Jupp Heynckes & die Bayern. Detlef Vetten
Mittelstürmer ist Rummenigge ein Feuerkopf gewesen, bereit zu jedem Wagnis – Hauptsache, er machte ein Tor. Als Entscheider des FC Bayern mahnt er Demut an: „Es wird in den nächsten Jahren nicht einfach werden, unseren Platz zu behaupten. Das wissen wir. Wir müssen also versuchen, im Transfermarkt vorausschauend zu agieren. Wir haben hier auch eine andere Philosophie, wir setzen auch auf Dinge wie Teamgeist und auf Geduld, um die Mannschaft zu entwickeln.“
In der Branche zieht man den Hut.
Die Bayern wissen, wie man Geschäfte macht. Marco Mesirca von der MFS (Münchner Fußball Schule) kennt sich aus im Business, er schreibt: „Der wirtschaftliche Erfolg ist absolut abhängig von den Leistungen der Lizenzspieler. Daher ist der Spielerkader des FC Bayern auf die Teilnahme an internationalen Wettbewerben, explizit an der UEFA Champions League, ausgerichtet. Eine Nicht-Qualifikation an diesem europäischen Wettbewerb hat unmittelbaren Einfluss auf das Betriebsergebnis, da insbesondere Anpassungen an den Ausgaben nur bedingt möglich sind.“
Alles hatte so rosig ausgesehen, zu Beginn der Saison 2017/18. Und nun hat Carlo Ancelotti das Team in die Gefahrenzone gesteuert.
Den Bossen sträuben sich die Haare. Und weil Hoeneß nicht mehr so viele Haare zum Sträuben hat, jagt sein Blutdruck in den Himmel.
Sie haben einen Interimstrainer. Willy Sagnol, der Co von Ancelotti, springt nach der Entlassung des Italieners als Übungsleiter ein. Er hat schon früh den Chefcoach kritisiert: „Pep Guardiola setzte drei Jahre die jungen Spieler immer wieder ein, Ancelotti verlässt sich nur auf die erfahrenen Profis. Da fehlt die Kontinuität. Die Münchner Mannschaft ist zu alt. Du kannst die Champions League nicht gewinnen, wenn du vier Spieler hast, die 33 Jahre und älter sind.“
Aber Sagnol ist nicht wirklich der Mann, den Hoeneß und Rummenigge wollen. Sie reden über Julian Nagelsmann (der Senkrechtstarter unter den jungen Wilden ist in Hoffenheim unter Vertrag), über Thomas Tuchel (toller Mann, momentan arbeitslos, aber in der Branche als – pardon! – Stinkstiefel verrufen), sie reden über Joachim Löw (aber der will definitiv 2018 mit der Nationalmannschaft Weltmeister werden) und Jürgen Klopp (ist sehr happy in Liverpool und will vorerst nicht zurück in die Bundesliga, vielleicht wird er ja Löws Nachfolger) …
Sie zerbrechen sich die Köpfe. Sagnol verliert mit Bayern sein erstes Spiel als Chefcoach …
… und plötzlich ist er omnipräsent: der Name Jupp Heynckes.
Der Mann in Schwalmtal winkt ab. Er hat es doch gut, er tut sich den Stress nicht noch mal an.
Nein! Nein! Nein!
Aus München funken sie SOS.
Nein! Nein!
In München erklärt Uli Hoeneß, er brauche jetzt seinen Freund Jupp.
Nein!
Hallo, alter Spezl, hilf!
Jupp Heynckes trifft die Münchner. Zu dritt besuchen sie ihn. Man verhandelt. Man weiß: Er wird es machen. Er hat die Geschichte mit sich selbst schon ausgekartelt. Er ist sich bewusst, worauf er sich einlässt, er hat alles analysiert. Und er kennt seine Ziele.
Darüber wird er erst mal nicht öffentlich reden. Er gibt als Sprachregelung vor, dass er sich vorstellen könne, „aus Freundschaft“ den Bayern zu helfen. Man müsse noch ein paar Formalien klären, er habe Personalforderungen, er brauche zuverlässige Wegbegleiter an seiner Seite.
In München schlucken sie ein wenig: Die Neuen, die Heynckes will, müssen aus Verträgen abgelöst werden, sie kosten Geld.
Aber es muss nun mal sein. Sonst kommt der Jupp nicht.
Am Freitag, dem 6. Oktober 2017, vermeldet n-tv: „Der FC Bayern holt Jupp Heynckes aus der Fußball-Rente zurück in die Bundesliga. Der 72-Jährige wird den Rekordmeister als Nachfolger des in der vergangenen Woche beurlaubten Cheftrainers Carlo Ancelotti bis zum Saisonende übernehmen. Das bestätigt der Klub nun auch offiziell. ,Ich wäre zu keinem anderen Verein der Welt zurückgekehrt, aber der FC Bayern München ist eine Herzensangelegenheit für mich. Ich habe ein sehr gutes Gefühl‘, sagte Heynckes in der Pressemitteilung der Münchener.
Für Heynckes ist es das insgesamt vierte Engagement bei den Bayern nach 1987 bis 1991, 2009 und 2011 bis 2013. Mit der Entscheidung für den Routinier bis zum Saisonende gewinnen die Bayern-Verantwortlichen um Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Präsident Uli Hoeneß vor allem Zeit, eine langfristige Lösung zu finden.
Assistenten von Heynckes werden Peter Hermann und Hermann Gerland. Hermann war bis zuletzt Co-Trainer bei Zweitliga-Tabellenführer Fortuna Düsseldorf. Medienberichten zufolge haben ihn die Bayern für 1,75 Millionen Euro aus seinem Vertrag gekauft. Im Erfolgsfall soll sich die Ablöse auf 2 Millionen Euro erhöhen. Gerland lässt für die Aufgabe seine Tätigkeit als sportlicher Leiter im Nachwuchsbereich des FC Bayern bis zum 30. Juni 2018 ruhen.“
So sei es.
Kleiner Nachtrag zur Personalie Hermann. Das regelt Heynckes wie ein Gentleman. Der Düsseldorfer Trainer Friedhelm Funkel erinnert sich: „Als ich hörte, dass Jupp Heynckes bei den Bayern im Gespräch ist, wusste ich: Das macht der nie ohne den Peter Hermann. Jupp rief mich extra an, um mir zu erklären, warum er den Job in München ohne Peter nicht machen kann. ‚Jupp‘, habe ich gesagt, ,das brauchst du mir doch nicht zu erklären.‘ Da meinte er, ich sei jünger und könne mich schneller auf einen Neuen einstellen. ‚Jupp‘, habe ich gesagt, ‚ich bin 63.‘ Da hat er gemeint: ‚Na und?‘“
Sie sind vom gleichen Schlag, der Friedhelm Funkel und der Jupp Heynckes. Für sie liegt die Wahrheit wirklich aufm Platz. Sie wollen aus jedem Spieler das Beste herausholen. Über Bande spielen – nicht ihr Ding. Intrigen? Krumme Dinger? Linke Touren? Nicht ihr Ding.
Sie sagen, was sie denken. Und wenn sie nichts sagen wollen, bekommen sie ein verschlossenes Gesicht und halten den Mund.
Es muss sauber zugehen bei ihnen.
„Wenn ich an meinem letzten Arbeitstag mein Auto bei den Klubs abgab, war es gewaschen, von mir persönlich ausgesaugt und aufgetankt. Da bin ich wie der Jupp. Es gibt viele Spieler und auch Trainer, die machen das ganz anders, die hinterlassen bei vielen Arbeitgebern keinen guten Eindruck. Das bezieht sich nicht nur auf den Dienstwagen. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum Jupp und ich noch da sind. Und ein anderer Grund ist unsere Liebe zum Sport. Sie können mir glauben: Ich freue mich auf jeden Spieltag. War immer so.“
Jupp Heynckes’ Geschichte beginnt also 1945, ganz unten. Und führt in die Jetztzeit, ganz oben.
2017 wird der ehemalige Fußballtrainer Jupp Heyn ckes – nach einem letzten großen Triumph zurück getreten – reaktiviert.
Er soll den in Not geratenen FC Bayern München retten.
Der Klub kann sich jeden großen Trainer auf dem Globus leisten.
Die Bosse wollen Heynckes.
Denn es ist nun mal so: Wenn jetzt einer helfen kann, dann ist es der Jupp Heynckes vom Niederrhein.
Es gibt sonst keinen.
Jupp Heynckes ist der Einzige für diese Mission.
Schon irre!
Er führt eine Truppe aus Männern, die in „dünner Luft“ überleben müssen.
Fußball ist immer Heynckes’ Leidenschaft gewesen. „Es ist eine Freude, da rauszugehen und zu kämpfen“, sagt er. „Aber es ist kein Genuss zu tun, was ich zu tun habe. Ich stehe morgens auf und arbeite Fußball – den ganzen Tag. Nachlassen ist nicht erlaubt. Das Training muss vorbereitet werden, ich muss den nächsten Gegner studieren, ich muss mir eine Strategie fürs nächste Match ausdenken. Jedes Spiel ist ein Endspiel. Ich rede mit den Männern, ich hole das Maximum aus ihnen heraus. Das ist anstrengend.“
Abends kommt er ins Hotel und ist platt.
Am nächsten Tag geht es weiter.
Muss ja.
Wenn Heynckes nicht funktioniert, funktionieren auch