Unter der Marmorkuppel. Mette Winge
oder einem Revolverschuß. Auch durch das Herz. Sie hatte nie an den Kopf gedacht.
Langsam ging sie in den Salon zurück.
10
Er hätte sich gegen das eigene Bein treten können, so dumm hatte er sich reinlegen lassen. Er hatte ihre Spur verloren – sie, ein angemaltes Frauenzimmer, war ihm entwischt, ihm, Niels Arthur Petersen, einem der erfahrensten Männer der Polizei. Das war bitter!
Sie war unbehelligt aus dem Friedhofstor spaziert und in eine Straßenbahn gestiegen. Hatte sich ruhig hingesetzt, aus dem Fenster geschaut, dem Schaffner zugelächelt und ihm sogar ein Lächeln entlockt. Kein kleines Kunststück. Er saß auch in der Straßenbahn und genoß das schöne Wetter – Sonne an einem Novembertag war ein seltenes Geschenk. Er studierte die Zeitung, während er sich hin und wieder vergewisserte, daß sie noch da saß. Als sie am Kongens Nytorv hielten, machte sie Anstalten auszusteigen. Er stand auch auf, aber dann änderte sie ihren Entschluß, und er kam in Verlegenheit. Er ging die Treppe hinunter und blieb auf der hinteren Plattform stehen, während die Straßenbahn durch die Østergade schaukelte. An der nächsten Haltestelle stieg sie aus und ging zurück zum Kongens Nytorv.
Er folgte ihr. Sie ging zielbewußt durch die Eingangstür von Wessel & Vett. Er seufzte, denn ihm schwante Übles.
Und so war es. Alle Frauen der Stadt, Damen mußte man eher sagen, denn Wessel & Vett war ein Kaufhaus für Damen, hatten sich ausgerechnet an diesem Tag hier ein Stelldichein gegeben. Sie standen überall dicht gedrängt. Er versuchte, sich durch Turnüren und Riesenhüten einen Weg zu bahnen, und fand sein Opfer schließlich in der Stoffabteilung, in der aufgehängte Bahnen im flimmernden Gaslicht glitzerten. Sie ging lange herum und befühlte sie. Dann steuerte sie auf die Damenwäscheabteilung zu. Er fluchte innerlich. Er würde wie eine Kuh auf dem Eis durch dieses intimste Mekka der Damen schlittern. Wessel & Vett war ein Geschäft, das ihm nicht gefiel, weder die Art, wie sie ihre Näherinnen behandelten, noch die Kundinnen, die sich hier zusammendrängten, waren ihm sympathisch. Ob die korpulente Dame dort, die sich Unterleibchen ansah und lauthals davon sprach, wie teuer so etwas war, überhaupt daran dachte, daß es von einer armen Heimarbeiterin genäht wurde für einen Lohn, der ihr nicht einmal das tägliche Brot und ein Dach über dem Kopf sicherte? Er verstand sehr gut, warum so eine Heimnäherin hin und wieder Herrenbesuch empfing. Das brachte mehr ein, als Spitzen auf ein Unterleibchen zu nähen. So groß es auch sein mochte.
Er hatte mehrmals polizeilich mit Näherinnen zu tun gehabt. Darum kannte er ihr Leben, kannte ihre kleinen, kalten und feuchten Wohnungen, wußte, daß ihr Essen nicht ausreichte, ihre Rücken schmerzten und ihre Augen rote Ränder hatten vom Starren auf das feine weiße Leinen.
In der Abteilung mit den zarten Sachen blieb er an der ersten Theke stehen, und eine zuvorkommende Verkäuferin fragte sofort, was er wünschte. Er würde warten, murmelte er. Sie sah ihn erstaunt an und zog sich zurück.
Es dauerte unendlich lange. Er wechselte das Standbein. Sie kam nicht heraus. Dann faßte er Mut und drang ganz in das Frauenland ein. Die Verkaufsstände flossen nur so über von delikaten Kleidungsstücken. So etwas hätte seine Frau nie getragen. Und die Schwester war auch vernünftig.
Sie war nicht da. Er ging etwas herum. Wo zum Teufel war sie geblieben? Er war sich ganz sicher, daß sie nicht an ihm vorbeigegangen war und daß es auch keine weiteren Ausgänge gab.
»Sie wünschen?«
Eine vollbusige ältere Verkäuferin wandte sich an ihn.
»Ich suche eine Dame.«
»Ich habe Sie bemerkt, glauben Sie nicht, daß...«
Petersen zeigte seine Dienstmarke.
»Oh, ich wußte nicht, daß... Ich glaubte...«
»Ich suche eine elegante Dame mit einer hohen Frisur und schwarzen Augen, ganz in Schwarz.«
»Einen Augenblick.« Die Vollbusige verschwand und kam mit einem jungen Mädchen zurück, das erzählte, eine Dame, die auf seine Beschreibung paßte, habe sich plissierte französische Unterröcke zeigen lassen, wohl an die vier, fünf. Sie hatte sie anprobieren wollen und war in eine Umkleidekabine geführt worden.
»Welche?« Das Mädchen zeigte ihm die Richtung, und Petersen ging in den kleinen Raum. Es roch nach ihrem Parfum. Auf einem Hocker lagen Fräulein Dujardins schwarzer Trauermantel, ihr Hut und die Handschuhe. Der Vogel war ausgeflogen, und zwar direkt an ihm vorbei! Da fiel ihm ein, daß eine Verkäuferin mit einem hohen Stapel Pappkartons an ihm vorbeigehuscht war. Natürlich! Das war sie gewesen.
Demütigend war das, einfach demütigend! Und das mußte ausgerechnet ihm passieren, der als erfahrener und versierter Kriminalbeamter galt, was sogar einmal in der Nationaltidende lobend erwähnt worden war. Er schlich mit hängenden Ohren von dannen. Die beiden Verkäuferinnen sahen hinter ihm her. Aber er würde das Weibsstück schon finden, und wenn er die ganze Stadt dafür auf den Kopf stellen mußte.
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