Millionäre. Artur Hermann Landsberger
und sich aus seinem Oberhemd mühte.
„Na, Poldi, was sagst du zu mir?“ fragte sie ihn.
Leopold, dessen Kopf noch im Hemde steckte und dessen Arme wie zwei Stöcke in die Höhe ragten, sah wie eine Vogelscheuche aus.
„Feine Leute, diese Beers!“ keuchte er unter dem Hemde hervor.
„Und der Prinz?“ fragte Emilie.
„Was für’n Prinz?“
„Nun der Prittwitz.“
„Das is doch kein Prinz,“ erwiderte Leopold und zog sich sein Nachthemd über – „Baron meinst du.“
„Du bleibst doch ewig ein Miesmacher!“ schalt Emilie; – „was das nu schon gross für ’n Unterschied ist!“
„Immerhin ...“ sagte Leopold, kroch in sein Bett, brabbelte etwas Unverständliches und schlief ein.
Emilie aber hörte nichts mehr. Sie zog aus der Kommode ein reines Spitzenhemd hervor, schlüpfte hinein, nahm vom Toilettentisch ein Flakon und spritzte auf Hemd und Hände ein paar Tropfen. Trat vor den Spiegel, beugte die Knie und übte sich wohl zehn Minuten lang in den Verbeugungen, die sie von Abbildungen der Hoffeste her kannte.
Dann stieg sie ins Bett, knipste das Licht aus – und träumte in tiefen Schlummer hinüber: jung und schön war sie – Prinzen und Könige kamen – von weit her – legten ihr allen Schmuck der Welt zu Füssen – gaben ihr glänzende Feste – und sie thronte, mit Edelsteinen besät, über allen. –
„Deck dich zu!“ flüsterte Leopold, der wach lag und gerade die Kosten für den Sektpavillon berechnete – „du wirst dich erkälten!“
In Schweiss gebadet richtete sich Emilie auf.
„Denk an das Fest!“ erinnerte er.
„Ja ... mein ... Prinz!“ sagte sie ganz benommen, zog die Decke hoch und träumte weiter.
Elftes kapitel
Wie Emilie Lesser bei ihrem gesellschaftlichen Debut abschneidet
Die Prinzessin von Schönborn sass im Salon ihres Appartements im Palace Hôtel und unterhielt sich mit ihrer jungen Nichte, der Komtesse Dorothy von Roedern.
„Es ist ja gewiss das Recht eines jeden, sich das Wohltun so amüsant wie irgend möglich zu gestalten“, drang die Komtesse immer lebhafter in die Prinzessin – „aber in diesem Falle, wenn du es doch glaubtest, Tante, kommt es zu spät.“
Du hast recht!“ stimmte die Prinzessin bei – „dies Fest ist Humbug!“
„Glaube mir Tante! wer, wie ich in dieser Nacht, das Elend mit eigenen Augen gesehen hat und dann, statt sich die Kleider vom Körper zu reissen und die frierenden Kinder hineinzuwikkeln, noch Lust verspürt, das Elend mit Musik und Sekt zu bekämpfen, muss ein Vieh sein!“
„Geliebtes Kind!“ beruhigte sie die Prinzessin und nahm ihre Hand. „Du bist ja ganz ausser dir!“
„Herr Baron von Prittwitz;“ meldete der Diener.
Die Prinzessin nickte.
Prittwitz trat in den Salon, beugte sich zu seiner Tante, küsste ihr die Hand und begrüsste dann die Komtesse.
„Ist es erlaubt, liebe Tante?“ fragte er und wies auf die Tür – „die Mitglieder des Komitees wünschen durchaus dir vorgestellt zu werden.“
„Wenn es sein muss!“ sagte die Prinzessin.
Er gab dem Diener einen Wink und die Gräfin Larisch, die Baronesse Holzing, die Ehepaare Beer und Lesser traten in den Salon.
Die beiden Aristokratinnen – dem Vormittage angemessen – in Tailor-Made Kleidern, Frau Kommerzienrat Beer in hoher Besuchstoilette – Emilie dekolletiert.
Emilie war kreidebleich vor Erregung und hielt sich krampfhaft hinter der Gräfin Larisch, der sie jede Bewegung abguckte und nachmachte. Sie war auf mehr Zeremonie gestimmt und wurde enttäuscht. Schon der Vorantritt der Diener, den sie aus Hofberichten kannte, fehlte. Und als jetzt die Prinzessin der Gräfin die Hand reichte und Emilie zitternd den grossen Augenblick erwartete, in dem die Gräfin in die Knie sinken und ihr die Hand – an dem sie übrigens nur einen wertvollen Ring entdeckte – küssen würde, da erlebte sie ihre erste grosse Enttäuschung!
Nichts von alledem geschah! Wie zwei ganz gewöhnliche Sterbliche gaben sie sich die Hände, fragten sich nach ihrem Befinden und wechselten ein paar nichtssagende Worte.
Was sollte nun werden? – Sie warf einen heimlichen Blick zu Leopold, der im Smoking und weisser Weste ein paar Schritte seitwärts stand. Leopold erriet sofort ihre Gedanken. Er zog die Schultern in die Höhe und schüttelte den Kopf. Aber als er Emilien hilflos und verzweifelt sah, tat sie ihm leid, und anstatt abzuwinken, nickte er ihr ermunternd zu.
Emilie atmete auf – trat vor und holte zu dem grossen Hofknix aus ...
... schon berührte ihr linkes Knie die Erde, da verlor sie das Gleichgewicht – das rechte Bein glitt aus – und sie kippte in ihrer ganzen Schwere zur Seite.
Nur die Prinzessin und Leopold blieben ernst.
„Ein faux pas!“ flüsterte die Komtesse ihrer Tante zu.
Man half ihr auf und führte sie zum nächsten Sessel.
„Ich hoffe, Sie haben sich nicht weh getan,“ sagte die Prinzessin. „Dies Parkett ist so glatt, dass man dauernd in Angst schwebt, auszugleiten.“
Emilie brachte kein Wort heraus.
„Es ist ihr erster Versuch,“ erläuterte Leopold.
Das verstand niemand.
Die Prinzessin beugte leicht den Kopf und stellte ihre Nichte, die Komtesse Roedern vor. – Dann nahm man Platz. Emilie sass schon. – Beers rückten ostentativ von Lessers ab und möglichst dicht an die Prinzessin heran.
Emilie hatte ihren Unfall überstanden.
„Meine Nichte und ich waren schon mitten bei der Arbeit,“ sagte die Prinzessin.
„Das ist ja ausgezeichnet!“ erwiderte Prittwitz. „Wir haben gestern bis in die Nacht hinein gesessen und das Programm entworfen.“
„Köstlich! ganz köstlich wird es werden!“ bestätigte Emilie.
Die Prinzessin und die Komtesse sahen sich an.
„Meine Nichte war, während Sie dies „köstliche“ Programm entwarfen, an der Unglücksstätte!“ sagte die Prinzessin. „Es soll schrecklich sein!“
„Wie? ... Sie waren ...“ – wandte sich Frau Kommerzienrat Beer ganz entsetzt zur Komtesse Roedern – „des Nachts ... ja, mit wem denn?“
„Mit einem Fuhrwerk!“ erwiderte sie.
„Wie unpassend für ein junges Mädchen!“ flüsterte Emilie.
Leopold nickte.
„Man soll sich keine Vorstellung von dem Elend machen können, das da unten herrscht,“ sagte die Prinzessin. „Hunderte von Obdachlosen, die nichts als ihr nacktes Leben gerettet haben. Verzweifelte Frauen, Kinder, die vor Kälte und Hunger schreien – und dazwischen das Feuer, das bis zum frühen Morgen wütete.“
„Ein grandioses Schauspiel muss das sein!“ sagte Leopold.
„Fahren wir alle heute nacht hinüber!“ schlug die Komtesse vor.
„Heute wird es nicht mehr lohnend sein!“ meinte Emilie.
„Warum nicht?“ erwiderte die Komtesse – „wenn Sie Glück haben und der Wind sich dreht – die Asche glimmt noch überall – geht es heute nacht an irgendeiner Stelle nochmal los.“
Baron Prittwitz sekundierte.
„Nun, wir haben die Nacht auch nicht nutzlos verbracht,“