Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm
Karen-Lis’ Kinderheim in Simbabwe aussehen mochte. Das Telegramm war längst abgeschickt, aber sie hatten nichts gehört und keine Ahnung, ob sie es bekommen hatte.
Sie hatte die Hand auf der Türklinke, als das Gefühl sie überkam. Plötzlich konnte sie den Gedanken an das Haus nicht ertragen. Den Gedanken, alleine dort zu sitzen. Sie wollte seine Geschichten und Stimmen nicht, die sich in den Wänden und unter den Teppichen verbargen. Erinnerungen an andere Weihnachten, an Spiele, die gespielt, und Mittagessen, die veranstaltet worden waren, an die Lieder um den Weihnachtsbaum. Sie drehte sich um. Henrik sah sie fragend an und ließ das Fenster herunter.
»Kommst du mit rein?«
Er schien die Bitte zu verstehen und schaltete den Motor aus. »Wenn du meinst. Du kannst uns ja einen Kaffee machen.«
»Es gibt Leberpastete. Selbst gemachte. Wenn ich sie in dem Durcheinander finde.«
Er stieg aus und sie sah, dass auch er erschöpft war. »Ich kann es kaum erwarten.«
Es fiel ihr schwer, ruhig zu sitzen. Die Hände schienen sich mit etwas beschäftigen zu müssen. Sie räumte den Küchentisch ab, auf dem Chaos herrschte. Machte Ordnung, füllte warmes Wasser ins Spülbecken, warf Brotreste und gebrauchte Kaffeefilter weg. Henrik beobachtete sie. Sagte nichts. Er holte selbst die Leberpastete aus dem Kühlschrank und Bier aus der Speisekammer, während sie fahrig abtrocknete und abwischte, Dinge zurechrückte und wegstellte.
»Ich hoffe, das hilft«, sagte er schließlich und öffnete zwei Biere.
»Was?«, fragte sie, den Rücken ihm zugewandt, während sie einen Teller abtrocknete.
»Das da.«
Sie drehte sich um. Entfernte mit nasser Hand eine Haarsträhne, die ihr in die Augen hing.
»Du hast Seife auf der Stirn«, sagte Henrik. »Komm und setz dich.«
Ihr Blick ging in der Küche auf Wanderschaft. Die Blumen auf der Fensterbank sahen vernachlässigt aus; der Adventskalender wartete auf sie. Sie ging hinüber und öffnete die letzten beiden Türchen, ohne richtig zu sehen, was dahinter war. Sie griff nach der Gießkanne auf der Fensterbank, füllte sie mit Wasser und ertränkte die beiden Azaleen in einem Wasserfall, sodass das Wasser die Bank hinunterlief und weiter auf den Boden schwappte. Dann spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter.
»Kit. Entspann dich.«
Sie sah zu ihm hoch. Fragte ihn ohne Worte, wie man das machte. Wie man sich entspannen konnte, wenn das eigene Leben auseinander fiel. Wenn der eigene Vater bewusstlos und alles Chaos war.
Er führte sie zum Tisch und stieß sie sanft auf die Bank. Goss ihr ein Bier ein und schmierte ein Brot mit Leberpastete, das er mit einigermaßen geübter Hand mit einer Roten Beete aus dem Glas verzierte. »Iss.«
Sie gehorchte. Dankbar, dass jemand, gleichgültig wer, einen Entschluss für sie traf. Nach ein paar Sekunden protestierte der Magen. Aber dann war es vorbei, als würde der Körper sich an das Essen gewöhnen, und sie merkte, wie hungrig sie war.
Er aß, wie nur er essen konnte. Mit Riesenbissen, als hätte er wochenlang Hunger gelitten. Sie sah ihn an und spürte gleichzeitig mit der Angst, dass er aufstehen und gehen könnte, die Wut. Sie wusste nur zu gut, dass sie sich nicht an ihn klammern durfte. Das war verboten. Gegen die Regeln. Das konnte man mit Exfreunden nicht machen.
»Was ist?« Seine Augenbraue hob sich fragend.
»Nichts.«
Er biss in das Brot mit Leberpastete, kaute und spülte mit Bier nach. »Sag schon, dann können wir es hinter uns bringen.«
Sie spürte die Panik wachsen. Wie immer, wenn er endlich reagierte, wenn die Gutmütigkeit aufgebraucht war. Sie starrten sich an. Die Wut gewann die Oberhand.
»Und weiterkommen, meinst du?« Mit spöttisch verzerrter Stimme sprach sie die Floskel aus, die allein schon ausreichte, um sie in eine Sinnkrise zu stürzen. Immer musste man weiterkommen. Mit seinem Leben. Mit sich selbst. Mit seiner Partnerschaft. Auch dieses Wort hasste sie. Es war unfair. Sie wusste genau, dass sie ihm gerade jetzt Leid tat und er keine Lust zu kämpfen hatte. Sie wusste auch, dass er aufstehen und gehen konnte. Aber sie konnte es nicht lassen.
»Warum konnten wir nicht einfach weitermachen wie bisher?«
Sie konnte sehen, dass er mit sich rang, ob er ablenken und die Wogen glätten oder die Herausforderung annehmen sollte.
Er entschied sich für Letzteres. Er legte das Messer hin und schob den Teller weg. »Du hast doch Nein gesagt. Erinnerst du dich nicht? Vor drei Monaten hast du Nein zu mir gesagt.«
Sie spürte die Beharrlichkeit. »Das habe ich auch so gemeint. Warum musstest du unbedingt fragen? Zu dem Zeitpunkt? Warum mussten wir unbedingt so viel mehr als nur so leben, wie wir es getan haben?«
Jetzt seufzte er. Er hatte die Gabe, dass sie sich wie ein Kind vorkam. Es war mal wieder so weit.
»Es kann gut sein, dass das für dich überraschend kommt. Aber ab und zu ist man gezwungen, ein bisschen erwachsen zu sein. Genau das ist der Fall, wenn Leute heiraten und Kinder bekommen. Das ist der nächste Schritt.«
Sie konnte nichts dafür. Und es lag nicht an ihm. Es war nicht persönlich gegen ihn gerichtet. Nur die Angst, anders und mehr sein zu müssen als sie selbst, Kit. Nicht Ehefrau. Nicht Mutter. Der Gedanke hätte sie beinahe erstickt; der Gedanke, die Angst und den Traum möglicherweise mit in eine Ehe zu zerren. Es gab ja genug in ihrem Leben. Henrik, ihren Vater und ihre Mutter und Karen-Lis. Genug Menschen und genug, warum man sich kümmern musste.
»Du hattest gerade deinen Job gekündigt. Der Zeitpunkt war, gelinde gesagt, schlecht. Außerdem heiraten nicht alle.«
Jetzt sah er kampfbereit aus. »Wenn unsere Beziehung darauf basieren sollte, ob ich für deinen Vater arbeite oder nicht, dann war es bestimmt gut so.«
»Du verdrehst die Tatsachen«, sagte sie.
»Tue ich das?«
Sie spielte mit ihrer Gabel. Kratzte Muster in die Wachstischdecke. Versuchte sich zu erinnern, konnte aber nicht sehen, ab wann es schief gelaufen war. Ab wann die Beschuldigungen und das Misstrauen und die Zerrüttung in ihr Leben gekommen waren. Aber eines Tages hatte er plötzlich seine Stelle bei Kaliki gekündigt und ihr ein Ultimatum gestellt. Ehe und Kinder oder nichts. Alles oder nichts.
»Es kann gut sein, dass es dich irritiert, das zu hören, Kit. Es kann auch gut sein, dass du zu den Leuten gehörst, denen es gelingt, durch das Leben zu gehen, ohne sich von der Familie und dem eigenen Vater lösen zu müssen«, sagte er mit seiner stillen, kontrollierten Stimme. »Aber ich gehöre nicht dazu.«
Sie kratzte weiter Muster in die Tischdecke. Die Muster glichen Wellen, die höher und höher wurden, wilder und wilder. Verdammt. Jetzt hatte er sie wieder gegen die Wand gedrückt.
»Ich hatte geglaubt, du liebst mich«, murmelte sie kleinlaut, wagte jedoch nicht, ihn anzusehen. »Ich hatte auch geglaubt, dir gefiele deine Arbeit bei Vater.«
Er streckte die Hand nach dem Bierglas aus. Aber er trank nicht. Saß nur da und drehte es auf der Stelle herum. »Das hatte ich auch geglaubt«, sagte er leise.
Sie saßen schweigend da. Er schien aufgegeben zu haben. Schien sich damit zu begnügen, dass sie nicht weiterkamen.
»Wart ihr seitdem da drinnen?« Henrik wechselte das Thema.
»Wo?«
»Im Büro? Da, wo es passiert ist.«
Es war ein klares Ablenkungsmanöver, aber sie sagte nichts, denn auch sie konnte nicht mehr. Konnte nicht weiter in der Schuld herumwühlen und sie zuordnen. Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht die Zeit gehabt. Wir haben nur die Tür geschlossen.«
»Du hast nie nachgesehen, was in der Post war?«
Sie hatte es als unwichtig abgetan. Hatte ihre ganze Energie auf diesen einen Menschen im Krankenhaus konzentrieren müssen. Den einzigen