Wandern ist doof. Blanca Imboden

Wandern ist doof - Blanca Imboden


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ersten Mal etwas gewonnen habe, und so stichelt sie: »Endlich machen deine blöden Kreuzworträtsel Sinn. Man kann damit Reisen gewinnen. Hut ab! Hätte ich nicht gedacht. Und die Schweiz, die ist doch total cool. St.Moritz, Arosa, Davos, Zermatt. Alles so mondän und elegant. Mitten in den Bergen trifft man die Promis der ganzen Welt.«

      Andrea schwärmt jetzt, als müsste sie mir meinen Preis erst noch verkaufen. Aber während sie voller Freude auf der Dachterrasse herumhüpfte, habe ich mir die Unterlagen genauer angeschaut, und der Freudenschrei ist mir im Hals stecken geblieben.

      »Nix mit St. Moritz. Ich habe eine Reise nach Morschach gewonnen«, dämpfe ich ihre Begeisterung.

      »Morschach?«

      Andreas Gesicht ist nun ein einziges Fragezeichen. Sie kramt sofort ihr iPhone aus der neuen Pradatasche mit Elfenaufdruck und tippt aufgeregt darauf herum. Ich mache mir Sorgen um ihre teuer manikürten Fingernägel. Sie beißt sich vor Aufregung auf die Unterlippe. Schließlich findet sie, was sie gesucht hat.

      »Nein!!! Das ist irgend so ein Kuhdorf in den Schweizer Bergen! Da kannst du nicht hinfahren!«

      Ihre Begeisterung ist in Sekundenschnelle von hundert auf null gesunken.

      »Idyllisches Bergdorf … tausend Einwohner … Sonnenterrasse über dem Vierwaldstättersee …«, informiert mich Andrea weiter.

      Ich lächle und bemerke etwas trotzig: »Klingt wunderbar nach Entspannung und Ferien. Keine Schickeria. Ideal für mich.«

      Zugegeben, das sage ich jetzt nur, um Andrea ein wenig zu ärgern. So einfach lasse ich mir meinen Gewinn nicht madigmachen. Eigentlich möchte ich überhaupt nicht verreisen. Zermatt oder Morschach, das macht für mich im Moment keinen großen Unterschied. Ich will diesen Sommer zu Hause bleiben. Ich bin erst vor einem halben Jahr hier eingezogen und brauche Zeit für mich, Zeit, um anzukommen und meine Wunden zu lecken.

      Andrea kann sich kaum erholen: »So ein winziges Bergdorf, das ist doch etwas für alte Leute oder Familien mit begrenztem Reisebudget. Dort sagen sich garantiert sämtliche Füchse und Hasen der Welt Gute Nacht. Nichts als Berge und Hügel! Du müsstest Kreuzworträtsel lösen, um nicht völlig zu verzweifeln.«

      In letzter Zeit geht Andrea mir ab und zu auf die Nerven. Vor einem halben Jahr, als mein Freund mich verlassen hat und ich mit 35 Jahren privat und beruflich neu anfangen und dafür nach Frankfurt umziehen musste, da tat es mir unglaublich gut, von ihr bemuttert zu werden. Ich war verzweifelt und irgendwie gebrochen. Aber langsam müsste sie merken, dass ich wieder zu mir zurückgefunden habe und selber weiß, was gut für mich ist. Inzwischen fühle ich mich von meiner Freundin manchmal bevormundet und gegängelt. Je mehr sie mich bemuttert, desto renitenter werde ich, wie ein pubertierender Teenager.

      renitent, 13 Buchstaben: WIDERSPENSTIG

      »Ich werde diese Reise ganz bestimmt antreten. Das ist mein erster Gewinn überhaupt und sicher eine Art Zeichen. Ich brauche keinen mondänen Ferienort, für den ich eigens noch Garderobe kaufen muss. Du hast recht, ich werde sicherheitshalber ein paar Kreuzworträtsel einpacken«, erkläre ich mit resoluter Stimme. Und weil ich gerade dabei bin, aufmüpfig zu sein, rufe ich vor den Augen meiner völlig verblüfften Freundin bei dem Magazin an, um mitzuteilen, dass ich den Gewinn mit Freude annehme. Man erklärt mir, ich müsse die Reise bereits am 23. Juli antreten. Auch dazu sage ich ohne zu zögern Ja.

      Andrea schüttelt den Kopf und greift sich verzweifelt in ihre blonde Stachelfrisur. Mir kommt das Lied vom kleinen grünen Kaktus in den Sinn, und ich muss lächeln. Das ärgert Andrea. Manchmal ist meine Freundin wirklich stachelig und gleichzeitig so liebenswert. Wie ein kleiner grüner Kaktus eben.

      Jetzt ist Andrea erst mal eingeschnappt. Ich sei ja völlig beratungsresistent, hält sie mir vor. Und ob ich denn überhaupt freibekomme? Außerdem hätte ich keine Vorstellung, wie einsam ich mich in diesem Bergdorf fühlen würde.

      »Ja, Mama«, sage ich schließlich entnervt. Darauf quetscht Andrea ihre Füße wieder in ihre neuen Designer-Schuhe und stöckelt davon.

      abhauen, 9 Buchstaben: VERDUFTEN

      Ich habe manchmal die Angewohnheit, in Kreuzworträtseln zu denken. Es beruhigt mich einfach, alles im Geiste in quadratische Felder hineinzuschreiben. Das nimmt dem Leben seinen Schrecken. Ich will mich ganz bestimmt nicht ernsthaft mit Andrea streiten. Das weiß sie auch. Wir kennen uns schließlich lange genug. Ich wedle ein wenig mit dem Brief durch die Luft, um die unguten Schwingungen zu vertreiben. Dabei fällt ein Faltblatt aus dem Kuvert, das ich noch gar nicht beachtet hatte. Ich lese und werde blass.

      War ich vielleicht doch etwas voreilig mit meiner Zusage? Zusagen kann man doch hoffentlich auch wieder absagen.

      In dem bunten Faltblatt wird die Reise detailliert beschrieben. Was ich da lese, gefällt mir ganz und gar nicht. Das Hotel wirkt gediegen und komfortabel, das erkenne ich als Fachfrau sofort. Aber ansonsten?

      Ich habe eine Singlereise mit Wandern und Fasten gewonnen.

      Hallo? Bin ich im falschen Film?

      Werde ich mit versteckter Kamera beobachtet, und gleich landet einer mit einem Fallschirm auf meiner Terrasse und erklärt, dass alles nur ein blöder Scherz war?

      fassungsloser Schreck, 9 Buchstaben: ENTSETZEN

      Ich bin nicht grundsätzlich männerfeindlich. Im Moment habe ich nur absolut keine Lust auf eine Singlereise mit Verkuppelungsspielchen. Ich gehe zurzeit gerne etwas auf Distanz zur Männerwelt und fühle mich gut dabei.

      Und wandern?!

      Wandern ist doof.

      Nachdem ich in der Schulzeit meine letzten Pflichtwanderungen erdulden musste, beschloss ich, nie mehr freiwillig Berge hochzukraxeln, nur um dann von oben nach unten zu schauen.

      Und fasten?! Warum sollte ich? Ich bin schlank und gesund.

      Nichts essen und dann auch noch Berge besteigen, und als Krönung ein paar bescheuerte Männer im Schlepptau. Das ist ein Albtraum, wie er im Buche steht! Und das alles zwölf Tage lang, in einem Kuhdorf, das absolut keine Ablenkung oder Ausweichmöglichkeiten bietet, nur Berge, so weit das Auge reicht. Soll ich mir das tatsächlich antun?

      Ich räume kopfschüttelnd meine Rätselsachen zusammen und gehe hinunter in die Wohnung. Eine dunkle Wolke hat sich vor die Sonne geschoben, und sofort wird es kühl. Wieso hatte ich das denn in der Ausschreibung nicht gelesen? Singlereise mit Wandern und Fasten!

      Habe ich in letzter Zeit wirklich jedes Kreuzworträtsel gelöst und eingeschickt, ohne auf den Gewinn zu achten und mich zu fragen: Will ich das denn überhaupt?

      Es sieht ganz danach aus.

      Was gewinne ich wohl als Nächstes? Einen Campingurlaub in der Antarktis? Einen Abend mit Hansi Hinterseer? Eine Tonne Häkelwolle, direkt über meinem Balkon abgeworfen? Mir käme noch einiges in den Sinn, das ich nie und nimmer gewinnen möchte.

      Sagte nicht mein Ex schon immer, ich sei zu spontan, würde zu unüberlegt handeln, sei zu kindisch? Hatte er am Ende recht?

      Frank war so ein Typ, der niemals den Fernseher eingeschaltet hätte, ohne vorher die Fernsehzeitung zu studieren. Jeder winzige Ausflug wurde im Voraus endlos recherchiert und damit jede Möglichkeit zu Spontanität im Keim erstickt. Als Lehrer war er es gewohnt, alles zu planen, zu organisieren, unter Kontrolle zu haben. Und doch: Wir passten wunderbar zueinander. Glaubte ich. Bis vor einem halben Jahr hielt ich uns für ein glückliches Paar. Wir stritten uns, wir versöhnten uns. Wir hatten Spaß, gemeinsame Freunde, konnten auch zu zweit sein, ohne uns zu langweilen. Dabei waren wir immerhin schon drei Jahre zusammen. Sogar unser Sexleben war okay. Bis Frank eines Tages vor mir stand, völlig überraschend, und erklärte, dass er mit einer Lehrerkollegin auswandern würde. Ausgerechnet mit der dicken Dorothee! Ich konnte es nicht fassen. Liebte Frank neuerdings nach Gewicht? Seine neue Liebe war dreißig Kilo schwerer als ich! Es gehe ihm um innere


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