... oder einfach so!. Kathy Sdao
die Resultate meines Ethogramms dem „Ohne Fleiß kein Preis“-Konzept tatsächlich, oder waren meine eigenen Hunde einfach alt und erfahren genug, um die Regeln des Zusammenlebens lockerer zu sehen? Waren Effie und Nick an einem Punkt angekommen, an dem sie sich auch dann richtig verhielten, wenn sie sich nicht alle Ressourcen erst verdienen mussten? (Die Definition von „richtig verhalten“ liegt im Auge des Betrachters. Mir persönlich ist es wichtig, dass das Verhalten meiner Hunde mir selten auf die Nerven geht oder mir Sorgen bereitet. Anderer würden wahrscheinlich meinen, dass Effie und Nick noch viel zu lernen hätten.) War es also möglich, dass meine Hunde die Notwendigkeit, für jedes Privileg erst zu arbeiten, hinter sich gelassen hatten? Durchaus, ja. In diesem Fall sollten wir das „Ohne Fleiß kein Preis“-Prinzip jedoch als Übergangslösung definieren und klare Regeln dafür aufstellen, ab wann darauf verzichtet werden kann.
Oder hatte ich es als Tiertrainerin und Verhaltensberaterin – im Gegensatz zu Nullachtfünfzehn-Hundehaltern – einfach nicht nötig, mich an dieses Trainingsprinzip zu halten? Nein. Ich kann mich nicht einfach über ein grundlegendes Prinzip des Zusammenlebens hinwegsetzen, während meine Kunden – „gewöhnliche Hundehalter“ (eine abwertende Bezeichnung, die wir vermeiden sollten!) sich daran halten müssen. Diese Doppelmoral impliziert, dass ich mir aufgrund meines größeren Wissens Dinge erlauben könne, die dem Durchschnittshundehalter nicht möglich sind. Tatsächlich aber haben weder mein Wissen noch meine Erfahrung Auswirkungen darauf, wie Verhalten modifiziert werden kann. Ein gutes Trainingsprotokoll gilt für alle Hunde gleichermaßen – auch wenn sich manche Menschen bei dessen Umsetzung leichter tun als andere. Es wäre nicht fair, zu sagen, dass ich (eine Expertin) meinen Hunden jederzeit alles erlauben darf, während Sie (ein Laie) immer erst etwas von Ihrem Hund verlangen müssen.
Nachdem ich mich eine Woche lang selbst beobachtet hatte, erzählte ich einer langjährigen Kollegin – einer erfolgreichen und erfahrenen Trainerin –, was ich herausgefunden hatte: Meine Hunde erhielten jede Menge Streicheleinheiten, Küsse, Aufmerksamkeit und Futter, ohne erst einen Befehl auszuführen. Sie grinste: „Klingt, als hättest du ein neues Trainingsprogramm erfunden: freie Liebe!“
Der Trainer als Gefängniswärter
Das folgende Erlebnis hat auf den ersten Blick wenig mit meiner Trainingsphilosophie zu tun. Jedoch trug es sich zur selben Zeit zu und gab mir das Gefühl, das Universum wolle unbedingt, dass ich das „Ohne Fleiß kein Preis“-Konzept gründlich überdenke. Im Juni 2004 hörte ich im Radio die Nachrichten der BBC: „Die US-amerikanische Kommandantin im Mittelpunkt des irakischen Gefangenenskandals sagt, sie hätte den Auftrag gehabt, die Gefangenen wie Hunde zu behandeln. Brigadier General Janis Karpinski, die Leiterin der Militärpolizeieinheit Abu Ghraibs und weiterer Gefängnisse, sagte in einem BBC-Interview, dass man sie zum Sündenbock für den Misshandlungsbefehl ihrer Vorgesetzten mache. Major General Geoffrey Miller, der Leiter der irakischen Gefängnisse, dem Guantanamo Bay unterstellt war, habe sie in Baghdad besucht und gesagt: „In Guantanamo haben wir gelernt, dass die Gefangenen sich alles verdienen müssen. Sie sind wie Hunde. Kommen sie auf den Gedanken, mehr als ein Hund zu sein, haben Sie die Kontrolle verloren!’“
Dieser Nachrichtenbericht ist in vielerlei Hinsicht verstörend. Was mir jedoch besonders auffiel, war Major General Millers selbstverständliche Überzeugung, dass Hunde „sich alles verdienen müssen“ und die Annahme, dass sich daraus ein geeignetes Modell für den Umgang mit Häftlingen ableiten ließe. Ich dachte an die Trainingspläne, die ich im Laufe der letzten Jahre an meine Kunden verteilt hatte. Hatte ich damit etwa selbst die altmodische Überzeugung weitergegeben, wie potenziell problematische Hunde und Menschen kontrolliert werden sollten? Das will ich meinen Kunden oder der Gesellschaft im Allgemeinen definitiv nicht mit auf den Weg geben! Die strenge, auf Zwang basierende Beziehung eines Gefängnisaufsehers zu den Insassen ist das Gegenteil der Freude, der Liebe und des Vertrauens, die ich mir zwischen Mensch und Hund wünsche! Beachten Sie auch, welche Annahme zwischen den Zeilen des Zitats von Major General Miller mitschwingt: Würden die Häftlinge nicht in jeder Hinsicht streng kontrolliert und müssten sich jedes Privileg (auf eine nicht näher definierte Art) verdienen, so würde Chaos ausbrechen.
Bedingungslose Liebe?
Ein weiterer Strang im Geflecht meiner Erfahrungen und Gedanken jener Monate sollte dazu führen, dass ich einen bisherigen Grundpfeiler meiner Trainingsphilosophie endgültig über Bord warf: Liebe, die man sich erst verdienen muss, widerspricht meinen tiefsten, unumstöß-lichen Überzeugungen. Liebe ist ein Geschenk, eine Gabe. Sie hat kein Preisschild und geht weit über unseren Verstand und die Buchhaltung erwünschten und unerwünschten Verhaltens hinaus, welche allen auf Belohnungen beruhenden Systemen zugrunde liegt.
Diese tiefe, grundlegende Überzeugung erwuchs aus der langsamen Transformation meines Herzens und meines Weltbilds. Zu verdanken habe ich sie zwanzig Jahren Predigten der prophetischen und poetischen Jesuitenpriester meiner Gemeinde. Mich fasziniert die simple Wahrheit, die mir viele Jahre des Hörens weiser Prediger, Gebete und die Teilnahme an SEEL (der neunmonatigen Exerzitien der St.-Ignatius-Loyola-Gemeinde) zu erkennen gaben: Wertvoll zu sein hat nicht das Geringste damit zu tun, Liebe zu „verdienen“.
Ich kann Gottes Liebe genauso wenig durch gutes Verhalten gewinnen wie ich sie durch schlechtes Verhalten verlieren kann: Gott liebt mich darum, weil es Gottes Natur ist, zu lieben. Ein weiteres Zitat von Bruder Richard Rohr: „Alles, was Gott gibt, erfahren wir als unverdiente Gnade und niemals als Lohn, Verdienstabzeichen oder Belohnung. Fühlt sich etwas so an, als hätten wir es verdient, so kommt es nicht von Gott und führt auch nicht zu Wachstum von Herz, Verstand oder Seele.“
Ich verbrachte hunderte Sonntagvormittage in der vierten Kirchenreihe links – und irgendwann konnte ich meine in der Kindheit erworbene Vorstellung von Gott nicht länger aufrechterhalten. Gott war kein Aufseher, der in seiner Allmacht und Allwissenheit über jede meiner Bewegungen Buch führte! Er zählte nicht all meine Fehler und kalkulierte, ob ich es wert war, geliebt zu werden!
Ich war also zu der Überzeugung gelangt, dass wir Menschen von Gott ganz ohne Gegenleistung geliebt werden – ganz gleich, ob wir uns gut, schlecht oder gleichgültig verhalten. Wie ließ sich das damit vereinbaren, Menschen zu lehren, dass sich ihre Haustiere Liebe und alle anderen guten Dinge im Leben verdienen müssten? Der Widerspruch war deutlich.
Ich versuchte auf verschiedene Art und Weise, diesen kognitiv aufzulösen. Erst ging ich davon aus, dass das Prinzip der bedingungslosen Liebe nur für Menschen gelte: Ist Gottes Gnade auf uns Menschen beschränkt, so müssen wir, wenn auch wir Gottes Modell der bedingungslosen Liebe leben wollen, nur unsere Mitmenschen berücksichtigen.
Eine Zeitlang gab ich mich mit dieser Erklärung zufrieden. Dann musste ich zugeben, dass sie all meinen Überzeugungen zu immanentem Wert und Würde und aller Geschöpfe widersprach. Vielleicht hat Gott uns tatsächlich in seinem Ebenbild geschaffen – aber wir haben kein Monopol auf die heilige Verkörperung der Seele. Ich habe mein gesamtes erwachsenes Leben in tiefer Verbundenheit mit den verschiedensten Tieren verbracht – Hunden und Delfinen, Walen und Walrossen. Ich schätze sie als Zeichen Gottes unermesslicher Liebe für uns Menschen und bin dankbar, die Tiere unter meinen besten spirituellen Lehrern zu wissen. Liebt uns der Schöpfer unabhängig von unseren Taten, so nehme ich an, dass dieselbe Gnade allen Geschöpfen zuteil wird.
Mein erster Versuch, die kognitive und spirituelle Dissonanz aufzulösen – die Erklärung, dass bedingungslose Liebe nur für Menschen gelte – fühlte sich zutiefst falsch an.
Ich stellte eine alternative Theorie auf: Was, wenn wir beschlössen, unseren Hund bedingungslos zu lieben, ihm aber trotzdem keine unverdienten Belohnungen gäben? Konnten wir unsere Tiere auf einer abstrakten Ebene lieben, uns in der Praxis aber dennoch vom „Ohne Fleiß kein Preis“-Prinzip leiten lassen? Ich bin mir sicher, dass es sich für die meisten Menschen tatsächlich so verhält. Sie lieben ihre Hunde, haben aber zugleich das Bedürfnis, sich an die Regeln und Strukturen einer Philosophie zu halten, in welcher Hunde sich den Ausdruck unserer Zuneigung verdienen müssen.
Dieser Ansatz gefällt mir in der Theorie allerding besser als in der Praxis. Eine Weile gab ich mich mit dieser Erklärung zufrieden. Dann musste ich einsehen, dass Liebe sich in Taten zeigt, nicht bloß in der inneren