Jupp Heynckes & die Bayern. Detlef Vetten
in Doha.
Der Flieger landet, die Menschen checken aus …
… und zwei Stunden später leisten die Spieler auf dem Gelände der Aspire Academy ihre erste Einheit ab.
Aspire Academy: ein Ort, an dem die Vermessenheit fröhliche Urstände feiert.
Aspire Academy: die Science Fiction des Sports.
Aspire Academy: Traumstatt für Helden in spe.
Die Kataris wollen zu den größten Sportnationen der Welt gehören. Sie haben viel zu wenig Menschen, in der Wüste ist Sporttreiben nicht möglich, es gibt keine Tradition – doch was soll’s?
Dann kauft man sich eben den Erfolg.
Man kauft mit dem Ölgeld Meisterschaften und Turniere und Spiele. Man kauft Trainer und Athleten. Man hat’s ja.
Und für eine Milliarde haben die Scheichs in Doha die Academy aus dem Sand gestampft. Kernstück ist der Aspire Dome – mit 250.000 Quadratmetern überdachter Fläche die größte Sporthalle der Welt. Im Bauch des Monumentalbaus gibt es ein Fußballfeld samt Tribüne für 8.000 Zuschauer, ein Leichtathletikzentrum mit Platz für 3.000 Besucher, ein olympisches Schwimmbecken, eine Halle für Ballsportarten, Anlagen für Turnen, Fechten, Tischtennis und Squash.
Unter freiem Himmel: sieben Fußballfelder mit Nagelscheren-gepflegtem Rasen, Tartanbahnen, Leichtathletik-Greens, Tenniscourts, für alle etwas. Bei 50 Grad und mehr im Sommer liefert ein eigenes Kraftwerk den Strom für die Klimaanlagen des Geländes, auf dem die Nachwuchssportler auch wohnen und zur Schule gehen können.
Aus ganz Afrika kommen die jungen Talente und sollen zu Olympiasiegern und Weltrekordlern geschult werden. Katarische Fußballvereine versuchen sich an der Aufgabe, das Niveau der Europäer oder Südamerikaner zu erreichen. Olympia-Größen aus aller Welt bereiten sich in der Academy auf die nächsten Spiele vor. Und da sind auch noch die europäischen Spitzenklubs, die vermehrt in der Academy ihr Fußball-Trainingslager aufschlagen. Die Schalker sind aus Doha mittlerweile im Winter genauso wenig wegzudenken wie die Bayern.
Normalerweise nehmen sich die Münchner ein bisserl Zeit – 2018 wird’s ein Crashkurs in Sachen Fitness und Stellschrauben-Drehen.
Heynckes – Trainingsanzug, kein Tropfen Schweiß auf der Stirn – versammelt die Spieler um sich. Drei Minuten dauert sein Vortrag, in dem er erklärt, was die Spieler in den nächsten Tagen erwartet und was er von den Männern erwartet. Alle hören zu, alle sind bei der Sache. Sie haben fünf Stunden Flug in den Knochen, mussten sich hopphopp umziehen, nicht einmal ausgepackt haben sie.
Egal. Jetzt wird gearbeitet.
Heynckes klatscht in die Hände. Es geht los. Die Ortszeit: 20 Uhr. Gleißendes Licht auf dem akkurat getrimmten Rasen. 19 Grad. Alles perfekt.
Locker laufen sie und tänzeln, sie hüpfen, sie dehnen ausgiebig. Die Trainer geben Bälle aus. Kommandos kommen nun von Peter Hermann, der hat ein platzgreifendes Organ.
„Klatschen lassen!“
„Pass! Pass! Pass!“
„Und Feuer!“
Heynckes steht, die Arme verschränkt, am Rand und saugt alles in sich auf. Er sieht es, wenn einem Profi der Ball zu weit vom Fuß springt, wenn der scharfe Kurzpass ungenau gerät, wenn ein Spieler nicht hochkonzentriert die Übungen abarbeitet.
Ab und zu sprechen die Trainer kurz etwas miteinander ab – und es kommt vor, dass Heynckes einen Spieler zu sich heranruft und ihm erklärt, warum er etwas falsch gemacht hat. Der Spieler nickt und mischt sich wieder ins Geschehen.
Nur Hermanns Rufen hallt über den Platz, zu hören ist das entschiedene Ploppen satt getroffener Bälle, das Schnaufen der hetzenden Profis beim Spiel auf engem Raum ohne Tor.
Es ist ein anstrengender Abend, für alle Beteiligten.
Die Spieler atmen denn auch auf, als Heynckes anordnet, man werde nun auf halbem Platz ein Trainingsspiel veranstalten. Leibchen werden ausgegeben, das Match nimmt seinen Lauf.
Laut ist es nun. Die Spieler wollen auf sich aufmerksam machen, jeder fordert den Ball. Wer hier nicht schreit, kommt nicht weit. Hier wird der Ernstfall geprobt, hier wird gebrüllt, als sei man inmitten von 66.000 Menschen.
Kingsley Coman, den sie zuhause in Frankreich „la dynamite“ getauft haben, ist einer der Lautesten an diesem Abend. Und er macht auch das erste Tor des Trainingslagers Doha 2018. Freut sich tierisch – wie im Ernstfall eben.
Nach 75 Minuten pfeift Jupp Heynckes ab. Die Spieler trotten verschwitzt zum Hotel zurück, bis zur Lobby sind’s nicht mal fünf Minuten Fußweg.
Es ist nicht unbedingt ein Bau nach dem Geschmack junger Menschen. Viktorianischer Stil, protzig, viel Kristallglas, viel Bling-Bling, dicke Teppiche allerorten. Im Grand Heritage mögen sich vielleicht neureiche Oligarchen oder die Scheichs aus der Region wohlfühlen – das Haus ist aber nicht der Stil der Bayern-Profis. Die mögen es moderner, lässiger, westlicher …
Obwohl: Es ist schon okay, das Grand Heritage mit seinen 136 superteuren Zimmern und Suiten. Du musst dich um nichts kümmern. Das Frühstücksbüfett ist großartig, die Pools und Terrassen vom Feinsten, das Personal allzeit bereit. Du latschst in den Pantinen durch die Lobby und bist der Hausherr, sozusagen. Heynckes hat alles unter Kontrolle, die Fuzzis von der Presse können einen nicht belagern, die Fans bleiben in angenehmer Distanz, du hast die Ruhe, die du brauchst.
Manchmal ist den Profis fad. Dann twittern sie ein wenig, das ist unverbindlich und vertreibt die Langeweile. Niklas Süle klatscht sich im Teppich-Brokat-Silber-Gold-King-Size-Bed-Room nach dem Training eine Feuchtigkeitsmaske aufs Gesicht – und Kumpel Ribéry filmt sich und diesen Clown von Süle. Das Video ist auf Twitter ein Renner und schafft es bis in die Bild.
Ansonsten trainieren sie. Schlafen, essen, werden massiert. Mehr geht nicht. Dieser Heynckes nimmt sie böse ran.
Acht Einheiten und ein Testspiel in fünf Tagen. Das ist übel Stress.
Die meiste Zeit üben die Bayern mit Ball. Sie schulen das Zweikampfverhalten, sie behaupten sich auf knappstem Raum, sie verfeinern die Kurzpässe, sie schlagen weite Flanken. Zack, zack, eine Übung nach der anderen. Nur kein Stillstand, nur kein Innehalten. Das Arbeiten unter Heynckes ist körperlich anstrengend – und es zuzelt die letzte Aufmerksamkeit aus den Spielern.
Nach eineinhalb Stunden am Ball schlurfen sie zurück ins Hotel und sind durch mit der Welt. Da interessiert nicht mal mehr die Gesichtsmaske des Kollegen. Da wirft man sich nur noch aufs King-size-Bett und erholt sich.
Einmal bleibt der Ball außen vor. Das ist an Tag zwei, Heynckes erwischt die Burschen kalt. Sie werden gepiesackt, bis ihnen das Frühstück im Hals steht.
Sit-ups mit Gewichten, Klimmzüge, Kniebeugen mit Gummiseil, Einbein-Sprünge über Minihürden. Das ist der Prolog, nun sind die Herrschaften warm. Jetzt folgt der Kraftzirkel.
Acht Stationen haben die Fitnesstrainer des FC Bayern vorbereitet, die jeder Spieler zweimal für 30 Sekunden durchlaufen muss. Funktionelle Ganzkörper-Kräftigungsübungen zur Stabilisation und Prävention nennt das der Fachmann. Klingt eher harmlos und gesund – ist aber ein Grenzgang für die Leistungssportler des FC Bayern München.
Jede Übung ist wie eine Runde Boxen. Du steigst in den Ring und gibst alles. Du weißt, dass die Schmerzen kommen werden. Du weißt, dass dein Körper revoltieren wird. Spürst die Blicke des Trainers, der keinem eine Schwäche durchgehen lässt. Wenn du jetzt nicht alles gibst, stellt er dich nicht auf. Wenn du nicht genug drauf hast, stellt er dich nicht auf. Wenn die Kollegen es besser machen, stellt er dich nicht auf. Also ignorierst du den Schmerz und schreist dich in bester Sportlermanier an: Quäl’ dich, du Sau!
Es gibt ein Foto des Abwehrspielers Javi Martínez, der sich gerade durch den Kraftzirkel schindet. Das Trikot ist verrutscht, die dunklen Haare hängen nass in die Stirn. Javis Mund ist geöffnet, der Mann bekommt nicht genug Luft. Die verschatteten Augen sind schmerzerfüllt.
Der Spieler