie einen ihrer Neffen, Alessandro mit Namen, dorthin, um ihre Geschäfte zu besorgen.
Sie selbst blieben in Florenz und begannen, des Zustandes uneingedenk, in welchen ihr übertriebener Aufwand sie früher gestürzt, und obgleich sie jetzt für Frauen und Kinder mit zu sorgen hatten, verschwenderischer denn je zu leben, so daß alle Kaufleute die größte Meinung von ihnen hegten und ihnen jede beliebige Summe anvertraut hätten. Einige Jahre lang half ihnen das Geld, welches Alessandro ihnen schickte, solchen Aufwand zu bestreiten; denn dieser borgte seit einiger Zeit vielen Edelleuten auf ihre Schlösser und sonstigen Einkünfte und machte dabei die vorteilhaftesten Geschäfte.
Während jedoch die drei Brüder auf solche Weise verschwendeten und wenn es ihnen an Geld fehlte, in der festen Hoffnung auf die Sendungen aus England welches aufnahmen, geschah, was kein Mensch vermutet hatte. In England brach ein Krieg zwischen dem König und einem seiner Söhne aus, der die ganze Insel in zwei Parteien teilte, indem die eine es mit dem Vater, die andere es mit dem Sohne hielt. Durch diesen Krieg wurden denn auch dem Alessandro alle Schlösser der Barone, die ihm verpfändet waren, entrissen, und keine der andern Einkünfte gewährte ihm bessere Sicherheit. Da man jedoch von einem Tag zum andern auf den Frieden zwischen Vater und Sohn hoffte, demzufolge dem Alessandro alles, sowohl Zinsen als Kapital, hätte wiedererstattet werden müssen, verließ dieser die Insel nicht, und die drei Brüder, die in Florenz wohnten und ihren Aufwand in keiner Weise beschränkten, borgten täglich mehr Geld zusammen. Als indes im Verlauf mehrerer Jahre die gehegten Hoffnungen sich nicht erfüllten, verloren jene drei Brüder nicht nur ihren Kredit, sie wurden auch auf Verlangen ihrer Gläubiger, die bezahlt sein wollten, gefangengesetzt und mußten, da ihre Besitzungen nicht ausreichten, um die Schulden zu decken, wegen des Restes im Gefängnis bleiben. Ihre Frauen aber und ihre kleinen Kinder suchten teils auf den Dörfern, teils hie und da in gar dürftigen Umständen ihr Unterkommen, ohne für die Zukunft etwas anderes als Not und Elend erwarten zu können.
Alessandro hatte inzwischen in England mehrere Jahre lang vergebens auf den Frieden gewartet. Als er aber noch immer keine Aussicht dazu sah und sein längeres Verweilen ihm nicht minder lebensgefährlich als unnütz zu sein schien, entschloß er sich, nach Italien zurückzukehren, und machte sich ganz allein auf den Weg.
Da traf es sich nun, daß zugleich mit ihm ein Abt in weißem Ordensgewand von Brüssel abreiste, dem viele Mönche Gesellschaft leisteten und zahlreiche Dienerschaft mit Säumrossen voranzog. Hinter dem Abt folgten zwei Edelleute aus altem, dem König verwandtem Geschlecht, die Alessandro von früher her kannte. Als er sich daher zu ihnen gesellte, nahmen sie ihn willig auf. Im Weiterreiten fragte er sie mit geziemender Bescheidenheit, wer die Mönche wären, die mit so vieler Dienerschaft vorausritten, und wohin sie reisten. „Der vorderste“, erwiderte einer der beiden Edelleute, „ist ein junger Vetter von uns, der kürzlich zum Abt einer der größten Abteien Englands gewählt worden ist. Weil er aber jünger ist, als die Gesetze für dieses Amt vorschreiben, gehen wir jetzt mit ihm nach Rom, um den Heiligen Vater zu bitten, daß er ihm wegen seines ungenügenden Alters Dispens erteile und ihn dann in seiner Würde bestätige; doch davon darf noch nicht geredet werden.“ Unterwegs ritt der junge Abt bald vor, bald hinter seiner Dienerschaft, wie wir das täglich sehen, wenn große Herren über Land reisen, und so bemerkte er denn auch einmal den Alessandro, der zufällig in seine Nähe gekommen war.
Alessandro war ein junger Mann von schönem Wuchs und einnehmenden Gesichtszügen und so wohlgesittet und unterhaltend, als man es nur sein kann. In der Tat gefiel er dem Abt im ersten Augenblick auf eine so erstaunliche Weise, wie ihm nie zuvor etwas anderes gefallen hatte. Er rief ihn zu sich, fing freundlich mit ihm zu reden an und fragte ihn, wer er sei, woher er komme und wohin er gehe. Alessandro gab ihm auf seine Fragen volle Auskunft, eröffnete ihm unverhohlen seine ganze Lage und erbot sich, so gering auch seine Kräfte seien, zu jedem Dienste. Als der Abt diese verständige und wohlgesetzte Antwort hörte, als er Alessandros feine Bildung im einzelnen genauer beobachtete und bei sich selbst erwog, daß jener, ungeachtet seines niedrigen Geschäfts, dennoch ein Edelmann sei, wurde sein Wohlgefallen an ihm immer lebhafter. Voll Mitleid mit seinen Unglücksfällen ermunterte er ihn zutraulich und hieß ihn gute Hoffnung hegen; denn wenn er nur ein wackerer Mann sei, werde Gott ihn wieder an dieselbe Stelle, von welcher er ihn verstoßen habe, ja vielleicht an eine noch höhere setzen. Übrigens bat er ihn, da seine Reise nach Toskana gerichtet sei und auch er ein gleiches Ziel habe, ihm unterwegs Gesellschaft zu leisten. Alessandro dankte für so freundlichen Zuspruch und erklärte sich zu allem bereit, was jener ihm beföhle.
Von neuen Empfindungen bewegt, die der Anblick Alessandros in ihm geweckt hatte, setzte der Abt seine Reise fort, und nach einigen Tagen langte die Gesellschaft in einem Dorfe an, das mit Wirtshäusern gar spärlich versehen war. Da jedoch der Abt eben hier einkehren wollte, veranlaßte ihn Alessandro, im Hause eines Wirts abzusteigen, mit dem er von früherer Zeit her befreundet war, und sorgte dafür, daß ihm ein Zimmer gerichtet wurde, das unter allen im Hause noch am mindesten unbequem gelegen war. Alessandro war ohnehin eine Art Haushofmeister des Abtes geworden, und in dieser Eigenschaft brachte er das übrige Gefolge, so gut er konnte, in den benachbarten Häusern unter, wo er ebenfalls wohlbekannt war.
Als nun der Abt zu Abend gespeist hatte und es schon so spät in der Nacht geworden war, daß alle Leute sich schlafen gelegt hatten, fragte Alessandro den Wirt, wo er selber schlafen könne. „Das weiß ich wirklich nicht“, antwortete der Wirt. „Du siehst, alles ist besetzt, und kannst dich überzeugen, daß meine Angehörigen auf den Bänken schlafen. In der Stube des Abts wären freilich noch einige Kornladen; da könnte ich dich hinführen, ein paar Betten darauflegen, und wenn dir’s recht wäre, würdest du die Nacht, so gut es gehen will, darauf schlafen.“ Alessandro entgegnete: „Wie soll ich jetzt noch in des Abtes Stube gehen, die überdies so klein ist, daß keiner seiner Mönche darin hat schlafen können? Hätte ich’s gewußt, ehe die Vorhänge zugezogen wurden, so hätte ich auf dem Kornkasten ein paar Mönche schlafen lassen und wäre selbst dahin gegangen, wo die jetzt sind.“ Darauf sagte der Wirt: „Es ist doch nun einmal so, und du findest dort, wenn du willst, das beste Lager von der Welt. Der Abt schläft, und die Vorhänge sind zugezogen. Ich bringe dir in aller Stille ein Kissen, und du schläfst da.“ Als Alessandro sah, daß die Sache sich einrichten ließ, ohne dem Abt beschwerlich zu fallen, willigte er ein und legte sich so leise wie möglich zurecht.
Der Abt aber schlief noch nicht, sondern hing seinem neuerregten Verlangen leidenschaftlich nach und hatte alles gehört, was Alessandro und der Wirt miteinander gesprochen, und wo jener sich niedergelegt hatte. In seinem Innern hocherfreut, sagte er zu sich selber: „Gott hat mir Gelegenheit zur Erfüllung meiner Wünsche gegeben. Wenn ich sie vorübergehen lasse, wird für lange Zeit eine ähnliche nicht so leicht wiederkommen.“ Entschlossen also, sie zu nutzen, rief er, sobald alles im Hause still zu sein schien, den Alessandro mit leiser Stimme und forderte ihn auf, sich zu ihm ins Bett zu legen. Alessandro widerstrebte anfangs, dann aber entkleidete er sich und legte sich nieder. Sogleich legte der Abt ihm die Hand auf die Brust und begann ihn nicht anders zu betasten, als es lüsterne Mädchen bei ihren Liebhabern tun. Alessandro war darüber nicht wenig erstaunt und dachte, den Abt treibe vielleicht eine schändliche Liebe, ihn also zu betasten. Dieser erriet indes, entweder aus Alessandros Benehmen oder aus innerer Ahnung, diesen Verdacht, zog rasch das Hemd aus, das er noch anhatte, ergriff die Hand des jungen Mannes, legte sie auf seine Brust und sagte: „Alessandro, verbanne deinen törichten Wahn und erkenne hier, was ich bisher verbarg.“ Alessandros Hand hatte inzwischen auf der Brust des Abtes zwei runde, feste und zarte Hügel entdeckt, die sich nicht anders anfühlten, als seien sie von Elfenbein, und kaum hatte er diese gefunden und sogleich erkannt, daß er neben einem Mädchen lag, so hatte er es auch, ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, in den Arm genommen und wollte es schon zu küssen anfangen, als es ihn mit folgenden Worten unterbrach:
„Ehe du mir näherkommst, höre erst, was ich dir sagen will. Ich bin, wie du dich überzeugt haben wirst, ein Mädchen und kein Mann. Als Jungfrau habe ich meine Heimat verlassen und habe zum Papst reisen wollen, damit er mich vermähle. Zu deinem Glück oder vielmehr zu meinem Unstern bin ich vor einigen Tagen, als ich dich zum ersten Male sah, in solcher Liebe zu dir entbrannt, daß vielleicht nie ein Weib einen Mann heftiger geliebt hat. Deshalb habe ich beschlossen, lieber dich als irgendeinen andern zum Manne zu nehmen. Willst du mich aber nicht zur