Unter der Marmorkuppel. Mette Winge

Unter der Marmorkuppel - Mette Winge


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den Wunsch, Ästhetik zu studieren, aber da dieses Studium äußerst brotlos und gänzlich unnütz ist, habe ich es ihm verboten. Darüber war er selbstverständlich enttäuscht, aber nach einer gewissen Zeit hat er, glaube ich, eingesehen, daß mein Urteil richtig war, und schien ganz zufrieden mit der Staatswissenschaft.«

      »Nahm Ihr Herr Sohn am sogenannten Studentenleben teil, war er Mitglied einer studentischen Vereinigung?«

      »Ich weiß, daß mein Sohn hin und wieder im Studentenverein verkehrte, aber er hat meines Wissens nie den neuen Verein betreten. Zum Glück. Er ging oft aus. Ich gab ihm, vielleicht als eine Art Belohnung für die Staatswissenschaft, ein ordentliches Taschengeld, darum genoß er, glaube ich, das, was Sie Studentenleben nennen. Aber was er sonst machte, weiß ich nicht. Doch, er fuhr mit meinem vollen Einverständnis hin und wieder nach Berlin, um einen sehr tüchtigen Repetitor der Wirtschaftswissenschaft zu frequentieren. Ich war nicht nur einverstanden, sondern unterstützte ihn aktiv. Es förderte seine Entwicklung. Aber darüber hinaus? Was weiß ein Vater letzten Endes von dem Tun und Lassen seines Sohnes?«

      Krogh antwortete nicht, der Mann hatte ja recht. Eltern brauchten nicht viel von den Angewohnheiten ihrer Söhne zu wissen. In den sogenannten feinen Familien wußte man mehr über die Mädchen. Ihre Tugend war viel Geld wert, trotz der Mitgift, die ein Vater zu stellen hatte.

      »War Ihr Sohn verlobt oder hegte er Gefühle für eine Frau?«

      »Nein.«

      Die prompte Antwort ließ Krogh vermuten, daß Bramsnæs diese Frage erwartet hatte.

      »Hm, ungewöhnlich, daß ein junger Mann wie Ihr Herr Sohn nicht...« Er brachte seinen Satz nicht zu Ende.

      »Mein Sohn war, wie ich Ihnen sagte, weder verlobt noch auf andere Art engagiert.«

      »Wissen Sie, mit wem er verkehrte? Wer waren seine Freunde?«

      »Viel kann ich Ihnen nicht sagen. Ich forderte ihn auf, seine Kommilitonen zum Sonntagmittagessen einzuladen, aber er tat es nicht.«

      »Haben Sie darüber nachgedacht, warum nicht?«

      »Ich glaube, mein Sohn ist–war–sehr verschlossen. Er hatte wohl keinen Sinn dafür, sich Freunde und einen Umgangskreis zu gewinnen – leider.«

      Bramsnæs’ Miene war undurchsichtig. Er hielt sich kerzengerade, aber hin und wieder zog er die Schultern hoch. Plötzlich juckte er sich die Hand. Er hörte genau so unvermittelt damit auf, wie er angefangen hatte, und Krogh bemerkte, daß er sie blutig gekratzt hatte. Die Hände des Fabrikanten waren von Exzemen überzogen.

      »Und die pekuniären Verhältnisse Ihres Herrn Sohns?«

      »Er bekam, wie ich sagte, jeden Monat von mir eine angemessene Summe. Ich fand sie recht großzügig, ich weiß nicht, ob mein Sohn derselben Meinung war. Aber ich finde nicht, daß junge Männer, auch aus gutem Hause, zuviel Geld zwischen den Fingern haben sollten. Das verweichlicht nur und macht rastlos.«

      »Spielte Ihr Herr Sohn?«

      »Ob er spielte? Das glaube ich nicht.« Bramsnæs sah überrascht aus. »Nein, bestimmt nicht. Ja, ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht.«

      »Wir haben hier auf dem Tisch diese Zahlenaufstellungen gefunden, und wie Sie sehen, liegen hier Jetons. Das könnte darauf hinweisen, daß Ihr Sohn spielte. Vielleicht können Sie uns sagen, was das bedeutet?«

      Krogh reichte dem Fabrikanten das Papier und zeigte auf die Jetons. Bramsnæs schaute auf das Papier und betrachtete lange die Zahlen, dann schüttelte er den Kopf.

      »Sagt mir nichts.«

      »Und die Jetons?«

      »Auch nicht. Es sind ganz gewöhnliche Jetons.«

      »Kannten Sie die Pläne Ihres Sohnes für die nächsten Tage?«

      »Nein. Ich ging davon aus, daß er in seine Vorlesungen und zu seinem Repetitor ging. Was man so von seinem studierenden Sohn erwartet. Aber jetzt habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen. Meine Frau – die Mutter meines Sohnes – kommt bald, und ich muß verschiedenes vorbereiten. Wenn Sie also erlauben, Herr Inspektor.«

      Er beugte leicht den Kopf, sah Krogh mit einem grauen Blick an und ging aus dem Zimmer.

      »Hm.« Petersen räusperte sich.

      »Ja, Petersen, was wollten Sie sagen?«

      »Er weiß mehr über seinen Sohn, als er gesagt hat.«

      »Woraus schließen Sie das?«

      »Einfach so ein Gefühl. Er war auch so sonderbar unberührt.«

      »Das kann daran liegen, daß Metallwarenfabrikanten innerlich galvanisiert sind. Naja, das war natürlich nur ein Scherz. Auf mich wirkte er zuverlässig, obwohl Sie recht haben mögen, Petersen. Haben Sie ja manchmal.«

      »Meinen Sie? Ich finde in der Tat, daß er mehr weiß, als er gesagt hat.«

      »Schon möglich. Und merkwürdig ist, daß er so heftig bestritt, daß der Sohn eine kleine Freundin hat, wenn er gerade noch gesagt hat, ein Vater wisse nicht soviel über seinen Sohn. Naja, das werden wir schon herausfinden. Wir müssen mit den Dienstboten sprechen, uns das Haus genau ansehen und heute abend ins Restaurant. Um acht. Falls Sie sich auf einen gemütlichen Abend zu Hause eingerichtet hatten, schreiben Sie ihn lieber in den Schornstein. Habe ich Sie brummen gehört, Petersen? Ich verstehe Sie. Aber dieser Fall ist nun einmal etwas ungewöhnlich. Bitte rufen Sie die Köchin.«

      3

      Marie Jensen, die Köchin, konnte nichts erzählen. Im Gegensatz zu allen anderen Köchinnen, die Krogh kannte, war sie lang, mager und säuerlich, und sie hatte, wie die meisten in diesem Herbst, Schnupfen. Sie war bei ihrer Schwester gewesen, die mit einem Zimmermann verheiratet war und in der Blågårdsgade in dem ärmlichen Nørrebroviertel wohnte.

      Die Schwester hatte gerade ihr siebtes Kind bekommen und konnte Hilfe gut gebrauchen. Deshalb ging die Köchin an ihren freien Abenden immer zu ihr.

      Nein, sie habe nichts gehört und gesehen. Sie sei gegen zehn nach Hause gekommen und wie immer in das Zimmer im fünften Stock gegangen, wo sie zusammen mit dem Stubenmädchen wohne, und habe sich hingelegt, ohne Licht zu machen. Sie sei müde gewesen und habe sich um die Schwester gesorgt, die angefangen habe zu husten. Das Stubenmädchen sei nicht zu Hause gewesen, da sei sie sich sicher, denn von dem anderen Bett habe sie keinen Laut vernommen. Ob sie sie kommen gehört habe? Nö, denn sie habe einen tiefen Schlaf. Aber das Stubenmädchen sei dagewesen, als Ludwigsen kam, um sie zu wecken. Die Morgenarbeit wartete. Sie spreche nur selten mit dem jungen Herrn und übrigens auch nicht mit dem Fabrikanten. Sie erfahre von Ludwigsen, was sie zu tun habe. Was es zum Mittagessen gebe, bestimme sie selbst. Natürlich nur, wenn die gnädige Frau nicht zu Hause sei. Sonst bekomme sie ihre Anweisungen von ihr. Krogh versuchte, sie über die Abwesenheit der Hausfrau auszuhorchen, aber Marie Jensen war schweigsam – sie wollte keine Kommentare geben. Die Herrschaft lebe ihr Leben, sie lebe für ihre Schwester und deren viel zu große Familie.

      Das Stubenmädchen Anna Hansen war ein rundliches junges Mädchen, Anfang zwanzig. Sie wäre richtig hübsch gewesen, wenn ihr nicht ein Schneidezahn gefehlt hätte und die übrigen Zähne weniger gelb gewesen wären. Sie brauchte ein Gebiß. Sie stand kerzengerade vor ihm in ihrem hellblauen Arbeitskleid, die Hände unter der großen weißen Schürze verborgen. Auf dem rotblonden Haar saß ein Häubchen. Ja, sie habe auch frei gehabt, und das sei ungewöhnlich, denn sie und die Köchin pflegten nicht am selben Abend frei zu haben. Nicht Ludwigsen hätte ihnen freigegeben, sondern der junge Herr. Sie fing an zu schluchzen. Als sie mit der Lampe ins Zimmer gekommen sei, habe er gesagt, sie dürfe gehen, weil er ausgehen wollte. Er wollte Ludwigsen Bescheid sagen. Deshalb sei sie gegen sechs gegangen. Wohin? Ja, sie habe ihre Freundin besucht. Wo die Freundin wohne und wie sie heiße? Ja, sie heiße Sofie und wohne in der... jetzt habe sie doch glatt den Namen der Straße vergessen. Sie wisse natürlich gut, wo sie liege, ihr falle nur gerade nicht ein, wie sie heiße.

      Petersen räusperte sich, und Krogh


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