Der Gartenpavillon - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm
was die untersten Klassen anging, die Flüchtlinge, die auf der Straße schliefen und in Pappkisten wohnten. Vielleicht war es für viele offenkundig hoffnungslos. Doch trotzdem war das Gefühl da, durchsäuerte die ganze Stadt. Das Gefühl, das hier alles möglich war.
Mary Wong hatte einen Termin mit einer britischen Familie gemacht. Die Frau des Hauses und führte sie ins Wohnzimmer, wo ihre Ama ihnen eine Schale mit Erfrischungen brachte.
»Haben Sie schon einmal von einer automatischen Waschmaschine gehört, Mrs. Jones?«
Die Frau lächelte. »Das habe ich. Aber ich glaube nicht, dass das etwas für uns ist. Wir haben ja unsere Ama, Lucy.«
»Wenn sie eine gute Ama ist, wollen Sie sie sicher behalten.«
Mrs. Jones nickte. »Das versteht sich von selbst. Viele bieten ihre Dienste an, aber es ist schwer, eine gute Hilfe zu finden.«
»Genau«, sagte Erik und trank aus dem Glas mit Fruchtsaft. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie Ihre Ama mit einer unserer Waschmaschinen sehr zufrieden machen werden. Und es ist mir eine Freude, Ihnen sagen zu können, dass Sie durch einen besonderen Zufall ausgewählt worden sind, der es uns erlaubt, Ihnen einen Rabatt von fünfzig Prozent einzuräumen.«
»FÜNFZIG? Das ist doch was!«, rief die Frau begeistert, und er merkte, wie Mary Wong sich bei dem Gedanken wand, auch nur eine einzige Waschmaschine halb zu verschenken.
Er beugte sich vor und begegnete Mrs. Jones’ Blick. Sie musste um die dreißig sein, ganz hübsch, mit fraulichen Formen unter einem geblümten Kleid und sich schnell umsehenden blauen Augen.
»Natürlich. Und so einen Rabatt bekommt nicht jeder. Ich bin sogar bereit, so weit zu gehen, Ihnen zu versprechen, dass Sie Ihr Geld zurückbekommen, sollten Sie während des ersten Monats unzufrieden sein.«
Mrs. Jones lachte ausgelassen. »Ja dann, da gibt es wohl nichts mehr zu überlegen.«
»Nein, nicht wahr?« Er zwinkerte ihr zu, dass sie errötete.
Mrs. Jones war äußerst zufrieden. Nicht zuletzt weil ihre Ama hoch erfreut und die Familie jetzt etwas Besonderes war. Sie waren schließlich ausgewählt worden.
Ein paar Tage später tauchten er und Mary Wong zu der Zeit des Tages auf, von der sie wussten, dass Mrs. Jones und die meisten anderen Hausfrauen ihre Einkäufe machten. Er lernte Mary Wong an, von Tür zu Tür zu gehen und jeder Ama fünf Prozent anzubieten, wenn sie die Frau des Hauses dazu bringen konnte, eine Mover Waschmaschine zu kaufen, wie die, die die Ama von Mrs. Jones bekommen hatte.
Die Aufträge strömten herein.
Doch damit war er noch nicht zufrieden. Es gab einen größeren Markt, das wusste er. Er wollte Waschmaschinen verkaufen, dass es nur so rappelte. Er beschloss, das große Kaufhaus des britischen Militärs, NAFI, dazu zu überreden, alle anderen Marken aufzugeben und nur noch Mover zu verkaufen. Per Anruf in der Hauptniederlassung von Mover in den USA handelte er eine Preisreduzierung beim Kauf einer größeren Menge von Waschmaschinen aus. Auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung hatte er den britischen Offizier kennen gelernt, der für den Einkauf des NAFI verantwortlich war. Er bot ihm Mover Waschmaschinen weit unter dem Preis anderer Marken an sowie eine Kommission beim Verkauf jeder einzelnen Waschmaschine. Die Soldaten griffen zu. Alle kauften Mover Waschmaschinen und brachten sie zollfrei mit nach Hause nach England, wo sie sehr viel teurer waren.
Weitere Bestellungen gingen ein, und selbst wenn sie gewollt hätten, hätte NAFI den Verkauf nicht stoppen können. Schließlich hatten sie die Kommission angenommen.
Sein Chef war zufrieden. Als Erik eines Tages über mangelnden Platz in seinem Büro klagte, das er sich mit sechs weiteren Mitarbeitern teilte, zeigte er mit einer Hand in Richtung von Mackintoshs Büro mit dem blank polierten Mahagonischreibtisch und den säuberlich arrangierten Kugelschreibern und der Schreibunterlage.
»Bis auf weiteres können Sie das da nehmen. Später finden wir etwas anderes.«
So zog er in die feine Umgebung um; setzte sich probeweise in den Lederstuhl, den man hoch und runter und in alle möglichen Positionen drehen konnte, knallte die Beine auf den Schreibtisch, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
So saß er auch am nächsten Tag, als Mackintosh hereingestürmt kam.
»Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie Flegel? Sehen Sie zu, dass Sie aus meinem Büro kommen.«
Vorsichtig zog er die Beine zu sich heran und setzte sich auf.
»Was habe ich gehört? Sie haben die Absprachen mit unseren Kunden gebrochen. Wir hatten Exklusivabsprachen mit sechs Geschäften in ganz Hongkong, und plötzlich kann man überall Mover kaufen, und zwar weit unter Preis. Was, zum Teufel, haben Sie gemacht?«
Erik beugte sich vor, stemmte die Ellenbogen auf den Schreibtisch des Mannes und starrte ihm lange und direkt in seine vorsichtige, pedantische, fantasielose, aber harmlose Seele.
»Ich habe den Verkauf von Mover Waschmaschinen im Laufe eines Monats um 1000% angehoben«, sagte er, und Mackintosh tat ihm trotz allem Leid. Er konnte ja nichts dafür, dass er das, was man dazu brauchte, nicht hatte. Einen Moment erwog er, aufzustehen und ihm das Büro wieder anzubieten, den Stuhl für Mackintosh vorzuziehen und die Wut, die seine Ratlosigkeit überdeckte, aus seinem Gesicht zu wischen. Aber das würde nicht helfen, das wusste er. Es würde die Zeit nur hinauszögern, denn die Mackintoshs dieser Welt gehörten nicht an Orte wie diesen.
Am folgenden Tag zog Mackintosh in das Büro auf den Philippinen um.
Da war eine Stimme. Kits Stimme. Wie Kit plötzlich in seinem Büro in Hongkong sein konnte, ging über seinen Verstand.
»Warum liegt er da und grinst?«, fragte die besorgte Kit-Stimme.
Er spürte das Rascheln eines Kittels und nahm den Geruch einer Krankenschwester nach Medizin und Spiritus wahr. Sie nahm seine Hand und fühlte den Puls.
»Er schläft«, sagte sie. »Vielleicht sollen wir ihm ein wenig Ruhe gönnen.«
8
Sie fühlte sich wie auf der Achterbahn. In einem Moment schwitzte sie in der wollenen Jacke, im nächsten wurde sie von Kälteschauern geschüttelt. Zusätzlich zu dem Asthma hatte sie sich auch noch erkältet.
Kit schniefte, während sie vorsichtig das Gesicht auf der Scheibe drehte. Fahles Abendlicht fiel ins Fenster und schräg über Backenknochen und Stirn. Ihre Finger glitten rastlos über die Wangen der Skulptur.
»Wer bist du?«, murmelte sie und fischte mit schmutzigen Fingern eine Papierserviette aus der Tasche. Aber sie bekam keine Antwort. Stattdessen hatte sie das Gefühl, dass das Gesicht sie mit seinem toten Blick anstarrte. Sie war noch nicht bis zu den Augen gekommen.
»Darf ich hereinkommen?«
Karen-Lis hatte nicht geklopft, und das irritierte sie. Es war genau wie in ihrer Kindheit. Nie konnte man etwas für sich haben, ohne dass sie es unbedingt wissen wollte, und wenn sie es nicht verstand, zog sie einen damit auf.
Kit nickte. Aus den Augenwinkeln sah sie ihre Schwester leise ins Atelier eintreten.
»Was ist das?«, fragte Karen-Lis.
»Ein Gesicht.«
»Aber was für ein Gesicht?«
Karen-Lis war es gewohnt, allem Namen und Alter zu geben. Eine Berufskrankheit. Genau wie alles erklärt, analysiert und diskutiert werden musste, sodass kein Mysterium mehr blieb.
»Kein bestimmtes. Nur ein Gesicht«, sagte Kit irritiert. Das Blut schoss ihr in die Wangen, und zu ihrer Verwunderung spürte sie den Verlust, der sie überrollte. Aber wie sollte sie ihrer Schwester erklären, dass sie sie vermisste, wenn sie direkt hier stand. Das würde ihr Journalistengehirn niemals verstehen.
Karen-Lis hielt zur Selbstverteidigung die Hände hoch. »Ach, du meine Güte. Es ist ein Staatsgeheimnis.«
»Es ist kein Geheimnis«, erklärte