Ich bin Virginia Woolf. Pola Polanski

Ich bin Virginia Woolf - Pola Polanski


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zu den Shorts, aus denen muskulöse Beine ragten, die in neonfarbigen Turnschuhen steckten. Die beiden könnten Zwillinge sein, dachte sie. Plötzlich fühlte sie sich einsam. Seit Maman gestorben war, hatte sie sich immer wieder in Frauen verliebt, was sie sich mit dem plötzlichen Fehlen von mütterlichem Halt erklärte.

      Um die beiden auf sich aufmerksam zu machen, fuhr sie sich mit einer Hand durch ihr knallrot gefärbtes Haar, während sie mit der anderen eine Zigarette aus einem Etui fschte, auf dem ein Dias de los Muertos-Totenkopf gedruckt war. „Good Vibes only“ stand darunter. Demonstrativ zündete sie sich eine Zigarette an und beobachte die zwei aus dem Augenwinkel. Sie schienen weder zu rauchen noch Alkohol zu trinken. Wahrscheinlich sportbegeisterte Vegetarierinnen, dachte Inka. Mit denen würde sie sowieso nichts anfangen können. Sie wandte sich wieder ihrem Wein zu und schaute verlegen nach unten. Auf ihrem Fuß saß eine grün schillernde Schmeißfliege und labte sich an der Wunde, die ihr die Sandale gescheuert hatte. Panisch versuchte Inka, das widerliche Insekt abzuschütteln, doch es krallte sich fest und ritt auf ihrem Fuß wie der Teufel. Erst als sie es mit der Hand verscheuchte, ließ es von ihr ab.

      Inkas Gesicht war kreidebleich. Sie wollte aufschreiben, was ihr gerade passiert war, doch der Ekel war so groß, dass sie seufzend den Stift sinken ließ. Hinter ihr stand das Liebespaar auf und ging leichten Schrittes auf den Strand zu. Frustriert postete sie auf Facebook: Werde den Rest meiner Tage als Mönchin unter einem Baum in meinem Garten fristen. Durch das Gras werden Spatzen hüpfen. Manchmal werde ich mir einen von ihnen grillen.

      Während sie ihren Blick in die Rücken der beiden Frauen bohrte, begannen ihre Gedanken um Maman zu kreisen.

      3

      Maman

      In ihrer Erinnerung war das Leben mit Maman ein einziges Fest gewesen, das einem den Boden unter den Füßen rauben konnte. Mama wollte nicht mit Mama angesprochen werden, sondern mit Maman. Sie behauptete, in Paris aufgewachsen zu sein. Auch durften die Kinder Papa nur spanisch mit Papá ansprechen. Nachts malte Maman grellbunte Bilder, deren Motive sie auf ihren Reisen durch exotische Länder im Kopf gesammelt hatte. Urwaldbilder mit prächtigen Tieren, Südseepanoramen, Labyrinthen und Mandalas. Es waren Bilder untergegangener Kulturen, wie die der Mayas in Mexiko. Die ganze Villa hing voll mit diesen Bildern, und überall standen welche herum. „Bald können wir nicht mehr laufen“ sagte Papá und lachte dabei, denn er liebte Maman und hätte sie allein wegen ihres Spleens geheiratet. Er vernachlässigte die Firma, die Mamans Vater gegründet hatte, und schleppte Maman von einer Reise zur nächsten. Während dieser Zeit kochte Großmutter für die Kinder. Woher das Geld für all die Reisen kam, interessierte Maman herzlich wenig. Hauptsache, Papá war bei ihr. Manchmal fuhr Maman auch alleine nach Sylt. Wegen ihres Asthmas, wie sie sagte. Auch dann kam Großmutter und kochte.

      Eines Nachts, Inka war ungefähr acht Jahre alt gewesen, war sie aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Sie kletterte in ihrem weißen Nachthemd, das mit schönster Stickerei versehen war, aus dem Kinderbett und stieg die lange Treppe hinab, um auf die Suche nach Maman zu gehen. Sie fand ihre Mutter im Wintergarten konzentriert vor einer Leinwand sitzend. Ihr rotes, volles Haar hatte sie wie immer mit einem grünen Samtband zu einem pompösen Turm aufgebunden. In ihrem blassen Gesicht leuchteten die Sommersprossen durch das hereinfallende Mondlicht wie winzige Diamanten. Madam la Souris, ein Mausmaki, den Maman in ihrer Handtasche illegal aus Madagaskar eingeschmuggelt hatte, saß ihr auf der Schulter.

      Als Inka wie ein kleiner Geist in der Tür erschien, rollte Madame la Souris mit den Augen, während Maman nicht einmal aufsah. Sie war so sehr in das Bild vertieft, an dem sie arbeitete, dass sie nicht mehr von dieser Welt zu sein schien.

      „Maman, ich kann nicht schlafen!“ rief Inka zaghaft.

      Das Gesicht ihrer Mutter zeigte keinerlei Regung. Sie war offensichtlich in einer anderen Dimension gelandet. Nun, das hatte nichts geholfen, also ging Inka noch näher heran. Madame la Souris schaute sie mit großen Augen an. Inka hatte sie am Anfang nie streicheln können, da sie nur auf Maman fixiert war. Jetzt streckte sie die Hand nach dem Äffchen aus und strich ihm mit einer leichten Bewegung über den Kopf. Madame la Souris gab einen murmelnden Laut von sich, richtete ihre Riesenaugen auf Inka und schien zu grinsen.

      „Maman, Madame la Souris hat mich angelacht!“ rief Inka.

      Ihre Mutter lies den Pinsel sinken und drehte den Kopf herum: „Mein Schatz, was machst du denn hier? Es ist nach Mitternacht!“

      „Ich kann nicht schlafen, Maman!“

      „Sieh dir dieses Bild an. Ich male gerade, wie ich Papá auf der Insel Gili Montang vor einem Komodowaran gerettet habe. Er war drauf und dran, deinem Papá den Kopf abzubeißen. Weißt du, was ich gemacht habe? Ich habe ihn mit einem Brocken Fleisch geködert. So war er beschäftigt, und Papá und ich konnten fliehen. Ist das nicht wunderbar? Papá muss man ständig retten, er ist viel zu waghalsig.“

      „Danke für die Geschichte, Maman. Darf ich jetzt Madame la Souris mit zu mir ins Bett nehmen? Damit ich schlafen kann?“ „Madame la Souris muss alleine schlafen. Ich bringe sie gleich in ihr Gehege. Aber, mein Schatz, du weißt, dass ich immer alle rette. Dich, Papá, Rolande, und alle, die mir lieb sind.“

      Maman gab Inka einen Kuss auf die Stirn: „Geh jetzt ins Bett, Liebes, du musst keine Angst haben.“

      Inka streichelte Madame la Souris noch einmal sanft über den Hinterkopf und ging wieder nach oben. Der Vollmond warf einen riesigen Schatten-Komodowaran auf ihre Bettdecke, aber Inka hatte keine Angst mehr. Maman war ja da, und Madame la Souris, die von Maman auch zärtlich „kleiner Schattengeist“ genannt wurde, schlief jetzt auch.

      4

      Esbit

      Von einer ihrer vielen Reisen durch Mexiko hatten die Eltern einen Amazonenpapagei mit nach Hause gebracht. Maman kaufte ihm eine Stange, auf der er sitzen sollte, und brachte sie mitten im Wohnzimmer an. Die Flügel des Papageis waren bereits in Mexiko gestutzt worden, so dass er nicht davonfliegen konnte. Sein Gefieder war durchgehend knallgrün, nur auf der Stirn hatte er einen roten Fleck. Dieser schillernde Vogel war nun der Chef der Familie, was Rolande zur Weißglut brachte, denn das Tier forderte die volle Aufmerksamkeit aller Familienmitglieder ein. Blieb diese für eine Weile aus, konnte man sicher sein, dass er bald von einer Mauer fiel und sich ein Bein brach. Oder er landete mit dem Fuß auf einer Schraube und verletzte sich daran. Von allen Seiten kam dann Mitleid, so dass er wieder zufrieden war.

      Als der Vogel einmal volle drei Wochen lang im Mittelpunkt stand, weil er wegen eines verstauchten Beines immer mit der Hand auf seine Stange gesetzt und wieder herabgenommen werden musste, setzte Rolande sich einen Tag lang vor ihn hin und sagte in halbminütigem Abstand „Arschloch“ zu ihm. Da diese Papageienart sehr gelehrig ist was das Sprechen betrifft, sagte der Vogel noch am selben Abend zum ersten Mal „Arschloch“. Maman war begeistert: „Jetzt haben wir endlich einen Namen für unseren Chef. Er soll Monsieur Connard heißen.“ Rolande bekam vor Wut einen roten Kopf. Das verdammte Viech war noch weiter ins Zentrum der Familie gerückt.

      Monsieur Connard lernte schnell weitere Wörter und ahmte mit der Zeit sogar das Klingeln des Telefons nach. Einmal hatte Rolande deshalb sogar nach dem Hörer gegriffen. Wütend warf er einen der ebenfalls aus Mexiko importierten kleinen Dias de los Muertos-Totenköpfe nach dem Vogel. Der kreischte, plusterte sein Gefieder auf und sagte, diesmal besonders deutlich: „Arschloch“.

      Maman tat es leid, wenn der Vogel an seiner Stange angebunden war, weshalb sie öfters die Kette von seinem Fuß löste. Dann flatterte er mit gestutzten Flügeln quer durch das Wohnzimmer. Zwar kam er nicht besonders weit, doch es reichte immerhin, um auf Rolandes Schultern zu landen und ihm kräftig ins Ohrläppchen zu hacken. Rolande war groß und kräftig gebaut, hatte braune Augen und blonde Haare. Ganz der Großvater mütterlicherseits. Papá sagte öfter, Rolande mache alles nur mit Kraft, was nicht viel nützen würde gegen einen Vogel. Besonders schlimm war es für Rolande, dass der Papagei keinerlei Respekt vor seinem Klavier zeigte. An der Stelle, wo das Pedal herausschaute, hatte er mit seinem harten Schnabel bereits eine tiefe Kerbe ins Holz geknabbert. Als würde es ihn stören, dass Rolande viel zu häufig das Pedal gebrauchte. Auch


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