Jupp Heynckes & die Bayern. Detlef Vetten
gegen Celtic Glasgow mit 3:0. Es ist eine klare Angelegenheit. Zielstrebig erarbeiten die Münchner sich den Sieg. 26:9 Torschüsse. 61 Prozent Ballbesitz. 12:3 Ecken. Die Torschützen: Endlich wieder mal Thomas Müller. Joshua Kimmich. Mats Hummels.
Im Studio des Sportsenders Sky sitzt Experte Lothar Matthäus und ist erfreut. Das sehe doch wieder nach den alten Bayern aus, sagt er und nimmt sich noch ein alkoholfreies Bier.
Er habe es gar nicht mehr mit anschauen können, wie die Münchner sich in den letzten Monaten selbst verloren haben. „Das hat hinten und vorn nicht gepasst. Und Carlo Ancelotti hatte wohl schon aufgegeben. Der Jupp ist jetzt Gold wert.“
Lothar Matthäus kennt Jupp Heynckes seit 38 Jahren. 1979 fiel der Jungspund aus Herzogenaurach dem jungen Trainer auf. Heynckes holte Matthäus nach Mönchengladbach und formte ihn: „Dass ich später Weltklasse wurde, habe ich dem Jupp sehr zu verdanken. Er war in dieser Zeit wie ein zweiter Vater für mich.“
Jetzt beobachtet Matthäus – ehemals Weltklasse, dann Trainer, heute Experte, immer noch ausgesprochen redefreudig, immer noch nicht sehr misstrauisch – den hochverehrten Jupp Heynckes bei seinem Comeback in einem europäischen Wettbewerb.
„Es ist, als ob er nicht weg gewesen ist“, sagt Matthäus. „Der Mann ist in Topform, da können sich manche Junge eine Scheibe abschneiden. Beim Jupp habe ich manchmal das Gefühl, der Mensch wird nicht alt.“
Wie das?
„Ich weiß, wie der die Mannschaft führt. Wie er gleichzeitig eine Vaterfigur und ein strenger Aufpasser ist. Sein Ehrgeiz ist immer noch so groß wie früher. Ich sag’ euch, das ist ein Ehrgeiz, den du erst einmal aushalten musst.“
Wie das?
„Ich erzähl’ euch eine Geschichte. Ich war noch nicht lang bei Gladbach – vielleicht in der zweiten oder dritten Saison. Wir sind mit dem Bus nach Hamburg, hatten ein Auswärtsspiel beim HSV. Es war grausam, ich weiß das Ergebnis nicht mehr – aber wir haben furchtbar verloren.
Sind danach in die Kabine, keiner hat ein Wort gesagt. Der Heynckes hat nur da gestanden und die Arme verschränkt. Wir haben geduscht, die Sachen gepackt und sind zum Bus gedackelt. Ein paar Fans standen rum und haben uns beschimpft.
Wir waren froh, als der Bus losgefahren ist. Einer wollte Musik machen. ‚Nix da!‘, hat der Heynckes gesagt. Ein paar wollten Karten spielen. ‚Nix da!‘, hat der Heynckes gesagt.
Sonst hat er nichts mehr geredet. Auf der ganzen Fahrt nicht. Wir haben es auch nicht gewagt zu sprechen. Es war das totale Schweigen, bis Mönchengladbach.
Man ist ausgestiegen und zu seinem Auto. Kein ‚Auf Wiedersehen‘, nur: ‚Morgen um neun Sondertraining!‘
Da warst du als junger Spieler echt bedient. Wenn der Heynckes beleidigt war, war er schlimmer als jede Frau.“
Gleich muss Matthäus raus ins Live-Studio, die zweite Halbzeit des Bayern-Spiels ist fast zu Ende. Er wird sagen können, dass Heynckes’ Truppe einen ziemlich soliden Auftritt gehabt habe. So dürfe es weitergehen.
„Der macht das schon“, sagt Matthäus.
Was macht er schon?
„Das, was er vorhat. Wirst sehen.“
Arbeitssieg
Die Profis des FC Bayern München steigen am Abend des 12. Januar 2018 aus dem Bus, sie tragen die weißen Trainingsjacken, die Hälfte der Spieler steckt unter dicken Kopfhörern. Jupp Heynckes sieht grimmig drein und erkennt nicht, was links und rechts vorgeht. Die jungen Männer sind echt böse Jungs, man möchte ihnen nicht in dunkler Nacht oder in einer einsamen Parkgarage begegnen, sogar Franck Ribéry ist auf Krawall gebürstet.
So betreten sie die Bay Arena. Noch eineinhalb Stunden bis zum ersten Match der Bundesliga-Rückrunde. Eine konzentrierte Zeit haben die Bayern hinter sich. Lang vorbei die friedlichen Abende, an denen sie aus allen Ecken der Welt ihre Neujahrswünsche getwittert haben.
Rafinha grüßte mit ausgestrecktem, reichlich tätowiertem rechtem Arm. Das Foto mit pinkfarbenem verschwommenem Hintergrund war wohl nach einem gewonnenen Spiel entstanden: Das Haar des Spielers ist blondiert, er wirkt zufrieden und müde. In Schnörkelschrift steht da: HAPPY NEW YEAR 2018 – RAFINHA. Das Bayern-Logo oben rechts macht sich prächtig.
David Alaba hatte sein Posting animiert. Zu sehen ist, wie er von der Grundlinie aus nach rechts in den Strafraum flankt. Der Körper ist aufs Äußerste gespannt, bis in die nach oben ragenden Haarspitzen. Der Spieler Alaba scheint unter Strom gesetzt. Flankt also – der Ball löst sich von seinem Schuh, fliegt auf den Betrachter zu, platzt aus dem Laptop. Auf dem Bildschirm erscheint in Comic-Lettern das Wort ALABOOM.
Manuel Neuer war in Feierlaune. Er grüßte mit einem Bankettfoto. Neuer, der Welt bester Torhüter, im weiß-roten Karohemd, lachend, schäkernd. Von einer Verletzung und von Sorgen natürlich nichts zu sehen. Im Hintergrund verwischt Männer in Anzügen und das Geblinke von Bier- und Weingläsern.
Javi Martínez sah klasse aus. Er stellte sich zum Foto vor eine Winterlandschaft: Die Linke stützt er auf ein verschneites Geländer, Daumen und zwei Finger der Rechten umgreifen elegant das zu einem Viertel gefüllte Rotweinglas. Martinez ist lässig gekleidet, den Bart hat er gestutzt, das Lächeln ist das eines Mannes von Welt.
Kollege Lewandowski grüßte mit Frau Anna aus einem Hotel, vor dem Palmen wachsen: Das Paar steht vor dem leeren Pool – er im Smoking, sie im durch Spitze raffiniert aufgearbeiteten kleinen Schwarzen. Lewandowski gibt sich cool, rechte Hand in der Tasche, die Linke umfasst die Taille seiner Hübschen, die den Kopf kokett zur Seite neigt.
Thomas Müller hatte sich im Studio ablichten lassen: Softbox von links, harte Lichtkante von rechts – das macht einen interessanten düsteren Ganovenschatten im Gesicht. Müller trägt Kapuzenpullover und Funktionsjacke drüber. Der Spieler lacht sein Lausbubenlachen, das auch ein wenig wirkt wie die Mimik eines cleveren Überlebenskünstlers von der Straße. Er hebt die Handflächen in die Kamera, in die linke ist ein Herz geklebt: „Happy New Year to all my fans around the world.“
Und auch Ribéry hatte sich nicht lumpen lassen: Da stehen sie auf der Villenschwelle, seine Frau, die beiden Töchter, die zwei Söhne. Die Damen sind allerliebst und verzaubern in Abendgarderobe und mit einem Lächeln zum Dahinschmelzen. Die Söhne gucken lässig, machen Victory-Faxen mit den Fingern und fühlen sich ganz wohl in ihren Brokat-Jacketts. Franck, le patron, hat zu lange Hosen und ein gewagtes Nadelstreifensakko (voilà, ein Gangster aus den 1940ern) an. Er versteckt sich ein bisschen rechts hinten. Und schaut in die Kamera, wie das ein Patron nun mal so tut: streng, kaum lächelnd, alles unter Kontrolle. Aber vor allem: stolz, wie le chef nur sein kann auf sein Unternehmen Ribéry.
Sie hatten nicht viel weihnachtlichen Ausgang. Kaum war Silvester verraucht, mussten die Bayern ins Trainingslager nach Doha. Dahin flog der Verein nun zum achten Mal – alles war wie immer um die Jahreswende. Heißes Wetter, Wüste, Eins-a-Location auf dem Gelände der Aspire Academy.
Und doch ist es anders gewesen in diesen frühen Tagen des Jahres 2018. Dafür hat schon Herr Heynckes gesorgt.
2. Januar. Am Vormittag um zehn hebt die mit überlebensgroßen Lewandowski-, Neuer- und Alaba-Airbrush-Helden veredelte Lufthansa-Maschine in München ab. An Bord: 25 Spieler, darunter Neuzugang Sandro Wagner und die Nachwuchsakteure Ron-Thorben Hoffmann, Lukas Mai, auch die Amateure Niklas Dorsch, Marco Friedl und Felix Götze dürfen mit. Franck Ribéry, Jérôme Boateng, Arjen Robben, Arturo Vidal, Rafinha und James Rodríguez reisen eigenständig aus ihrem Urlaub nach Doha; Manuel Neuer, Thiago und Christian Früchtl bleiben zuhause, um ihr Rehaprogramm in München fortzusetzen. Auch Robert Lewandowski bleibt wegen Muskelbeschwerden daheim.
Auch im Flieger: der Trainerstab, die Betreuer. Fans. Journalisten. Ein aufgekratzter Haufen auf dem Weg zur Sonne.
Jupp Heynckes besucht die Medien-Menschen und erklärt: „Die Erholungsphase war sehr kurz, jetzt ist sie zu Ende. Das werden harte fünf Tage. Wir haben ein dichtes Programm. Nun müssen wir an den Stellschrauben