Jupp Heynckes & die Bayern. Detlef Vetten

Jupp Heynckes & die Bayern - Detlef Vetten


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der Saison 1965/66 ununterbrochen in der Bundesliga.“

      Der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München, Karl-Heinz Rummenigge, erklärt Ende September 2017, man sei mit sich im Reinen und freue sich auf die großen Herausforderungen der nächsten Zeit. In zwei Tagen steht ein Match in der Champions League gegen den französischen Meister Paris Saint-Germain an. Die Mannschaft gilt in Europa als schwer besiegbar, nachdem sie für 222 Millionen Euro den Stürmer Neymar gekauft hat. Nun verheert der französische Angriffsfußball die besten Mannschaften Europas.

      Aber Karl-Heinz Rummenigge verbreitet Bayern-Stolz: „Ich freue mich auf Paris, das ist ein Prestigespiel. Auf der einen Seite der neureiche Verein, auf der anderen der altreiche. Wir haben mehr Erfahrung in der Champions League. Und die müssen wir ausspielen.“

      Der traut sich was, der Bayern-Boss!

      Es ist ja nicht so, dass die Münchner von Sieg zu Sieg sausen.

      Im Gegenteil.

      Es läuft mäßig. Manche Grantler meinen gar, die Zeiten seien beschissen.

      Gerade hat der FC Bayern die Generalprobe vor dem Paris-Spiel vermasselt

      Am Abend des 22. September 2017 tun sich die schnellen Berichterstatter von Spiegel Online mit dem Formulieren objektiver Häme leicht. Nach dem Bundesligaspiel des FC Bayern München gegen den VfL Wolfsburg rutscht der Spott geschmeidig ins World Wide Web: „Bayern verspielen Zwei-Tore-Führung gegen Wolfsburg. Eine 2:0-Pausenführung hat nicht gereicht: Der FC Bayern ist gegen den VfL Wolfsburg nicht über ein Unentschieden hinausgekommen. FCB-Keeper Sven Ulreich patzt.“

      Was war jetzt des?

      Zefix!

      Mi leckst am Arsch!

      Die Freunde des ehemals erfolgreichen FC Bayern München halten nicht mehr mit ihrem Zorn hinterm Berg. Der Verein schlittert von einer Peinlichkeit in die nächste. Startrainer Carlo Ancelotti trägt piekfeine Anzüge und ist scheinbar ungerührt – dabei fragen sich mittlerweile selbst Bayern-Sympathisanten, welche Seltsamkeit dem Wundercoach noch einfallen mag.

      Es gab Zeiten, da wäre in solchen Augenblicken Franz Beckenbauer, dem „Kaiser“, der Kragen geplatzt. Da hätte er gewettert:

      „Das Spiel hätte nicht im Stadion stattfinden sollen, sondern auf dem Sandplatz nebenan.“

      „Das sind alles gute Fußballer. Nur: Sie können nicht Fußball spielen.“

      „Ich bin immer noch am Überlegen, welche Sportart meine Mannschaft an diesem Abend ausgeübt hat. Fußball war’s mit Sicherheit nicht.“

      Der „Kaiser“ aber hat andere Sorgen und kommentiert das Geschehen nicht. Dafür kommen erschreckende Töne von den Spielern. Nach dem Wolfsburg-Match sind die Akteure – ganz anders als ihr Boss Rummenigge – überhaupt nicht zuversichtlich.

      Thomas Müller, der in den vergangenen Monaten alle Leichtigkeit früherer Zeiten verloren hat, versucht, den Torwart in Schutz zu nehmen: „Ulle weiß Bescheid, dass das auf ihn geht. Er hat sich entschuldigt. Das passiert. Von der Mannschaft wird kein Vorwurf kommen.“

      Mats Hummels, ein Freund klarer Gedanken und gerader Worte, sagt: „Wir haben sie leider ins Spiel zurückgelassen. Ulle ist selbst sauer auf sich, blödes Ding.“

      Es wird viel geredet in den Tagen vor dem Spiel gegen Paris Saint-Germain. Die Fans machen sich Sorgen, die Neider des FC Bayern haben eine gute Zeit. In den Redaktionen des Spiegel und des Stern, beim Kicker und der Sport Bild denken die Macher darüber nach, mit welchen Beiträgen sie die „Krise der Bayern“ begleiten werden. Die TV-Sender dauerparken mit Übertragungsteams an der Säbener Straße, wo die Profis ein- und ausgehen. Es könnte was explodieren bei den Bayern – man hat da so ein Bauchgefühl.

      Die Bayern pfeifen im Keller. Besser ausgedrückt: Sie versuchen, sich aus der „Krise“ zu quatschen.

      Startrainer Ancelotti probiert’s mit Allgemeinplätzen: „Wir müssen eine komplette Leistung abliefern, im Angriff und in der Verteidigung. Wir brauchen alle unsere Qualitäten.“

      Mats Hummels besinnt sich auf seine Führungsrolle und gibt nach dem Abschlusstraining die Parole „Vorwärts“ aus. „Das Spiel ist unheimlich attraktiv. Ich freue mich auf die Herausforderung.“

      Arjen Robben, geborener Niederländer und nimmersatter Routinier bei den Bayern, will, will, will: „Wenn man sich auf so ein Spiel nicht freut, muss man aufhören.“

      Was Robben nicht weiß: Der Trainer wird ihn gegen Paris nicht mal aufstellen.

      Parbleu! Das wird ein Höllenritt.

      Wie es begann

      Am 27. September 2017 lassen es sich die Menschen in Schwalmtal gut gehen. Die Sonne wärmt das niederrheinische Land, es werden sanfte 22 Grad gemessen, zum Wochenende soll’s noch sommerlicher werden.

      Viel zu tun im Garten. Die letzten Tomaten sind reif. Die Kartoffeln ausbuddeln, abbürsten, kühl, trocken und dunkel einlagern. Die Rosen blühen lange in diesem Jahr; Astern, Sonnenhut und Fetthennen legen sich ins Zeug.

      Cando, der Hofhund, genießt Tage wie diesen: Nicht zu heiß ist es – aber ein älterer Herr wie er mag es auch nicht kalt. Das Wetter ist perfekt, Cando aalt sich vor der Haustür.

      Ein vollkommener Tag in Schwalmtal. Wenn nicht Frau Heynckes den Ärger mit ihrem Knie hätte. Das muss operiert werden. Blöde Geschichte!

      Ansonsten: alles bestens.

      Jupp Heynckes – sorgfältig rasiert, im lässigen Outfit – sieht blendend aus, er fühlt sich großartig. Blutdruck 120 zu 90. Ruhepuls 60. Morgens treibt er Sport, im Bauernhof gibt es einen Fitnessraum mit einer Mehrzweckkraftanlage. „Daran kann ich 25 Übungen machen. Außerdem fahre ich Rad, mache Gymnastik und gehe schwimmen.“

      Der Hofherr kümmert sich ums Müsli-Frühstück, stromert später mit Cando über die Gemarkungen. Er telefoniert, erledigt den Briefkram, liest, werkelt im Garten, macht Besorgungen in Schwalmtal und Mönchengladbach, hat immer zu tun, ist selten gestresst.

      Ein sportlicher Mann, dem man seine 72 nicht ansieht. Er ist ja ein Mensch mit hellem Teint, aber der Sommer an der Sonne hat einen dezenten Bronzeton hinterlassen.

      Abends gibt es etwas Leichtes, dann noch ein bisschen Kultur, ein wenig Ablenkung durchs Fernsehen. Manchmal kommt die Tochter, oder man hat eine Einladung. An diesem 27. September 2017 ist es Fußball. Bayern spielt in der Champions League.

      Sehr entspannt schaltet Jupp Heynckes ein. Er freut sich auf den Abend. Ein Glas guten Rotweins wird er sich gönnen. Bier haben sie im Haus Heynckes nicht.

      Die Bayern spielen. Seine Bayern.

      Mit den Fußballprofis des FC Bayern München hat Jupp Heynckes den größten Erfolg seiner beruflichen Karriere gefeiert. Bevor er in Rente ging, gewann der Trainer Heynckes mit der Mannschaft das Triple. Das war 2013. Bundesliga, Pokal, Champions League: Erster.

      Danach war Heynckes endgültig einzigartig in Deutschland. Er ließ sich feiern und federte in den Ruhestand. Schluss mit der Anspannung. Kein Erfolgsdruck mehr. Zeit für die Frau, die Freunde, den Hund. Zeit für sich und zum Leben.

      Heynckes hat nach seinem Triumph eine Reihe von irren Angeboten bekommen – da hätte man ihn gern in Gold aufgewogen. Ein halbes Dutzend renommierter Verlage bot viel Geld für seine Biografie. Lächelnd sagte er jedes Mal Nein. Er wollte seine Ruhe.

      Nicht, dass sein Interesse für den Fußball aufgebraucht gewesen wäre. Er lehnte sich zurück, nippte am Wein, sah zu, genoss, dachte sich seinen Teil. Am Telefon quatschte er mit Insidern stundenlang über die Liga und die Lage. Wusste, welcher Spieler etwas taugte, welcher Profi umworben wurde, was Sache war. Ging, sozusagen, immer noch hinter den Kulissen ein und aus.

      Jupp Heynckes also macht es sich gemütlich und hat Vorfreude. Seine Bayern treffen in Frankreichs Hauptstadt auf die Mannschaft mit dem teuersten Spieler


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