Unter der Marmorkuppel. Mette Winge

Unter der Marmorkuppel - Mette Winge


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ein Nickerchen macht. Sie sah aus, als ob sie nach Kopenhagen gekommen wäre, um einen Kondolenzbesuch zu machen oder sich ein neues Korsett zu kaufen. Sie rief mit gebieterischer Stimme nach dem Kellner und verlangte eine Extraportion Dessert. Genau das brauchst du, um nicht vom Fleisch zu fallen, meine Liebe, dachte Krogh. Sie war bestimmt nicht E.

      Ganz hinten im Raum saß ein junges Mädchen, das aussah, als ob es auf jemanden wartete. Sie starrte abwechselnd auf die Drehtür und auf eine kleine goldene Uhr, die sie an einer Halskette trug. Er näherte sich ihrem Tisch. Sie strahlte, und Krogh glaubte eine kurze Sekunde, er wäre der Grund ihrer Freude. Aber sie sah auf etwas hinter ihm.

      »Mama, endlich. Wo bist du denn gewesen? Ich war ganz nervös, hier allein zu sitzen.«

      Krogh wurde von einer elegant gekleideten Dame mittleren Alters überholt, die zu ihrem Lämmchen eilte.

      »Oh, Mathilde, Liebes. Du weißt ja nicht, wie schlimm es war. Denk nur, sie hat geglaubt, das Kleid sollte erst morgen fertig sein. Und...«

      Krogh drehte den Wiedervereinten den Rücken zu. Ein Kellner näherte sich.

      »Der Herr wünscht zu speisen?«

      »Ja bitte. Ich würde gern hier sitzen.« Er zeigte auf einen Tisch, von dem man das ganze Restaurant übersehen konnte.

      Der Diener zog den Stuhl heraus, strich das Tischtuch glatt, brachte die Karte und verschwand wieder. Krogh ließ die Karte liegen und sah sich wieder um. Er entdeckte Petersen, der ganz hinten im Raum Platz genommen hatte und Zeitung lesend aß. Krogh wußte genau, daß seine Lektüre ihn nicht davon abhielt, den vollen Überblick über die Ereignisse zu bewahren. Petersen erhob sich und tauschte seine Zeitung mit einer anderen aus. Er nahm die Politiken. Krogh wunderte sich, daß Petersen dieses radikale Blatt überhaupt in die Hand nahm. Bei der Polizei war es jedenfalls nicht gern gesehen.

      An den meisten Tischen saßen je ein Herr und eine Dame, an einem Tisch saßen drei Paare, und an Kroghs Nachbartisch hatte sich ein einzelner Herr gesetzt. Er war klein, hatte glattes dunkles Haar und tiefe schwarze Ränder unter den Augen. Gekleidet war er wie ein Dandy, und Krogh bemerkte, daß er oft den Blick in einem der großen Wandspiegel auf seiner eigenen Gestalt ruhen ließ. Die junge Dame sprach mit gedämpfer Erregung auf ihre Mutter ein, und die beiden Damen betrachteten mit unverhohlener Neugier den Herrn. Krogh zerbrach sich den Kopf, wer er sein mochte. Es war jemand, den er kennen sollte.

      Der Herr brach auf. Er plauderte mit dem Kellner und ließ, wie Krogh aus den Augenwinkeln registrierte, eine Münze in eine diskret ausgestreckte Hand gleiten. Der Herr warf einen prüfenden Blick in den Spiegel, ließ die Hand über das glänzende Haar mit dem breiten Scheitel gleiten, wohl wissend, wie es Krogh schien, daß die beiden Damen über ihn sprachen. Nachdem der Kellner ihm in seinen eleganten Mantel geholfen hatte, streifte er den einen Handschuh über, griff nach Hut und Stock und wandte sich mit einer tiefen Verneigung den beiden Damen zu.

      »Sie haben recht, gnädiges Fräulein. Ich bin der Schriftsteller Herman Bang. Hr. Man de Bang, wie sie offenbar aus dem liebenswerten Witzblatt Punch wissen. Ich empfehle mich.« Und er verbeugte sich wieder. Die Geste war ironisch.

      Aber natürlich, er konnte niemand anders sein als der kleine, merkwürdige Schriftsteller, von dem die ganze Stadt sprach. Krogh hatte Bang erstaunlicherweise noch nie gesehen, aber er kannte den Klatsch und wußte auch, daß man bei der Polizei sein Tun und Lassen aufmerksam verfolgte. Bang war einer der Unsittlichen, zu denen der junge Bramsnæs offenbar auch gehört hatte. Ob er wohl in denselben Kreisen verkehrt hatte wie Bang? Auch wenn keine Beweise vorlagen, glaubte er vorläufig die Geschichte des Stubenmädchens. An den Augen des Mädchens hatte er gesehen, daß es die Wahrheit sprach.

      Eine junge Dame betrat das Restaurant. Sie war klein, dunkelhaarig und hatte große Augen, deren Wirkung durch die Augenschminke nicht beeinträchtigt wurde. Sie sah aus wie eine elegante Französin und war diskret, aber nicht billig gekleidet. Ganz sicher war er sich seines Urteils jedoch nicht. Therese hatte sich in Sachen Mode nie geirrt. Bei dem Gedanken an Therese verspürte er einen Stich. Jetzt war es schon über ein halbes Jahr her. Und er vermißte sie bestimmt nicht weniger – im Gegenteil. Ob sie sich in Kanada wohl fühlte? Ach, sicher. Therese gehörte zu den Menschen, die sich überall einrichten konnten – bloß nicht zusammen mit ihm. Als er den Kopf drehte, fing er seinen eigenen Blick in einem der gewaltigen Spiegel auf und stellte wieder einmal fest, daß er einem jener verschlossenen, melancholischen Männer glich, die viel älter wirkten, als sie waren. 33 Jahre war eigentlich noch nicht so alt, aber er fühlte sich innerlich älter. Das war seine Erklärung dafür, daß sie mit ihm gebrochen hatte. Sie schuldete ihm immer noch die ihre.

      Während seine Gedanken um Therese kreisten, sah er, wie die junge Dame an einem Tisch Platz nahm, ihre Handschuhe abstreifte und begann, die Karte zu studieren. Sie entschloß sich schnell – der Kellner verschwand mit ihrer Bestellung –, er sah auf seine Uhr. Fünf Minuten vor acht. Sie blickte ebenfalls auf ihre kleine Kapseluhr. Krogh beobachtete sie gelassen. Sie wirkte sicher, aber ungeduldig, als hätte sie etwas Besseres zu tun, als in einem Kopenhagener Restaurant zu sitzen und zu warten. Sie schaute abwechselnd auf den Eingang und zu den Fenstern, über den Gardinen sah er den oberen Teil einer vorbeifahrenden Kutsche.

      Der Kellner servierte, was sie bestellt hatte: ein Omelett und eine kleine Karaffe Wein. Sie mußte Ausländerin sein. Eine dänische Dame wagte es nicht, allein in einem Restaurant Wein zu trinken.

      Krogh ließ sie essen. Sie schien ihr Mahl nicht zu genießen, ihre Unruhe wurde deutlicher. Jetzt war es fast halb neun. Sie versuchte, die Fassung zu bewahren, aber ihr Blick klebte an der Tür. Krogh erhob sich und ging zu ihr. Sie sah erstaunt zu ihm auf. Er zeigte seine Dienstmarke.

      »Sie erlauben?«

      Sie nickte, und Krogh setzte sich.

      »Sie erwarten einen Herrn, einen gewissen Herrn Bramsnæs?«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Von einem Brief, den Sie ihm geschickt haben. Ich muß Sie leider davon in Kenntnis setzen, daß Herr Bramsnæs nicht in der Lage ist zu kommen.«

      »Warum nicht?«

      »Er ist tot.« Krogh machte eine Pause. »Vermutlich wurde er mit einer Pistole getötet.«

      Sie wurde weiß, die Augen waren weit aufgerissen. Aber nur einen kurzen Augenblick, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle.

      »Das tut mir leid. Aber warum möchten Sie mit mir sprechen?«

      »Ich möchte Sie bitten, mitzuteilen, was Sie über Herrn Bramsnæs wissen, warum Sie sich hier mit ihm verabredet hatten, und was Sie von ihm wollten.«

      »Ich stehe selbstverständlich zu Ihrer Disposition, aber ich kann Ihnen kaum weiterhelfen.«

      »Wir könnten damit beginnen, daß Sie mir erzählen, wie Sie heißen und welche Beziehung Sie zu dem Verstorbenen hatten.«

      »Mein Name ist Edvarda Dujardin. Ich habe keinen festen Wohnsitz in Kopenhagen – meine Heimat ist Petersburg. Meine Mutter war Dänin, und aus diesem Grunde bin ich öfters hier. Trotz meines Namens habe ich keine Verbindung zu Frankreich. Mein Vater ist Russe.«

      Sie sprach ausgezeichnet dänisch, aber sie war zweifellos nicht in Dänemark aufgewachsen. Ihren Akzent fand Krogh interessant, geradezu charmant.

      »Ich gehöre zur russischen Botschaft. Diese Auskunft bin ich Ihnen wohl schuldig«, sagte sie leichthin.

      Sie hatte ihren Schock offenbar überwunden. Ihre Augen funkelten, und sie wußte, sie hatte die Oberhand. Mit Leuten, die zu Botschaften und Gesandtschaften gehörten, mußte man vorsichtig sein. Krogh wußte, was diplomatische Immunität bedeutete.

      »Aber natürlich will ich Ihnen erzählen, was ich weiß. Ein Mord ist ja ein furchtbares Verbrechen.«

      »Woher kannten Sie den jungen Herrn Bramsnæs?« begann Krogh.

      »Aus Saltsjöbaden. Wir haben uns dort letzten Sommer kennengelernt. Einer von diesen verregneten Sommern, wo man vier Wochen in einem Badehotel mit einem Haufen nichtssagender


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