Trotzdem: Was uns zusammenhält. Группа авторов
und gleichzeitig einen »weiteren«, die österreichische Gesamtmonarchie umfassenden, Bund zu bilden. Am 12. Januar 1849 sprach der deutsche Reichsfinanzminister Hermann von Beckerath, ein Abgeordneter der rechtsliberalen Fraktion »Casino«, im Plenum der Paulskirche aus, was nicht mehr zu leugnen war: »Das Warten auf _Österreich ist das Sterben der deutschen Einheit.« 2
Das Nein des preußischen Königs Friedrich Wilhelm zum deutschen Erbkaisertum, endgültig ausgesprochen am 28. April 1849, bedeutete das Scheitern des Versuchs, aus Deutschland gleichzeitig einen Verfassungs- und einen Nationalstaat zu machen.
Anfang 1849 hatte aber auch die »kleindeutsche Lösung«, die vor allem von evangelischen und norddeutschen Abgeordneten befürwortete Reichseinigung ohne Österreich und unter preußischer Führung, kaum noch Chancen. In der Nationalversammlung fand sich zwar schließlich im März 1849 eine Mehrheit für den Vorschlag, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die Würde eines deutschen Erbkaisers zu übertragen, doch jener wollte lieber preußischer König von Gottes Gnaden bleiben, als ein deutscher Kaiser von Volkes Gnaden werden. Wäre er auf das Ansinnen der Paulskirche eingegangen, hätte er sich damit auf den Boden der von der Deutschen Nationalversammlung verabschiedeten, vom Geist des bürgerlichen Liberalismus geprägten Reichsverfassung gestellt und vermutlich einen Krieg mit Österreich und Russland ausgelöst. Das Nein Friedrich Wilhelms zum deutschen Erbkaisertum, endgültig ausgesprochen am 28. April 1849, bedeutete das Scheitern des Versuchs, aus Deutschland gleichzeitig einen Verfassungs- und einen Nationalstaat zu machen.
Der gescheiterten Revolution von unten folgte in den 1860er-Jahren eine Revolution von oben: die Reichseinigung unter dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. Sie ging einher mit einer Spaltung des historischen Deutschland. Im »Deutschen Krieg« von 1866 besiegte Preußen Österreich und seine deutschen Verbündeten, obenan die Königreiche Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover. Im Gefolge dieses Krieges schied Österreich aus dem Deutschen Bund aus, der gleichzeitig zu bestehen aufhörte. Deutschland, soweit es nördlich des Mains lag, schloss sich unter preußischer Führung im Norddeutschen Bund zusammen. Ein Mehr an deutscher Einheit wollte Napoleon III., der Kaiser der Franzosen, Preußen nicht zugestehen, und Bismarck fügte sich einstweilen dem Pariser Veto.
Vier Jahre später folgte dem Deutschen Krieg der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71. Es war ein von Bismarck gewollter, aber nicht nur sein Krieg. Der Leiter der preußischen Politik hatte den Krieg bewusst provoziert, weil er die einmalige Gelegenheit bot, mit der Unterstützung ganz Deutschlands das französische Veto gegen die deutsche Einheit außer Kraft zu setzen. Das Nein, das Frankreich der Vereinigung Deutschlands entgegenstellte, ließ sich nur machtpolitisch, nicht aber mit dem von Napoleon III. sonst immer beschworenen Selbstbestimmungsrecht der Völker begründen. Der Krieg, den Frankreich Preußen am 19. Juli 1870 erklärte, war deshalb auch ein Krieg Napoleons III. – sein letzter, wie sich bald herausstellen sollte.
Bismarck löste die deutsche Frage, soweit sie die Frage der Einheit betraf, im kleindeutschen Sinn. Die Freiheitsfrage wurde durch die Errichtung des Deutschen Kaiserreichs aber nur zum Teil gelöst. Durch die militärische Kommandogewalt des Königs von Preußen ragte ein Stück Absolutismus in die Gegenwart hinein.
Bismarcks Reich: eine vielfach gespaltene Nation
Mit der Reichseinigung von 1871 endete Bismarcks Revolution von oben. Bismarck löste die deutsche Frage, soweit sie die Frage der Einheit betraf, im kleindeutschen Sinn. Für das übrige Europa war diese Lösung allemal erträglicher als das Großdeutschland, das die Paulskirche ursprünglich erstrebt hatte und von dem überzeugte Großdeutsche auch noch lange nach 1848/49 träumten. Die Freiheitsfrage wurde durch die Errichtung des Deutschen Kaiserreichs aber nur zum Teil gelöst.
Der Reichstag ging zwar, wie schon sein Vorgänger, der Reichstag des Norddeutschen Bundes, aus Wahlen aufgrund des allgemeinen gleichen Wahlrechts für Männer hervor. Der Reichskanzler war jedoch nicht den Abgeordneten, sondern dem Monarchen, dem Deutschen Kaiser und König von Preußen, verantwortlich. Überdies blieb das Militär der parlamentarischen Kontrolle weithin entzogen. Durch die militärische Kommandogewalt des Königs von Preußen, deren Ausübung nicht der ministeriellen Gegenzeichnung bedurfte, ragte ein Stück Absolutismus in die Gegenwart hinein. Dieser Widerspruch von modernen und archaischen Elementen prägte das politische System Deutschlands bis in die letzten Monate des Kaiserreiches im Herbst 1918.
Die Gründung des deutschen Nationalstaates bedeutete weder den Beginn noch das Ende der Nationsbildung in Deutschland. Im weiteren Sinn gehörte zu diesem Prozess alles, was den Deutschen seit dem hohen Mittelalter ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit über die Grenzen des Territorialstaates hinweg vermittelte: obenan Sprache, Kultur und Geschichte. Für die »kleindeutsche« Nation von 1871 waren diese Gemeinsamkeiten notwendige, aber keine ausreichenden Voraussetzungen ihrer Identität.
Dass sich aus der größeren deutschen »Kulturnation« eine kleindeutsche »Staatsnation« entwickeln konnte, hing eng mit einer anderen »Herausentwicklung« zusammen: derjenigen des Habsburgerreiches, das seinen Schwerpunkt seit Langem nicht mehr in Deutschland, sondern im südöstlichen Mitteleuropa hatte. Das nicht-österreichische Deutschland war geprägt von der konfessionellen Auseinandersetzung. Österreich hatte sich mit Erfolg vom Protestantismus abgeschottet; Preußen war zur Vormacht des evangelischen Deutschland geworden. Dieses Deutschland beanspruchte nach 1871 die kulturelle Hegemonie im neuen Reich. Gelegentlich hörte man auch von Bismarck selbst das Wort vom »evangelischen Kaisertum« der Hohenzollern.3 Die Katholiken bekamen die Folgen schon bald, im »Kulturkampf« der 1870er-Jahre, zu spüren.
Die Reichseinigung ging mit einer politischen Spaltung einher: der von oben gewollten Aufteilung der Bevölkerung des Deutschen Reiches in Freunde und Feinde. Die politischen Folgen dieser Diskriminierung sollten das Kaiserreich überleben.
Sie waren nicht die Einzigen, die Bismarck mit dem diffamierenden Etikett der »Reichsfeinde« belegte. Unter denselben Begriff fielen die Elsässer und Lothringer, die 1871 ungefragt Angehörige des Deutschen Reiches geworden waren, die Polen im preußischen Großherzogtum Posen, die dänischsprachigen Nordschleswiger und die Sozialdemokraten, deren beide Reichstagsabgeordneten, August Bebel und Wilhelm Liebknecht, sich im Mai 1871 als Einzige gegen die Annexion von Elsass-Lothringen ausgesprochen hatten. Die Reichseinigung ging also mit einer politischen Spaltung einher: der von oben gewollten Aufteilung der Bevölkerung des Deutschen Reiches in Freunde und Feinde. Die politischen Folgen dieser Diskriminierung sollten das Kaiserreich überleben.
Die deutsche Gesellschaft des Kaiserreichs war vielfach in sich gespalten, was sich auch in ihrem Parteiensystem widerspiegelte. Die Konservativen hatten ihre Hochburgen im großagrarisch geprägten Ostelbien; das Zentrum war die Partei der kirchentreuen Katholiken; das evangelische Bürgertum wählte konservativ, national- und linksliberal; die klassenbewussten Arbeiter scharten sich hinter den Fahnen der Sozialdemokratie. Nichts förderte deren Zusammenhalt so sehr wie die staatliche Unterdrückung in den Jahren 1878 bis 1890, der Zeit des Sozialistengesetzes. In den Reichstagswahlen vom Februar 1890 – den ersten seit der Nichtverlängerung dieses Gesetzes – stieg die SPD zur wählerstärksten Partei auf. Zur stärksten Fraktion des Reichstags wurde sie durch die Wahlen vom Januar 1912.
Zwei Monate zuvor, am 9. November 1911, hatte der Vorsitzende der Sozialdemokraten, August Bebel, im Reichstag über die Ängste gesprochen, die der Aufstieg seiner Partei auf der politischen Rechten hervorrief, und in diesem Zusammenhang konservative Zeitungen zitiert, die sich im Sommer desselben Jahres, während der zweiten Marokkokrise, für einen Krieg als Ausweg aus der inneren Krise ausgesprochen hatten. Bebel forderte: »Man weiß nicht mehr, wie man mit der Sozialdemokratie fertig werden soll. Da wäre ein auswärtiger Krieg ein ganz vortreffliches Ablenkungsmittel gewesen.« Auf der Rechten wurde die Rede mit Lachen und Zurufen wie »Nach jedem Krieg wird es besser« quittiert.4
Als der Erste Weltkrieg im August 1914 tatsächlich ausbrach, zeigten die Sozialdemokraten, dass sie alles andere als »vaterlandslose Gesellen« waren. Sie sahen Deutschland vom russischen