Unter der Marmorkuppel. Mette Winge
Wenn der Regen ab und zu für eine Weile aufhörte, zogen wir unsere unkleidsamen Seestiefel an, spazierten am Wasser entlang und hielten nach einem blauen Streifen am Himmel Ausschau. Vergeblich – es war wirklich deprimierend.«
»Wie gut haben Sie Herrn Bramsnæs kennengelernt?«
»Nicht intim, wenn Sie mit Ihrer Frage darauf angespielt haben sollten. Ich bin, wie Sie sehen müssen, um einiges älter als er, und ich bin zwar eine moderne Frau, aber so junge Männer fresse ich denn doch nicht!«
Sie lächelte ihm zu, aber er konnte ihr Lächeln nicht deuten. Fand sie ihn komisch oder Bramsnæs?
»Haben Sie Bramsnæs später gesehen?«
»Ja, wenn ich in Kopenhagen war, gingen wir zusammen essen, einmal habe ich ihn auch in Berlin getroffen. Das war letzten Herbst, einige Monate nach unseren Regenspaziergängen in Schweden.«
»Sie reisen viel. Petersburg, Saltsjöbaden, Berlin und Kopenhagen?«
»Ja, ich reise sehr gern, und die Verhältnisse meines Vaters ermöglichen mir dies. Ich studiere römische und griechische Kunst, und hier in Kopenhagen und besonders in Berlin gibt es ja wundervolle Sachen.«
»Es ist nicht unwichtig, daß Sie kommen, schrieben Sie in Ihrem Brief. Was haben Sie damit gemeint?«
»Nun, mein Freund interessierte sich auch für alte Kunst. In Wirklichkeit hat er sie mehr studiert als seine Staatswissenschaft, zu der ihn sein Vater gezwungen hat. Er war in aller Bescheidenheit ein Sammler – wie Sie sich denken können, ohne daß sein Vater es wußte. Er wollte es für sich haben. Und ich hatte gerade eine Sammlung Antiken besonderer Art in Kommission bekommen und wußte, daß er daran sehr interessiert sein würde. Aber es war wichtig, das Geschäft schnell und in aller Stille, wie man so sagt, abzuwickeln. Ich habe aus Vorsicht nur mit E. unterschrieben. Der Herr Papa liebt mich nicht besonders. Er hält meinen Einfluß auf seinen Sohn für verderblich.«
»Waren es gestohlene Sachen?«
»So würde ich es nicht nennen. Und denken Sie daran: ich habe nichts damit zu tun. Ich bin nur Mittelsmann.«
»Haben Sie Herrn Bramsnæs in der letzten Woche gesehen oder mit ihm gesprochen?«
Sie dachte nach. »Nein, vor zehn Tagen ungefähr haben wir hier zusammen gegessen. In diesem Restaurant. Der Kellner wird es sicher bestätigen können.«
»In welchem Gemütszustand befand sich Herr Bramsnæs?«
»In einem miserablen. Er mißgedieh.« Sie stockte. »Ist mißgedieh das richtige Wort? Es klingt komisch, aber Sie verstehen, nicht wahr? Nach der Kunst stand ihm der Sinn, nach dem Schönen, und da sollte er sich mit der Staatswissenschaft abplagen. Sein Herr Vater war unerbittlich. Und er hatte Angst vor ihm. Das haben wohl alle in dieser Familie. Ich verstehe sie nicht. Selbst ein Familientyrann muß doch seinen schwachen Punkt haben.«
»Kennen Sie Frau Bramsnæs? Haben Sie sie getroffen?«
»Die Baronesse? Nein. Sie soll ganz anders sein, sagte Simon – also Herr Bramsnæs. Aber sie hat es ja auch vorgezogen, in Ruhe vor dem Mann auf dem Landgut zu leben. Es ist wohl so eine Art Flucht.«
»Und die übrige Familie?«
»Seine Schwester? Die kenne ich auch nicht. Er hat hin und wieder von ihr gesprochen. Er mochte ihren Mann nicht. Übrigens fällt mir da ein: Er sprach sogar an jenem Abend von dem Mann der Schwester. Dem Kammerherrn. Das war das einzige Mal, daß er ein bißchen auflebte. Er erzählte, daß er etwas über ihn herausgefunden habe, aber er wollte nicht sagen, was. Es sollte bei einem Sonntagmittagessen wie eine Bombe explodieren. Simon verabscheute diese Mittagessen. Und er war sich sicher, daß er von dieser Entdeckung profitieren würde. Aber ich habe keine Ahnung, was es war, Herr Inspektor. Ich war selbst recht neugierig. Aber nach einer kurzen Heiterkeit über diese Entdeckung verfiel er wieder in düsteres Nachsinnen. Er fand, es sei nicht weit her mit dem Leben. Und sein Haß auf den Vater war an diesem Abend sehr groß.«
»Haben Sie den Fabrikanten einmal kennengelernt?«
»Nein, Simon hielt seine sämtlichen Freunde von ihm fern. Und ich war eine Freundin von Simon. Ich bin sehr traurig über das Geschehene. Bitte lassen Sie mich allein.«
Zwei große Tränen rollten aus ihren schönen Augen und zogen eine Spur durch die elegante Maquillage. Krogh nickte, dankte, stand auf und verbeugte sich. Er bezahlte seine Rechnung und verließ das Restaurant.
Einnehmend war sie, sehr charmant, aber, aber, aber... Antiken? Sein Instinkt sagte ihm, daß sie ihm einen Bären aufgebunden hatte. Wozu hatte sie den jungen Bramsnæs gebraucht?
5
Er schlenderte langsam an den Schaufenstern des breiten Boulevards vorbei. Das Fest war zu Ende, Maschinen, geschnitzte Möbel, Kunstgegenstände und Markenbutter waren wieder aus den Gebäuden verschwunden. Die große Tuborgflasche, eine der größten Attraktionen auf der sehr bodenständigen Weltausstellung, überrage das Ganze. Aber ein Erfolg war sie doch gewesen. Besonders in den ersten Monaten, als die Veranstalter mit Warenproben und Geschenken um sich warfen. Doch nachdem die Aussteller begonnen hatten, sich mehr zurückzuhalten, sank auch der Zustrom. Es sei zu teuer geworden, hieß es. In den Zeitungen hatten sich viele Besucher beschwert, weil sie geglaubt hatten, sie bekämen etwas geschenkt, und statt dessen bezahlen durften. Jetzt war alles vorbei, Kopenhagen zog sich wieder in sich selbst zurück und wurde wieder die kleine wankelmütige Stadt, die sich nie entscheiden konnte, ob sie eine Großstadt werden sollte oder nicht. Groß genug dürfte sie bald sein, aber das war nicht dasselbe wie eine Großstadt. Es wurde mächtig gebaut. Besonders in den Vierteln Vesterbro, Østerbro und Nørrebro, wo Spekulanten und geschäftstüchtige Bauherren mit großer Hast Häuser aus der Erde stampften. Er war vor kurzem an einer Baustelle in Vesterbro vorbeigekommen, als gerade ein Arbeiter von einem Gerüst gestürzt war. Sie hatten seine Frau geholt. Sie lag mit zuckenden Schultern quer über der Bahre. Die Kollegen des Mannes hatten hilflos danebengestanden und auf den Verunglückten gestarrt, während der Arzt ruhig das Blut mit einem Lappen von seinen Händen wischte.
Als er ein paar hundert Meter gegangen war, holte Petersen ihn ein.
»Interessant, sehr interessant. Bei dieser Dame ist, mit Verlaub gesprochen, auch nicht alles so ganz koscher.«
»Einverstanden. Sie erzählte, sie würde den Verkauf von Antiken vermitteln. Sie wissen, kleine Figuren, Vasen und dergleichen aus alten römischen und griechischen Gräbern. Diese hier sind wohl gestohlen. Sie behauptete, sie gehöre zur kaiserlich-russischen Gesandtschaft. Petersen, kontrollieren Sie das lieber.«
»Jawohl. Wie heißt Sie?«
»Sie nennt sich Edvarda Dujardin. Hier.«
Er gab ihm einen Zettel mit dem Namen. »Wir sehen uns morgen im Kommunekrankenhaus, da bekommen wir die traurigen Tatsachen präsentiert. Ich gehe nach Hause und schreibe an dem gottverdammten Bericht weiter. Schönen Abend noch, Petersen.«
»Guten Abend, Herr Inspektor.«
Petersen bog ab, und Krogh setzte seinen Weg fort. Er wollte durch die Stadt spazieren und noch einmal durch die Bredgade gehen, um sich den Tatort ein wenig im Abendlicht zu besehen.
Das Wetter war ganz anders als die Tage zuvor. Es war kälter geworden, der Wind nach Nord umgeschlagen, und die Sonne hatte ein paar Stunden geschienen. Mittlerweile waren große Wolken aufgezogen. Es sah nach Schnee aus.
Der Nordwind hatte den Dunst der Stadt weggeweht, die saure Glocke war verschwunden. Krogh atmete tief durch und war beinahe gut gelaunt. Richtig froh konnte er allerdings nicht sein.
Auf der Østergade herrschte ziemlich viel Verkehr. Eine Pferdebahn zuckelte gemächlich vor sich hin und versperrte einer langen Reihe von Wagen den Weg, so daß sie nur im Schrittempo fuhren. Er sah einen hutbedeckten Herrenkopf nach dem anderen vorbeigleiten. Die Gesichter zeigten verschiedene Grade von Ungeduld. Die begleitenden Damen sahen nicht so verärgert aus. Er überholte mühelos alle Wagen und amüsierte sich ein wenig, daß er auf Schusters Rappen schneller vorankam als die eleganten