Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm

Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm


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      Er schwebte. Spürte den Druck, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. Er sah aus dem Fenster. Sie hatten gedreht und glitten jetzt dicht über die Dächer. Irgendwo konnte er eine Frau sehen, die Wäsche aufhing. Er bildete sich ein, dass er ihr Gesicht mit den schrägen Augen ausmachen konnte, und sagte sich ruhig, dass das hier schief gehen musste. Sie würden nicht überleben. Nicht bei der Höhe. Fast ganz unten zwischen den Häusern. Glaubte der Pilot vielleicht, dass sie auf der Hauptstraße landen sollten? Dann veränderte sich die Aussicht, und plötzlich war auf beiden Seiten Wasser. Er war überzeugt, dass sie sich direkt in den Meeresgrund bohren und wie ein unterseeischer Vulkan explodieren würden.

      Schnell, aber ohne Panik verabschiedete er sich in Gedanken. Von seiner Mutter und seiner Schwester in Nyborg. Den Kameraden aus der Studentenzeit in Odense und vom Militär. Und die Firma hätte sich das halbe Jahr Schulung in der Uhrenfabrik in der Schweiz sparen können, von wo er direkt mit der Swissair kam. Nun würde er nie auch nur eine einzige Uhr verkaufen. Er würde auch nicht einen Tag älter werden als zweiundzwanzig. Würde nie die zweite Hälfte des Jahres 1961 erleben.

      Als das Flugzeug schließlich in Hongkongs Kai Tak Airport landete, war dieser Umstand für ihn nichts Geringeres als ein Wunder. Und als er sich erholt hatte und die Türen geöffnet wurden, sodass er in die feuchte Wärme hinaustreten konnte, verliebte er sich zum ersten Mal seit seiner Kindheit. Seit damals, als die Familie die Stadt verlassen und das Flugzeug sie den langen Weg zurück nach Dänemark gebracht hatte, ohne auch nur eine einzige der Millionen, von denen sein Vater immer geredet hatte.

      Der Traum seines Vaters von Hongkong war nie in Erfüllung gegangen. Er war in Alkohol und falsch kalkuliertem Übermut ertrunken. Jetzt war er an der Reihe, denn nach dem heutigen Tag konnte er alles überleben. Von dieser lärmenden, brodelnden Stadt aus mit ihren Menschenmengen und den Gerüchen von Schweiß und Verdorbenem und Fisch würde er die Welt erobern.

      Als das Begrüßungskomitee entgegen aller Erwartung ausblieb, rief er seinen neuen Chef bei der Steinberg Far East Ltd. vom Flughafen aus an.

      »Wie haben Sie gesagt, heißen Sie? Bennett? Ich weiß nichts von einem Bennett«, klang es barsch. »Was wollen Sie hier?«

      »Uhren verkaufen. Ich komme von einer halbjährigen Ausbildung in der Fabrik in der Schweiz. Ich bin der neue Verkaufschef.«

      »Davon kann keine Rede sein«, teilte ihm Abel Zimmermann mit. »Ich verkaufe die Uhren. Das muss ein Missverständnis sein.«

      Nichts war arrangiert. Keiner wusste etwas. Er hatte auf eine Wohnung gehofft, musste sich aber im CVJM Männerheim in Kowloon einquartieren. Doch die Verliebtheit hielt an. Das untrügliche Gefühl, dass das eine Stadt nach seinem Geschmack war. Sie hatte all die Jahre auf ihn gewartet. Und jetzt gehörte sie ihm.

      Als er am nächsten Tag ins Büro kam, wurde er zu Zimmermann hereingeführt. Er glich dem, was er war: ein kräftiger russischer Jude mittleren Alters. Krumme Nase, großer Mund und Augen wie polierte schwarze Diamanten.

      »Die Uhren können Sie nicht übernehmen«, sagte er kurz angebunden. »Was soll ich mit Ihnen anfangen? Niemand hat mir Ihr Kommen angekündigt. Sie passen hier nicht hin. Sehen Sie sich um. Sie verlagern die Altersgrenze um ungefähr fünfzig Prozent nach unten.«

      Er hatte es gesehen, als er den langen Gang entlanggegangen war. Die ganzen Männer mittleren Alters, die in ihren Anzügen schwitzten und taten, als hätten sie gute Ideen.

      »Lassen Sie mich irgendetwas tun«, sagte er. »Sie werden es nicht bereuen.«

      Abel Zimmermann sah ihn eingehend an. Die Diamanten bohrten sich in seinen Blick, und er merkte, wie sie in ihm rumorten und ihn von innen absuchten. Dann schienen sie auf etwas Bekanntes zu stoßen; etwas, das sie von sich selbst kannten. Zum ersten Mal lächelte sein Chef, und das Lächeln zog sich bis unter die Haarspitzen und klemmte die Augen zu Schlitzen zusammen.

      »Spielen Sie Schach?«

      Schach war sein Lieblingsspiel. Noch nie hatte er ein Spiel verloren. Sein Gehirn war für Kalkulationen und Strategien wie gemacht. Er nickte, und Zimmermann sah ihn durchdringend an.

      »Wir müssen irgendwann eine Partie zusammen spielen.« Er schien nachzudenken. »Da drüben steht ein leerer Schreibtisch«, sagte er dann und zeigte mit der Hand in Richtung eines großen Raums, in dem bereits sechs oder sieben Menschen saßen. »Sie haben ein Budget von 200 000 Dollar.« Zimmermann sah auf seine Uhr. »Sie sollten in Gang kommen ... Sie können übrigens damit anfangen, dass Sie sich Mover ansehen. Macintosh, der die Verantwortung für den Verkauf trägt, geht in drei Monaten in Urlaub.«

      »Mover?«

      Zimmermann verzog ärgerlich das Gesicht und stieß den Stuhl von seinem Schreibtisch fort.

      »Wir haben die Agentur für Mover Waschmaschinen. Ein ziemlich hoffnungsloses Produkt, bringt kein Geld ein.«

      Voller Überzeugung sagte Erik Bennett zu seinem Chef: »Das wird schon noch kommen.«

      Das Büro lag im St.-George-Gebäude im Herzen des Geschäftszentrums von Victoria. Wenn er morgens mit einer Rikscha zur Arbeit fuhr, war er vom Leben der Stadt wie berauscht. Er war auf einen anderen Planeten gekommen, einen, der nie schlief, aber auf dem alle ein Ziel verfolgten: Geld. Er spürte es mit jeder Pore seines Körpers. Vom ärmsten Bauernmädchen bis zum reichsten Geschäftsmann drehte sich alles um Geld.

      Alles wurde zum Verkauf angeboten, alles und alle ließen sich kaufen. Selbst wenn die Rikscha durch die Straßen fuhr, konnte er das Geräusch des Geldes hören, wenn die Mah-Jongg-Steine in den vielen so genannten Mah-Jongg-Schulen klickten, die nichts anderes waren als Spielhöllen, in denen alle, von den chinesischen Dienstmädchen, den Amas, bis hin zu den Verkaufsleitern wie er selbst ganze Vermögen gewannen und wieder verspielten.

      Er begriff, dass es die Amas waren, die den Schlüssel in der Hand hielten. Sie waren wie ein unsichtbares Netzwerk; ein Untergrundheer von Bediensteten mit mehr Macht, als man glauben sollte. Alle wohlhabenden Familien – und von ihnen gab es viele – hatten eine Ama. Konnte er die Amas gewinnen, war der halbe Verkauf gewonnen.

      Ihm wurde eine Verkaufsassistentin zugeteilt, eine kleine chinesische Dame mittleren Alters mit Namen Mary Wong.

      »Wir werden ganz Hongkong mit Mover eindecken«, teilte er ihr mit. »Ich werde Mover Waschmaschinen für die chinesische Ama unentbehrlich machen.«

      »Aber die waschen doch mit der Hand und fegen mit Besen. Dafür werden sie bezahlt.«

      Er zwinkerte Mary Wong zu, die erschreckt mit den Augen blinzelte. Irgendwo in ihrer chinesischen Seele erahnte er die eingebaute Rechenmaschine. Er wusste, dass sie da war, denn er hatte sie auch in sich.

      »Wenn wir nur eine einzige Familie in einem großen Wohnblock davon überzeugen können, dass eine Mover unentbehrlich ist und wenn wir ihre Ama überreden können, das weiterzuerzählen, werden plötzlich alle eine haben wollen.«

      Mary Wong sah interessiert, aber immer noch skeptisch aus. Doch er wusste, dass sie kaufen würden. Weil er ihre Art zu denken kannte und weil er wusste, wie er die Kugel ins Rollen bringen konnte. Er spürte, wie sein ganzer Körper vor Spannung und Energie kribbelte.

      »Suchen Sie uns einen geeigneten Block und eine geeignete Familie«, sagte er. »Ich verspreche Ihnen, wir werden Tausende von Waschmaschinen verkaufen.«

      Am nächsten Tag fuhr er mit Mary Wong, die wie ein kleiner Vogel regungslos neben ihm saß, in der Rikscha davon. Er selbst streckte die Beine aus, legte den Kopf in den Nacken und sah in die Luft, wo ein Hochhaus neben dem andern in den Himmel schoss. Einige Häuser waren ganz neu, andere wurden gerade gebaut. Kleine emsige Arbeiter flitzten ohne irgendeine Absicherung die Bambusgerüste hinauf und hinunter.

      »Eine gefährliche Arbeit«, sagte er und nickte beifällig.

      Mary Wong spitzte die Lippen. »Das sind die bestbezahlten Arbeiter in ganz Hongkong.«

      »Zu Recht.«

      Sie sagte nichts, aber er spürte, dass sie mit ihm einer Meinung


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