Reisen. Helon Habila

Reisen - Helon  Habila


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lachte, wirkte jetzt aber mehr auf der Hut. Gina warf mir einen Blick zu – Mark fiel in meinen Zuständigkeitsbereich. Er sorgte für Unbehagen bei ihren Gästen. Dante versuchte die Situation zu retten. „Aber was Rassismus betrifft, ist die Lage in Europa doch gut. Besser als in Amerika, oder? Ich bin öfter dort für Ausstellungen. Obama wird dort nicht respektiert und bestimmt, weil er schwarz ist.“

      „Na ja, es ist nicht ideal, aber so schlimm auch wieder nicht“, sagte Gina. „Wir haben seit den Sechzigern, seit der Bürgerrechtsbewegung große Fortschritte gemacht.“ Sie sah mich an, aber ich hatte dem nichts hinzuzufügen.

      „Was für Erfahrungen hast du als Afrikaner in Amerika gemacht?“, fragte Dante mich. Ich betrachtete seine modisch zerrissene Jeans, das blaue Hemd, aus dessen Ausschnitt die Brusthaare lugten und beschloss, ihn unsympathisch zu finden, lächelte aber und erzählte von meiner ersten Reise nach New York. In der Penn Station war ich auf einen Polizisten zugegangen, weil ich ihn nach dem Weg fragen wollte, wie man das überall auf der Welt eben so macht, und als ich näherkam, bemerkte ich, wie sich seine Hand langsam in Richtung der Waffe an seiner Taille bewegte. Ich war stehengeblieben und hatte mich umgesehen, bestimmt war da jemand hinter mir, dessentwegen er nach der Waffe greifen wollte, denn ich konnte ja nicht der Grund sein. Mittlerweile umklammerte er seine Waffe, aber ich fragte ihn trotzdem nach dem Weg, wenn auch mit zitternder Stimme, und er sah mich mit unbewegter Miene an und sagte: „Weitergehen.“ Als ich Gina die Geschichte vor langer Zeit erzählt hatte, war sie ausgerastet. Sie hatte die Polizei als rassistische Schweine beschimpft. Damals war sie hitzköpfig gewesen, in letzter Zeit war sie toleranter geworden, nahm weniger wahr, was um sie herum geschah, ihr Blick galt einzig ihrer Malerei.

      7

      „Wie lange bleibt er denn?“, fragte mich Gina, als die Gäste gegangen waren und Mark auf dem Wohnzimmersofa schnarchte.

      „Ein, zwei Tage.“

      „Wie konntest du das nur tun – ihn mitbringen, ohne mich vorher zu fragen? Wenn irgendwas schiefgeht …“

      „Was soll denn schiefgehen?“, fragte ich und in dem Moment fiel mir der besorgte Gesichtsausdruck des Anwalts ein, als er mich fragte, ob ich Mark denn gut kennte. Ich verdrängte den Gedanken. „Meinst du, er zündet das Haus an oder bricht bei den Nachbarn ein? Also echt. Er wirkt vielleicht ein bisschen … aus dem Lot, aber er ist in Ordnung. Er braucht einfach einen Platz, wo er sich ein, zwei Tage berappeln kann.“

      „Was hat er denn für Probleme?“

      „Du hast ihn ja vorhin gehört. Er ist Student und seine Aufenthaltspapiere müssen in Ordnung gebracht werden. Ein Anwalt kümmert sich darum.“

      In dieser Nacht bekam ich so gut wie keinen Schlaf, lauschte Ginas leisem Atem. Ich hätte sie gern nach dem Kind gefragt, das sie gemalt hatte, und wofür es stand, aber sie schlief bereits, weit von mir abgerückt, das Gesicht zur Wand gedreht. Schlaflos lag ich da, bis schließlich draußen die Vögel loszwitscherten. Ich machte das Fenster auf, streckte meinen Kopf hinaus und sog tief die Morgenluft ein. Ich bin immer erst richtig wach, wenn ich frische Morgenluft geschnuppert und die Vögel tirilieren höre – selbst im Winter. Das Laub färbte sich allmählich rot. Schon jetzt klang der Sommer aus. Als wir letzten Oktober herkamen, fiel bereits das bunte Laub. Ende Oktober hatte ich am Fenster gestanden und ein einsames Blatt betrachtet, das sich hartnäckig an seinen Ast klammerte, und gedacht, dies müsse das letzte Blatt in der ganzen Straße, der ganzen Stadt, ach was, der ganzen Welt sein, das noch am Baum hing und das genau vor meinem Fenster. Der Herbst ist meine liebste Jahreszeit; ein Augenblick des Dazwischen, weder Winter noch Sommer, und so kurz. Ich beobachtete gern, wie der Wind und die vorbeifahrenden Autos die Blätter wirbeln und kreisen ließen, sie wehten hoch und trudelten hinab, häufelten sich am Gehwegzaun auf. Ich beobachtete gern, wie die Kinder gegenüber mit dem Laub spielten, es zusammenrafften und einander über den Kopf regnen ließen. Sie fassten sich an den Händen und hüpften kreischend durch die rotbraungelben Blätter, beruhigt und aufgestachelt durch das Knirschen und Knacken unter ihren Füßen, und ihr helles Lachen stieg von der Straße hoch in die entlaubten Bäume, erschreckte die Vögel, stieg hoch zu den Balkons und Fenstern, die immer noch offen standen, dem nahenden Winter zum Trotz.

      8

      Mark war schon wach, saß auf dem Sofa und sah durch die offene Balkontür auf die Wipfel der Pappeln, die die Straße säumten. Er war bis zum Hals in eine Decke gewickelt und wie er so dasaß, ausnahmsweise fast reglos, wirkte er verletzlich, nahezu kindlich. Er hatte auf dem Balkon geraucht und der Geruch war ins Zimmer gewabert. Gina habe zu einer Veranstaltung müssen, teilte ich ihm mit.

      „Ja, ich habe mitbekommen, wie sie gegangen ist“, erklärte er.

      Sie hatte mir nicht erzählt, wohin sie ging. In letzter Zeit schien sie immer gerade dann zur Wohnungstür hereinzukommen, wenn ich ging oder zu gehen, wenn ich kam; sie wachte auf, wenn ich schlafen ging. Am Vortag hatten wir nebeneinander im Badezimmer gestanden, redeten aber nicht miteinander, weil jeder den Mund voller Zahnpasta hatte, starrten uns nur im Spiegel über dem Waschbecken an, ein kurzer Blickkontakt, dann beugte sie sich vor und spuckte ins Wasser, das schäumend in den Abfluss strudelte. Ich dachte oft an Gina in ihrem Atelier, die den ganzen Tag allein war, mit Farben und Strichen, Angst und Hoffnung kämpfte, dem Pinsel Formen abrang, Gliedmaßen, Gesichter, Haare, Augen, und manchmal zutiefst zweifelte, ob sie die ideale Form im Platon’schen Sinne, die sie vor ihrem geistigen Auge hatte, einfangen konnte. In unserer Berliner Anfangszeit schien sich alles zu fügen, aber jetzt hielt sie sich manchmal nur im Atelier auf, um mir aus dem Weg zu gehen, so wie ich mich meinerseits mit Mark und seinen Freunden traf, um ihr auszuweichen. Manchmal wenn sie aus dem Atelier kam und mich lesend oder fernsehend im Wohnzimmer vorfand, wirkte sie überrascht von meiner Anwesenheit, dass es mich gab und sie gab, Mann und Frau gemeinsam unter einem Dach. Ich hätte nicht sagen können, wann sich dieses Unbehagen eingeschlichen hatte. Ich wollte sie umarmen und schweigend gemeinsam dasitzen, wie wir das vor langer Zeit oft getan hatten, aber dazu wäre eine enorme Energie nötig gewesen und die hatte ich nicht. Stattdessen schlüpfte ich in meine Jacke und streifte durch die einsamen Seitenstraßen von Berlin. Nichts und Niemand ist so einsam, wie ein einsamer Fremder in einer fremden Stadt.

      „Wie habt ihr euch kennengelernt?“, wollte Mark wissen.

      „Vorher brauche ich einen Tee“, sagte ich. „Willst du auch einen?“

      „Lieber Kaffee, wenn du welchen hast.“

      „Kein Problem.“

      Als ich mit den Tassen kam, hatte er sich aus der Decke geschält und war bereits angezogen. Ich hatte Gina im März 2007 bei einer Wahlkampfveranstaltung Obamas an der American University in Washington kennengelernt. Obama hatte kurz zuvor seine Präsidentschaftskandidatur verkündet und Gina war eine seiner Wahlkampfhelferinnen. Irgendwann stand sie neben mir, umringt von ihren Freunden, die ebenfalls alle in Obamas Wahlkampfteam waren und entsprechende Buttons trugen. Noch nie hatte ich jemanden gesehen, der so schön war. Zweimal trafen sich unsere Blicke und ich spürte, dass auch ich ihr aufgefallen war – ich bekam kaum ein Wort des Kandidaten mit, war viel zu beschäftigt mir eine Strategie auszudenken, wie ich sie ansprechen könnte, aber noch ehe ich meinen Mut zusammenraffen konnte, waren sie weg, wurden dem Kandidaten vorgestellt.

      „Was hast du in den USA gemacht?“

      „Ich bin 2006 mit einem Stipendium rüber – ich habe dort meine Dissertation geschrieben. Wie es das Schicksal wollte, studierte sie ebenfalls Geschichte. Eine Woche darauf traf ich sie in der Bibliothek und diesmal gab es kein Halten mehr für mich. Als ich erwähnte, ich sei aus Nigeria, erzählte sie, ihr Vater sei Fulbright-Stipendiat in Nigeria gewesen. Und so fing es an. Jetzt du“, sagte ich.

      „Was willst du wissen?“

      „Erzähl mir von Malawi. Hast du Geschwister?“

      „Ja. Zwei von jeder Sorte, ich bin das Sandwichkind.“ Er klang ernst, der leichtfertige, schwer fassbare Mark war für einen Moment lang verschwunden.

      „Erzähl


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