WIR. Heimat - Land - Jugendkultur. Группа авторов
in unserer Gemeinde aussehen?“, gemeinsam gleichberechtigt mit Jugendlichen in Workshops erarbeitet.
Auch wenn nicht mehr nur über die Jugend geforscht wird, sondern die Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch kreative Befragungsmethoden beteiligt werden, ist die Jugend immer noch nicht Subjekt der Forschung.
Die Untersuchung bildet dabei die Vielfalt der Perspektiven der verschiedenen jugendlichen Lebenswelten ab. Das gelingt ihr besonders anschaulich, indem sie 14- bis 17-Jährige in Form von zahlreichen Zitaten und kreativen Selbstzeugnissen zu Wort kommen lässt. Einzigartig ist auch, dass Jugendliche fotografische Einblicke in ihre Wohnwelten gewähren und erstmalig selbst als Interviewer ihre Fragen eingebracht haben. Die SINUS-Jugendstudie verleiht der jungen Generation somit eine Stimme, die es genau wahrzunehmen gilt. Denn der Blick auf die Jugend ist immer auch ein Blick auf die Zukunft eines Landes. (Calmbach u. a. 2016)
Beteiligung Jugendlicher heißt im Forschungskontext, dass mit Jugendlichen Fragestellungen erarbeitet werden müssen, dass Jugendliche selbst zu Forscher*innen werden müssen und dass in Jugendstudien die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit den Akteur*innen aus Wirtschaft, Politik und Kultur zusammengebracht werden müssen (zur partizipativen Forschung vgl. von Unger 2014, S. 35 ff.).
Seit vielen Jahren erstellen die Autor*innen dieses Beitrags im Auftrag von Kommunen und Landkreisen regionale Jugendberichte. Um eine angemessene Beteiligung zu gewährleisten, raten wir dazu, einen Forschungsbeirat mit Mitgliedern aus relevanten Bereichen der Zivilgesellschaft zu bilden. Im Rahmen der jeweiligen Projekte wurden dann Expert*inneninterviews mit den Mitgliedern des Beirats (z. B. Vertreter*innen der Industrie- und Handelskammern, Berufsschullehrer*innen, Vertreter*innen von ortsansässigen Unternehmen) und mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt. Ziel ist es, die Ergebnisse der Expert*inneninterviews einerseits zur Entwicklung eines quantitativen Erhebungsinstrumentes heranzuziehen und andererseits für die Gestaltung von generationsübergreifenden Zukunftswerkstätten oder Gruppendiskussionen zu nutzen, in denen sich Jugendliche und Erwachsene austauschen. Diese Diskussionen führen oft zu überraschenden Ergebnissen, die folgenreich sein können.
Die Ergebnisse einer regionalen Jugendstudie zur Neukonzeption Offener Jugendarbeit (Scherak/Lindau-Bank/Stein 2017) und eines Jugendberichts über regionale Strategien zum Bleibeverhalten Jugendlicher in einem Landkreis (Scherak/Lindau-Bank/Stein 2018) wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht. Im Folgenden soll anhand des Ergebnisses einer von uns häufig eingesetzten Erhebungsmethode und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen gezeigt werden, welchen Herausforderungen sich Jugendforschung stellen muss, wenn sie die Lebenswelt Jugendlicher in ländlichen Regionen verstehen will.
2 – Was Herr Nielsson mit Jugendforschung zu tun hat – Aus unserer Jugendberichtswerkstatt
Im Rahmen von Zukunftswerkstätten lassen wir Jugendliche Collagen erstellen, um ihre Zukunftsvorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse zu ermitteln. Die Aufgabe lautet: „Wie stellst du dir das perfekte, verrückteste und coolste Leben in deiner Region vor, wenn du 25 Jahre alt bist und alle Möglichkeiten und Freiheiten hast?“
Die erstellten Collagen werden dann von den beteiligten Forscher*innen interpretiert und mit den Jugendlichen besprochen (kommunikativ validiert). In unseren systematischen Bildinterpretationen folgen wir dem methodischen Ansatz von Mollenhauer (1997). Mollenhauer geht davon aus, dass in den Bildern, von denen wir umgeben sind, ein argumentatives Repertoire enthalten ist, das über das sprachlich Ausgedrückte hinausgeht.
Es gibt keine Kultur, in der die Menschen ihre Weltsicht nicht auch in Bildern zum Ausdruck brachten; in Bildern kann ein anderer Sinn verschlüsselt sein als in den oralen oder schriftlichen Beständen; in unserer Gegenwart scheinen die visuell-artifiziellen Ereignisse derart zuzunehmen, dass diese zu einem immer wichtigeren Bestandteil unserer kulturellen Erfahrung und Selbstauslegung werden. Es liegt deshalb nahe, solche Materialien auf das hin zu untersuchen, was sie zu unserem erziehungswissenschaftlichen Wissen beizutragen vermögen. (Mollenhauer 1997 S. 247)
Fast ein Vierteljahrhundert später, in einer Zeit, in der sich Jugendliche über Selfies, Profilbilder und eine über Mobiltelefone immer verfügbare Kamera medial vermittelt begegnen, kann man von der Bildkompetenz Jugendlicher ausgehen. Jugendliche können Bilder lesen und herstellen. Sie wissen, dass Bilder mehr als tausend Worte sagen. Und so entstehen auch Collagen nicht zufällig, sondern sind bewusst komponierte Arrangements von Bildern. Diese visuellen Erzeugnisse werden einem hermeneutischen Verfahren, also einem Prozess des Verstehens kultureller Produkte, unterzogen, was über eine alltägliche Bildbesprechung hinausgeht und die Collage in ihrer Bedeutung in einen historischen, räumlichen und kulturellen Zusammenhang einordnet.
Mollenhauer fokussiert auf eine phänomenologische Perspektive und meint damit, dass das Verstehen und Erfassen des Sinngehalts von Bildern im Vorgang des Lesens von Bildern und des Decodierens von Bildelementen möglich wird. Dazu muss auf der einen Seite die generationsabhängige Bild-Sprache verstanden werden, also die für die Zeit gültigen Symbole und Regeln, und andererseits die individuelle Bedeutsamkeit der Bilder für die Produzent*innen herausgearbeitet werden, also die möglichen Deutungen derjenigen, die die Collage erstellt haben.
Für unsere Forschungsprojekte und speziell für die Interpretation von Collagen haben wir uns an den Interpretationsverfahren von Pilarczyk/Mietzner (2015) und Panofski (1955) orientiert. Mit Hilfe der ikonologischen Methode nach Panofski sollen Bilder erkannt, verstanden und erfasst werden. Die Methode umfasst drei Stufen: die vorikonografische Beschreibung, die ikonografische Analyse und die ikonologische Interpretation.
Bei der vorikonografischen Beschreibung oder dem primären Sujet geht es darum, das Bild, welches betrachtet wird, lediglich zu beschreiben. Es soll zunächst der reine Bestand eines Bildes erfasst werden. Eine reine, nicht-interpretative Beschreibung ist nicht möglich, weil die Bildbetrachter*innen nur das beschreiben können, was sie kennen und damit auch sprachlich formulieren können. Trotzdem sollen sie sich einen möglichst „fremden, naiven Blick“ bewahren. Es geht darum, das Bild in allen Einzelheiten zur Kenntnis zu nehmen; das ist ein systematisch verlangsamtes Sehen mit Aufmerksamkeit für das Nebensächliche.
Die ikonografische Analyse rückt den Bildaufbau und das Motiv in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Vorder-, Mittel-, Hintergrund, die Perspektive des zu analysierenden Motivs sowie markante Linien und Formen werden beschrieben und interpretiert. Die genaue Bedeutung eines Motivs erschließt sich durch die verwendete Symbolik. Hier wird Wissen außerhalb des Bildes einbezogen und ein externer Bezugsrahmen gebildet.
In der ikonologischen Interpretation geht es um den wahrhaften Gehalt oder die eigentliche Bedeutung eines Bildes. Spuren absichtsvoller Gestaltung werden ebenso herausgearbeitet wie die Art und Weise des Präsentierens des Abgebildeten. Die Befunde aus den vorangegangenen Schritten werden aufeinander bezogen, in ein Verhältnis gesetzt, um so einen eigentlichen Bildsinn zu interpretieren, gleich ob er von den Produzent*innen der Bilder beabsichtigt war oder nicht.
Im Folgenden wird eine ausgewählte Collage interpretiert und damit ein Einblick in die Forschungswerkstatt gegeben. Diese Collage versinnbildlicht unsere Sicht auf Jugendliche in ländlichen Räumen, die wir als Generation „Boomer 4.0“ bezeichnen würden.
Bildbeschreibung
Entwickelt wurde die hier abgebildete Collage (Bild 1, S. 51) am 13.11.2019 von einer 15-jährigen Schülerin, die im Rahmen ihres Nachmittagsunterrichts an der Zukunftswerkstatt teilnahm. Die Collage ist mit insgesamt zwölf Elementen beklebt worden, die aus unterschiedlichen Zeitschriften stammen.
Eine große Fläche in der linken oberen Ecke wird von einem Zeitschriftenausschnitt eingenommen, auf dem eine Art Gebirgslandschaft zu sehen ist. Zu erkennen sind mehrere kahle Berge in hellen und dunklen Grautönen. Im Hintergrund des Bildes befindet sich ein großer Berg, der aus dunklem Felsen besteht. Der Gipfel des Berges ist durch eine weiße Wolke verdeckt. Hinter und über der Wolke steigt schwarzer Rauch auf. Dieses Bildelement ist das größte auf der Collage.
Unter diesem Bild befindet sich in der linken unteren Ecke eine kleine Abbildung von einer Halle oder einem Saal. In der Mitte dieses