Schloss Frydenholm. Hans Scherfig

Schloss Frydenholm - Hans Scherfig


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betäubend. Aber blendend klar beleuchtet sein Licht uns und unser vergangenes Leben. War das nun Satans Schlag oder war es ein Schlag Gottes? Ja, was war denn Christi Tod am Kreuze? War es Satans Hand, die sich zum Schlag erhob, oder die Hand Gottes?

      Der Blitz hat uns getroffen. Das Licht umstrahlt uns. ,Was willst du, daß ich tun soll?‘ hat Saulus gefragt. Was willst du, Herr, daß wir tun?

      ,Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu lecken‘, verkündete Gott durch den Lichterglanz. Es wird diesem Volk schwer werden. Aber seht, der Weg liegt offen vor euch: Zurück zu Gott! Von Gott gelenkte Gesetzgeber und ein von Gott gelenktes Volk! Wenn wir das wollen, dann haben wir um Gottes Barmherzigkeit willen eine Zukunft vor uns. Doch wenn wir den Weg der Gottlosigkeit wie in den vergangenen Jahren auch in der Zukunft gehen wollen, dann wird Er in Zorn zu uns sprechen und uns mit seinem Zorn entsetzen!

      Unser dänisches Volk steht vor dem Tore. Dahinter liegt das Heil unseres Volkes!“

      „Das konnte man wohl eine gewaltige Predigt nennen“, sagte Pastor Nørregaard-Olsen wenig später zu seiner Frau.

      „Am Freitag für den Rundfunk kannst du sie wohl kaum gebrauchen“, antwortete sie.

      „Nein. Für den Rundfunk kann ich sie wahrhaftig nicht gebrauchen! Meine derben Worte über gottlose Minister und gottlose Gesetze würden unserem guten Kaspar Bobbel bestimmt nicht gefallen. Aber hier, in Gottes eigenem Hause, darf ein Pfarrer wohl wagen, offen und dreist wie Meister Ole Vind 5 zu sprechen. Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Für den Rundfunk muß ich natürlich etwas anderes machen. Ich würde ja gern einmal Harald das Manuskript dieser Predigt zeigen, um zu hören, was er dazu meint. Ich kann mir gut denken, was er sagen würde. Ich glaube, er würde mit dem Psalmisten sagen: Ihr seid ein braver Gottesmann und predigt, wie Ihr müßt!“

      Aber Harald Horn kam vorläufig nicht zu Besuch in das Pfarrhaus. Er hatte in der Hauptstadt mehr als genug zu tun mit vielen neuen Freunden, mit viel Schreiberei, mit Versammlungen und Vorträgen und mit gesellschaftlichen Verpflichtungen. In der „Danmarkstidende“ schrieb er Artikel über den Kulturbolschewismus und nannte darin die Namen der Schriftsteller, deren zersetzende Tätigkeit in einer Zeit der nationalen Besinnung und der germanischen Gemeinschaft nicht länger geduldet werden könne. „Ihr roter Stern ist im Sinken!“ schrieb er prophetisch. Er hielt Reden und wöchentlich einen Rundfunkvortrag über den nordischen Geist im germanischen Raum, er war eifrig und unermüdlich und auf der Höhe der Zeit.

      Da blieb auch nicht ein Tag für Ferienreisen oder stille Stunden im Pfarrhof. Zudem war es beschwerlich geworden, im Lande zu reisen. Es verkehrten weniger Züge, und die Abteile waren überfüllt und ungemütlich. Benzin für Privatwagen gab es nicht; sie mußten in den Garagen aufgebockt werden, standen da und veralteten. Die Autobesitzer mußten sich in kollektiven Verkehrsmitteln unter geringere Menschen mischen, und sie saßen in den Zügen und Straßenbahnen und ließen sich anmerken, daß sie Besseres gewohnt waren. Benzin gab es nur für lebenswichtige Fahrten.

      Der gelbe Autobus fuhr mit einem Gasgenerator; ein rauchender Kachelofen an der Rückwand und Säcke mit Buchenklötzchen und Torf auf dem Dach. Von Zeit zu Zeit mußte der Fahrer anhalten, auf das Dach klettern, mit einer Eisenstange im Kachelofen rühren und Heizmaterial nachschütten. Daß man auf diese Art fahren konnte, war ein technisches Wunder.

      Aber François von Hahn kam in einem richtigen Benzinauto nach Frydenholm, seine Fahrten waren wohl ebenso lebenswichtig wie die des Arztes. Auch deutsche Offiziere kamen in großen, eleganten Autos nach Frydenholm. Fliegergeneral Leonard von Kaupisch in eigener Person kam nach Frydenholm, aß im Schloß zu Mittag und übernachtete in dem historischen Himmelbett, während deutsche Soldaten und dänische Gefolgsleute Wache hielten. Es gab Festlichkeit und Vornehmheit und Betrunkenheit wie in alten Zeiten, als der Schwedenkönig und Oberst Sparre und seine Dragoner Frydenholm besuchten. Graf Rosenkop-Frydenskjold war ein lustiger und verschwenderischer Wirt, wie auch seine Vorfahren es gewesen waren.

      Am Abend, wenn die Fenster der kleinen Häuser im Dorf mit schwarzem Papier verdunkelt sind, strahlt das Licht aus den Fenstern des Schlosses, und Musik und Gesang klingen weit über das Land. Die Leute stehen im Dunkeln an der Gittertür und sehen hinauf zu der Herrlichkeit. Höschen-Marius steht dort mit offenem Mund und feuchter Nase und reckt den Hals. Und ein paar von Niels Madsens Fürsorgejungen stehen dort und starren. Einer von ihnen hat eine unsympathische Physiognomie, eine gebrochene Nase und einen lauernden Blick.

      20

      Dr. Damsø hatte ein Menschenalter lang treu das „Dagbladet“ abonniert. Nun bestellte er es ab.

      Er setzte sich hin und schrieb eine ausführliche Begründung zu diesem Schritt. Er schrieb sie mehreremal um, gab sich erhebliche Mühe dabei, las sie sich dann selbst vor und war nicht unzufrieden mit seinem Schreiben, das er an Chefredakteur Jens Angvis adressierte.

      Angvis hatte sich gewissenhaft an die Instruktionen gehalten und einen Leitartikel verfaßt, in dem er feststellte, daß nur Englands Haltung und Maßnahmen die Ereignisse im Norden ausgelöst hätten. Vieles deute darauf hin, daß Churchill in seiner Auffassung beharre, die skandinavischen Länder seien eine gute Operationsbasis gegen Deutschland. Doch man habe in London nicht mit der Schnelligkeit und dem Wagemut der Deutschen gerechnet.

      Die Deutschen hatten nichts gegen den Artikel einzuwenden, aber die dänischen Leser des „Dagbladet“ verhielten sich überraschend. Nicht nur Dr. Damsø bestellte die Zeitung ab. Fast zehntausend Abonnenten reagierten ebenso, und viele von ihnen begründeten ihren Schritt wie Dr. Damsø in langen, wohlüberlegten Briefen an die Redaktion.

      Chefredakteur Angvis war erstaunt. Er verstand seine Landsleute nicht. Hatten sie noch nicht begriffen, daß Dänemark von den Deutschen besetzt war? Da bestellten die Leute einfach die Zeitung ab. Zehntausend! Gut, das durften sie. Alle konnten die Zeitung abbestellen, wenn sie es wollten. Dann ging die Zeitung ein. War es das, was sie wollten? Dann würden sie statt des „Dagbladet“ deutsche Zeitungen bekommen!

      Der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft war besorgt und berief eine Tagung ein, um über die Sache zu beraten. Sich den neuen Zuständen im Lande anzupassen schien schwieriger zu sein, als man erwartet hatte. Der Redaktion wurde dringend empfohlen, in Zukunft etwas geschickter vorzugehen. Deutsche Gefühle dürften selbstverständlich unter gar keinen Umständen verletzt werden, aber man sollte doch auch ein wenig Rücksicht auf die dänischen Abonnenten nehmen.

      Als Ausdruck der dänischen Gesinnung des „Dagbladet“ brachte man nun in jeder Ausgabe Bilder des Königs. Der tägliche Spazierritt des Königs wurde wie eine bedeutungsvolle nationale Tat beschrieben. In dieser für Dänemark so ernsten Zeit ritt unser König! Konnte es etwas Stärkendres und Aufmunternderes geben? Dort ritt er. Ein Vorbild und ein Beispiel für sein Volk, so saß er zu Pferde. Dieses Reiten glich einem Versprechen, das König und Volk sich gaben. Es war wie ein wärmender Handschlag. Kerzengerade ritt der König. Er glich der brennenden Kerze, nach der alles Lebende sich in der Nacht umschaut. Ein Lichtschimmer, Feldzeichen des Volkes. Seht, so soll ein König sein! schrieb „Dagbladet“.

      Redakteur Jens Angvis kam auf den Gedanken, im „Dagbladet“ müsse ein Gedicht über den reitenden König erscheinen, und verständigte den Lyriker der Aktiengesellschaft, Ole Jastrau. Der Dichter hatte sich in den zwanziger Jahren durch ekstatische Revolutionsgedichte einen Namen gemacht. Er war es auch, der am Ostermorgen des Jahres 1920 von der Treppe der Marmorkirche herab vor einem Haufen Studenten die Räterepublik ausgerufen hatte, ohne daß die Polizei es für notwendig hielt einzuschreiten. Nun war er Gelegenheitsdichter für das „Dagbladet“. Sein Spezialgebiet waren Familienangelegenheiten des Königshauses, im übrigen war er für alles verwendbar, was sonst noch anfiel. Er war der Mann, der kurzfristig das Gedicht über den reitenden König liefern konnte.

      Ole Jastrau dichtete. Er saß in seinem schmalen Redaktionsbüro und formte schwitzend und schnaufend Strophen. Was reimte sich auf reiten? Nein, das ging nicht. 6 Als der Reim endlich sich zu glätten und zufriedenstellende Formen anzunehmen begann, klopfte es an der Tür.

      „Wer zum Teufel ist da? Ich will nicht gestört werden! Ach, du bist es, Vuldum.“

      Sein


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