Wandern ist doof. Blanca Imboden

Wandern ist doof - Blanca Imboden


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      Dazwischen kommen Gäste an, reisen ab oder reklamieren wegen diesem und jenem. Ich verbinde Telefongespräche von da nach dort. Alltag.

      Am Abend auf dem Heimweg fährt es mir erst so richtig ein: Ich fliege in die Schweiz.

      Mit der Schweiz als Urlaubsland habe ich mich schon angefreundet. Warum auch nicht? Wer in der Großstadt lebt, hat automatisch ab und zu Sehnsucht nach Wiesen und Wäldern. Ein ruhiges Bergdorf ist völlig okay. Dieser Teil meiner Reise bereitet mir kein Kopfzerbrechen mehr. Aber Wandern? Männer? Fasten?

      Ich schlafe schlecht in dieser Nacht und träume wirres Zeug von Berggipfeln und bärtigen Kerlen. Wenn ich wach liege, versuche ich mir den Verlauf meiner Reise auszumalen, und dabei wird mir angst und bange.

      Zweifel, 8 Buchstaben: BEDENKEN

      Am Morgen, als ich endlich ruhig schlafe, weckt mich meine Tante Thea. Selber schuld. Ich hätte mein Handy ausschalten sollen. Ich kann ja nicht von meinem Umfeld erwarten, meine wechselnden Arbeitszeiten zu durchschauen. Meine Tante meint, weil ich keine Eltern mehr habe, müsse sie ein wenig auf mich aufpassen. Dabei ist sie wirklich nicht die ideale Aufpasserin, sondern selber ein verrücktes Huhn, auf welches man ein Auge haben sollte. Auch mit siebzig ist sie noch lange nicht im Ruhestand, sondern tut alles, was ihr gerade in den Sinn kommt, und zwar sofort und hemmungslos. Sie reist nach Indien, lernt in der Volkshochschule afrikanisch trommeln, trifft sich mit Unbekannten aus dem Internet oder organisiert Demonstrationen gegen Diskriminierung im Alter. Sie schreibt für ein Seniorenmagazin und hat schon Hausverbot in drei Altersheimen, weil sie als Unruhestifterin gilt, welche die Heimbewohner aufwiegelt.

      Irgendwie hat sie meine ganze Bewunderung, meine Tante Thea. So möchte ich auch mal sein mit siebzig: unangepasst und jung im Geiste. Aber es reicht, wenn Andrea zurzeit meint, sie müsse mich bemuttern. Daher reagiere ich ein wenig aggressiv auf Tante Theas morgendliche Fragerei.

      »Warum schläfst du noch? Hast du dir die Nacht um die Ohren geschlagen? Bist du überhaupt alleine?«

      Wahrscheinlich würde sie sich sogar freuen, wenn ich mit einem Liebhaber zuerst heiße Orgien gefeiert und jetzt verschlafen hätte. Das unterscheidet sie sehr von meinen Eltern. Tante Thea würde mir einfach alles gönnen, solange es mir gut dabei geht.

      »Warum bist du denn so schlecht gelaunt? Warum kommst du so selten vorbei? Muss ich dir wirklich erst wieder androhen, dass ich bei dir einziehen werde, falls du mich nicht öfter besuchst?«

      Tante Thea löchert mich mit ihren Fragen. Bald bin ich nur noch ein einziges Loch. Und dabei bin ich noch gar nicht richtig wach. Natürlich verspreche ich ihr, sie morgen zu besuchen, damit sie Ruhe gibt und ich weiterschlafen kann.

      Diese Frau! Wie muss die erst drauf gewesen sein, als sie jung war und noch mehr Energie hatte? Unvorstellbar. Meine Mutter hat Thea gehasst und geliebt, verurteilt und bewundert, alles gleichzeitig. Ich habe beschlossen, sie zu lieben, und meist tue ich das auch. Ich schalte mein Handy stumm und schlafe wieder ein. Eine Stunde später weckt mich Andrea. Sie klingelt an meiner Wohnungstür Sturm. Nein, ich kann sie nicht davor stehen lassen, auch wenn die Versuchung gerade groß ist. Wir sind neulich nicht so nett auseinandergegangen.

      »Hi, Liebes«, sagt Andrea, küsst mich, drückt mir die Post in die Hand und schlüpft aus ihren Schuhen. »Wenn du Kaffee machst, habe ich die Brötchen dazu. Im Hotel haben sie mir gesagt, dass du am Morgen freihast. Du hast doch noch nicht gefrühstückt, oder?« Aus ihrer großen Handtasche, heute so pink wie ihre Pumps, duftet es verlockend. Freundinnen sind wirklich eine gute Erfindung.

      Andrea ist seit zwei Jahren meine beste Freundin. Wir sind ein ungewöhnliches Paar und hätten uns wohl unter normalen Umständen nie kennen gelernt. Aber das Schicksal half mit. In einem Parkhaus in der Frankfurter Innenstadt betraten wir gemeinsam den Lift und saßen geschlagene sechs Stunden darin fest. In dieser Zeit hat sie mehr über mich erfahren, als irgendein anderer Mensch je erfahren wird, und auch sie erzählte mir ihre sämtlichen Geheimnisse. Wir waren zwei Fremde und verließen den Lift als Freundinnen, so nahe waren wir uns gekommen. Frank hat das nie verstanden. Er hat Andrea immer nur »die verrückte Blondine« genannt. Mir tut es gut, dass sie anders ist als ich. Aber natürlich birgt das auch Konfliktpotenzial. Wir streiten uns häufig und sind selten einer Meinung.

      Andrea wirft mir beispielsweise vor, mich gehen zu lassen, bloß weil ich kein Interesse an den neuesten Modetrends zeige, und vor allem, weil ich gern bequeme Schuhe trage. Andrea ist überzeugt, dass Schuhe mehr sind als nur ein Kleidungsstück.

      »Schuhe drücken aus, wo du gerade stehst im Leben, und vor allem, wohin du noch willst«, hat mir Andrea neulich erklärt. Gut, sie ist Schuhverkäuferin, und seit sie Geschäftsführerin einer Schuhladenkette ist, muss sie noch mehr über Schuhe nachdenken. Auch ich trage gerne schöne Schuhe. Manchmal, zu besonderen Gelegenheiten. Aber doch nicht immer! Andrea meint, mit meinen flachen Tretern würde ich ausdrücken, dass ich nicht mehr sexuell attraktiv sein wolle und kein Interesse an Männern hätte.

      Stimmt genau!

      Hundert Punkte für Andreas Schuh-Psychologie!

      Ich will es im Moment vor allem bequem und gemütlich haben. Was sollte ich auch mit einem Mann, der sich vor allem für meine Schuhe interessiert?

      Andrea schimpfte neulich erbost: »Du solltest dich mal selber filmen, Conny. In deiner Freizeit hängst du hier oben auf deiner Dachinsel herum und löst Rätsel. Wie ein altes Weib! Du wirst irgendwann versauern und eine unzufriedene alte Schachtel werden.«

      Manchmal ist Andrea etwas verbohrt und sieht alles nur aus ihrer Perspektive. Ich arbeite in einem riesigen Hotel und sehe jeden Tag Hunderte von Menschen. Einige lerne ich auch kennen, manchmal näher, als mir lieb ist. Es ist also keineswegs so, dass ich mich von der Welt zurückziehe. Warum sollte ich in meiner Freizeit nicht ein wenig alleine sein dürfen? Andrea ist anders. Sie liebt Partys, kennt immer die neusten Klubs, die angesagtesten Events. Frankfurt bietet viel, wenn man genügend Kondition und das entsprechende Kleingeld hat. Letzteres wiederum ist der wunde Punkt in Andreas Leben. Als Geschäftsführerin geht es ihr jetzt zwar besser als auch schon, aber sie gibt ständig ihren letzten Euro für modischen Kram aus, und ohne die winzigste Rücklage gerät sie zwischen den Zahltagen manchmal ordentlich in Bedrängnis. Wussten Sie, wie viel Geld man für Schuhe ausgeben kann, die nur schön sind, aber keineswegs bequem oder praktisch? Und dass die passende Handtasche zum Schuh in dieser Preisklasse ein Muss ist und ebenfalls ein Vermögen kostet?

      Beim Frühstück meint Andrea dann: »Du hast recht. Geh du ruhig in die Schweiz. Weißt du, ich bin manchmal voreilig mit meinen Urteilen. Wir sind ja auch ziemlich verschieden. Also geh auf diese Reise und finde dein Glück. Hör nicht auf mich.«

      Ich schaue sie prüfend an. Warum ist sie plötzlich so einsichtig? Sie weicht meinem Blick aus und tunkt stattdessen eifrig ihr Brötchen in den Kaffee, als erfordere dies ihre volle Konzentration.

      »Geht es dir gut?«, frage ich vorsichtig.

      Andrea lacht, aber es klingt nicht fröhlich.

      »Du weißt, ich habs halt gerne ein wenig gestylt, und ich mag Typen, die etwas hermachen und die in den richtigen Lokalen verkehren. Aber gestern bin ich mit so einem richtig auf die Nase gefallen. Ich mag gar nicht darüber reden. Außen hui und innen pfui, total pfui.«

      Sie schiebt ihren Blusenärmel hoch und zeigt mir blaue Flecken an ihrem Arm. Andrea wehrt aufkommende Fragen sofort ab: »Lass uns nicht darüber reden. Es ist nichts passiert. Aber es hätte schlimm werden können. Heute Morgen kam mir die Erleuchtung. So ein fescher Schweizer Bauer wäre vielleicht doch eine Alternative, die man ins Auge fassen sollte.«

      Sie lacht wieder verkrampft, und ich lasse sie erst mal mit ihrem Spruch durchkommen. Sie wird schon erzählen, wenn sie will und kann, nur eben nicht jetzt. Allerdings finde ich die Vorstellung, Andrea könnte am Arm eines bärtigen Schweizers im Hirtenhemd daherkommen, ziemlich amüsant.

      »Vielleicht sollte ich mitkommen«, sagt sie plötzlich. »Aber in Morschach gibt es sicher mehr Kühe als Männer. Da will ich


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