Trotzdem: Was uns zusammenhält. Группа авторов
Sowjetunion war.
Zu den Lehren aus Weimar, die 1945 zunächst in allen Besatzungszonen gezogen wurden, gehörte die Überwindung traditioneller Spaltungen im bürgerlichen Parteiensystem. In der Christlich-Demokratischen Union schlossen sich katholische und evangelische Christen zusammen, die sich vor 1933 in getrennten Parteien organisiert hatten; das wiedergegründete katholische Zentrum kam über eine Kümmerexistenz nicht mehr hinaus. Als interkonfessionelle Partei verstand sich auch die Christlich-Soziale Union in Bayern, die das Erbe der Bayerischen Volkspartei antrat. Die Liberalen überwanden die Spaltung in eine rechts- und eine linksliberale Partei. In der Freien Demokratischen Partei, die sich in der Sowjetischen Besatzungszone Liberaldemokratische Partei Deutschlands nannte, waren beide Flügel des deutschen Liberalismus vereint.
Zu einem Zusammenschluss früher getrennter Parteien kam es auch auf der Linken. Im April 1946 vereinigten sich unter massivem sowjetischem Druck die Sozialdemokraten und Kommunisten der Sowjetischen Besatzungszone zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. In den westlichen Bestatzungszonen hatte der frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher, der zunächst nur faktische Vorsitzende der SPD in der britischen Zone, wesentlichen Anteil daran, dass die Sozialdemokraten ihre Selbstständigkeit bewahrten. Seine konsequente Absage an irgendeine Form der Unterordnung unter den Willen der Sowjetunion trug entscheidend dazu bei, dass sich der Westen Deutschlands seit 1946 radikal anders entwickelte als der Osten. Schumacher drückte damit der deutschen Nachkriegszeit auf ähnlich markante Weise seinen Stempel auf wie sein bürgerlicher Kontrahent Konrad Adenauer, der Vorsitzende der CDU in der britischen Zone, der im September 1949 zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde.
Dass Adenauer seine Politik der Westintegration durchsetzen konnte, verdankte er nicht zuletzt der Tatsache, dass die »nationale Opposition«, mit der er es zu tun hatte, anders als in Weimar nicht von der antidemokratischen Rechten, sondern von der demokratischen Linken gestellt wurde: eine Konstellation, die mit dazu beitrug, der zweiten deutschen Demokratie zu innerer Stabilität und breiter gesellschaftlicher Legitimation zu verhelfen.
Gegenüber der Weimarer Republik verkehrten sich in der jungen Bundesrepublik die innenpolitischen Fronten. Vor 1933 waren die Rechte nationalistisch und die Linke internationalistisch gewesen; nach 1949 übernahmen die Kräfte der rechten Mitte unter Führung der CDU/CSU den supranationalen Part, indem sie die Einigung Westeuropas vorantrieben, während die Sozialdemokraten sich für den Vorrang der Wiedervereinigung Deutschlands aussprachen und sich dadurch ein nationales Profil gaben.6 Dass Adenauer seine Politik der Westintegration durchsetzen konnte, verdankte er nicht zuletzt der Tatsache, dass die »nationale Opposition«, mit der er es zu tun hatte – anders als in Weimar – nicht von der antidemokratischen Rechten, sondern von der demokratischen Linken gestellt wurde. Es war diese Konstellation, die das erste Jahrzehnt der Bundesrepublik prägte und mit dazu beitrug, der zweiten deutschen Demokratie zu innerer Stabilität und breiter gesellschaftlicher Legitimation zu verhelfen.
Die Spaltung Deutschlands aber vertiefte sich währenddessen immer mehr; durch den Bau der Berliner Mauer wurde sie seit dem 13. August 1961 im Wortsinn betoniert. Für den Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, den Sozialdemokraten Willy Brandt, und seinen engsten Berater, den Senatspressesprecher Egon Bahr, wurde der Mauerbau zum Anlass, über eine grundsätzliche Revision der bundesdeutschen Ost- und Deutschlandpolitik nachzudenken. Im Hinblick auf die fehlende demokratische Legitimation der DDR waren sich Christ- und Sozialdemokraten bislang prinzipiell einig gewesen. Die damit begründete Nichtanerkennung des anderen deutschen Staates aber reichte offensichtlich nicht aus, die Vertiefung der Spaltung zu verhindern. »Wandel durch Annäherung« lautete die Devise, die Egon Bahr am 14. Juli 1963 in einem Vortrag im Politischen Club der Evangelischen Akademie Tutzing ausgab.7 Über alles Trennende hinweg galt es demnach, durch Zusammenarbeit zwischen Bundesrepublik und DDR den Weg für zwischenmenschliche Erleichterungen im geteilten Deutschland zu öffnen und trotz fortdauernder staatlicher Spaltung den Zusammenhalt der Deutschen als Nation zu sichern.
Willy Brandt legte die Grundrichtung seiner neuen Ost- und Deutschlandpolitik in seiner ersten Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 fest. 20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und der DDR gelte es, über ein »geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander« zu kommen.
Ihre erste praktische Anwendung fand die von Brandt propagierte »Politik der kleinen Schritte« in einem Passierscheinabkommen vom Dezember 1963, das West-Berlinern Verwandtenbesuche in der »Hauptstadt der DDR« gestattete. Auf größerer Bühne konnte Brandt seit 1969 als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler fortsetzen, was er in Berlin begonnen hatte. Die Grundrichtung seiner neuen Ost- und Deutschlandpolitik legte er in seiner ersten Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 fest. 20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und der DDR gelte es, ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation zu verhindern, also zu versuchen, über ein »geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander« zu kommen. Der DDR bot er Verhandlungen ohne Diskriminierung mit dem Ziel einer vertraglichen Zusammenarbeit an. »Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung kann nicht in Betracht kommen. Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein.« 8
Die Neugestaltung des innerdeutschen Verhältnisses konnte die Regierung der sozialliberalen Koalition nur in Angriff nehmen, weil sie jeden ihrer Schritte eng mit den westlichen Verbündeten und mit der Sowjetunion abstimmte. Dem Grundlagenvertrag mit der DDR von 1973 gingen drei weitere Verträge voraus: die Verträge mit der Sowjetunion und mit Polen, die für das Verhältnis der Bundesrepublik zu den Staaten des Ostblocks grundlegende Bedeutung hatten, und das Viermächteabkommen über Berlin, das den künftigen Status der Westsektoren von Berlin und ihre Beziehungen zur Bundesrepublik regelte.
Der deutsch-deutsche Vertrag von 1973 war ein zwischenstaatlicher, aber kein völkerrechtlicher Vertrag. Die beiden deutschen Staaten vereinbarten einen wechselseitigen Gewaltverzicht und hielten unterschiedliche Auffassungen in grundsätzlichen Fragen, darunter der nationalen Frage, fest. Dass der Vertrag dem Grundgesetz nicht widersprach, stellte das von der Bayerischen Staatsregierung angerufene Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Juli 1973 ausdrücklich fest. Das Gericht machte es den Verfassungsorganen aber zur Pflicht, am Ziel der staatlichen Einheit festzuhalten und alles zu unterlassen, was eine Wiedervereinigung vereiteln würde.9
Bonn: die postnationale Demokratie?
Das Karlsruher Urteil band die Verfassungsorgane, aber nicht die Gesellschaft und nicht die Parteien. Seit Beginn der 1980er-Jahre mehrten sich links der Mitte die Stimmen, die einen Verzicht auf das Staatsziel der Wiedervereinigung forderten. Im Januar 1981 regte der Publizist Günter Gaus kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik in der DDR in einem Interview mit der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT an, im Umgang mit der DDR künftig tunlichst auf den Begriff »Nation« zu verzichten.10 Gaus kam damit der SED weit entgegen, die seit 1970 die These von der Herausbildung einer neuen »sozialistischen Nation« in der DDR und damit von der Existenz von zwei deutschen Nationen vertrat. Das Theorem der »Binationalisierung« fand in der Bundesrepublik nur bei wenigen Politologen und Historikern Anklang, wohingegen das von dem Bonner Zeithistoriker Karl Dietrich Bracher erstmals 1976 formulierte Verdikt von der Bundesrepublik als »postnationaler Demokratie unter Nationalstaaten« auf verbreitete Zustimmung stieß.11
Die erste Partei, die dem Ziel der Wiedervereinigung eine klare Absage erteilte, waren die 1979 gegründeten Grünen. Aber auch unter den Sozialdemokraten und unter linksliberalen Intellektuellen gab es viele, die in den Ruf nach der Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates nicht mehr einstimmen mochten. Nach dem Anteil, den das Deutsche Reich an der Auslösung der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts hatte, wollten sie Europa eine neuerliche deutsche Machtzusammenballung