Sieger. Detlef Vetten
Schönfelder mühte sich um einen sportlichen Stil. Er überquerte die Ziellinie. Nach 4:57 Stunden.
Von der Sparkasse – so war das vereinbart worden – bekam er einen Scheck für eine Spende. Man brachte ihm ein Bier. Zisch und weg.
Gerd Schönfelder wischte den Schaum von den Lippen. Blickte in die Sonne, lachte wie der Hans im Glück und meinte: »So ist das also. Schon hart so ein Marathon – dann haben wir das auch.«
15 Jahre kennen wir uns jetzt. Einmal habe ich dem Chef des Stern von Gerd erzählt. Über den würde ich gerne ein großes Stück schreiben.
Der Blattmacher dachte nach. »Das ist eine tolle Geschichte, echt toll. Aber irgendwie passt sie gerade nicht.«
Wie das?
»Wissen Sie, wir haben im Augenblick so viele traurige Storys. Und der Mann ist schließlich behindert.«
Auch Stern-Bosse dürfen mal Unsinn reden.
Denn eines war immer klar: Die Geschichte des Gerd Schönfelder gehört aufgeschrieben.
Detlef Vetten, im Sommer 2016
FINALE
Sauber!
Jetzt hat er ja eine goldene. Gerd Schönfelder zieht sich das Band über den Kopf und sieht die Medaille an. Schön rund – das ist ja nicht mehr selbstverständlich in den modernen Zeiten. Es hat auch schon Medaillen in Schneeflockenform gegeben, eckig und spitz. Aber diese ist matt golden, mit einem futuristischen Muster in noch matterem Ton, sie hat die Form eines Autorückspiegels und wirkt beruhigend einfach. Die Oberfläche ist gewellt. Sechs Gramm Goldlegierung, der Kern ist recyceltes Metall aus Fernsehgeräten und Computern. Die Künstlerin kommt aus der Region und hat einen guten Job gemacht.
Das also ist Gold Nummer 13.
Schöne Medaille, wirklich.
Man hat sie dem Gerd auf dem Dorfplatz von Whistler in Kanada um den Hals gehängt. Dann haben sie die Deutschlandhymne gespielt. Gerd Schönfelder war ein bisschen ergriffen, aber wirklich nur ein bisschen. Er hat breit gegrinst und an seine Frau gedacht. Die ging daheim im oberpfälzischen Kulmain mit dem Kind im Bauch in die letzten Tage der Schwangerschaft. Sie war eine wunderbare Frau – ließ ihn hier das 13. olympische Gold seiner Karriere gewinnen, sagte hernach am Telefon, jetzt solle er sich auf die Abfahrt konzentrieren – die sei der Punkt auf dem i.
Dieses Gold hat er schließlich »nur« im Riesentorlauf gewonnen. Damit hat man rechnen können. Da konnte ihm keiner das Wasser reichen. Dem Riesenslalomfahrer Schönfelder konnte eigentlich nur der Gerd Schönfelder im Weg stehen.
Es war nicht ganz einfach gewesen. Vor ihm hatten sich bereits mehr als 80 Konkurrenten durch die Tore gekämpft. Zwischendurch immer wieder Regenschauer. An eine Ideallinie war da nicht mehr zu denken gewesen. Schönfelder, ein Baum von Mann, brauchte auf der ruppigen Piste viel Kraft. Aber er hatte die Strecke gut besichtigt und sich einen Plan B zurechtgelegt. In den schwierigen Passagen ist er beherrscht gefahren, die schnellen Kombinationen hat er ausgekostet. Es waren zwei kraftvolle Durchgänge. Keine Fahrten, die er genoss. Nervenaufreibende Auftritte im Grenzbereich. Ein Augenblick der Fahrlässigkeit – und die Sache wäre verloren gewesen.
Schönfelder hat sich konzentriert bis zum letzten Tor, bis zum Abschwingen im Zielraum. Bestzeit in beiden Läufen. Kleine Zeremonie im Stadion. Ein paar Sätze für die begeisterten Fernsehmenschen. Mühseliger Auftritt bei der Dopingprobe.
Der Bus bringt den Olympiasieger zum Athletendorf. Dort muss er sich ausweisen und filzen lassen – nein, die Security-Leute machen bei einem Goldgewinner keine Ausnahme. Schönfelder stiefelt zum Appartement. Duscht schnell. Legt die Ausgehuniform der deutschen Nationalmannschaft an (hellblaue Bogner-Weste, weiße Thermohose, Schuhe, Mütze).
Dann latscht er wieder zum Shuttle, das ihn zur offiziellen abendlichen Zeremonie bringen soll, bei der alle Tagessieger geehrt werden.
Nein, tut er nicht. Er ist ja nicht blöde: Sieger gehen am Abend meist leer aus. Sie werden gefeiert und hofiert – und wenn sie durch sind mit den Siegerritualen, gibt’s nichts mehr zum Essen.
Das kennt er schon.
Also marschiert er zu McDonald’s und holt sich ein Menü mit vielen Pommes und einer großen Cola. Dann erst ab zum Bus und während der Fahrt die Kalorien reingepresst.
Nun kann er das Feiern genießen.
Der Sprung auf die Mitte des Podests. Die Gratulationen des Zweiten und Dritten. Eine halbe Drehung, dann kann Schönfelder die Fahnen sehen. Nationalhymne. Die letzten Akkorde verklingen in der jungen Nacht, die Fotografen beginnen zu rufen: »Gerd, schau hierher! Gerd, lächeln! Zeig uns die Medaille!«
Er legt die Zähne frei und bietet ihnen sein bestes breites Lächeln. Er beißt in die Goldmedaille. Er hat das markante Gesicht eines Kerls, dem das Siegen leichtfällt und der sich und sein Glück genießt.
Danach führen sie ihn ins Deutsche Haus. Fernsehen. Radio. Die Menschen von den Zeitungen.
Andere Athleten tauchen aus der Menge auf, umarmen ihn oder klopfen ihm auf die Schulter. Menschen, die er nicht kennt, lassen sich mit ihm fotografieren und halten ihm Papier und Stift hin. Er schreibt Autogramme, hat für die Kameras ein big smile.
Gerd Schönfelder, Seriensieger und Mann der Rekorde, tut seinen Job. Irgendwann organisiert ihm jemand ein Bier, das darf schon sein. Sicher, jetzt hätte er Lust auf eine zünftige Feier. »Geht nicht«, sagt er zu seinen Begleitern. »Wird Zeit, dass wir heimkommen.«
Sie eskortieren ihn zum Ausgang. Er passiert das Buffet – das haben die Gäste des Deutschen Hauses längst abgeräumt – und denkt befriedigt, wie gut es ist, dass er wenigstens den Hamburger im Magen hat.
Nein, Feiern ist nicht gerade förderlich für einen, der am nächsten Tag wieder bereit sein muss zum Siegen.
Sie fahren durchs finstere Whistler zum olympischen Dorf. Kontrolle am Einlass. Ein Blick in den Nachthimmel – Schönfelder kann die Sterne sehen. Das ist gut so – wahrscheinlich ist am Morgen schönes Wetter, und man könnte die verschobene Abfahrt endlich durchziehen.
Er ist scharf auf dieses Rennen.
Sicher, hundemüde ist er auch. Aber wenn er an die nun anstehende Abfahrt bei den Olympischen Spielen von Vancouver 2010 denkt, wird er ganz kribbelig. Das war das Rennen, für das er sich in den vergangenen vier Jahren vor allem geplagt hat.
»Nacht!«, ruft Schönfelder ins Appartement. Aus dem Nachbarzimmer brummt Hasch, sein Servicemann: »Schlaf guat!« Der Hasch muss morgen früh raus: Sechs Paar Skier rennfertig machen, Wachs abziehen, ausbürsten, die Kanten noch einmal polieren, das Material herrichten. Ein guter Servicemann steckt den Athleten in die Schuhe und schnallt ihm die Skier unter, die er perfekt für den Tag präpariert hat. Hasch ist wahrscheinlich genauso drauf wie Schönfelder selbst. Gold gewonnen, davor Silber im Slalom – eigentlich alles gut. Aber jetzt war Abfahrt, jetzt zählen die Siege von gestern nicht mehr viel.
Gerd Schönfelder hängt die hellblaue Daunenweste und den gelben Anorak in den Schrank. Er sieht sich im Zimmer um. Alles wie gehabt. Langsam wachsen die Sachen auf dem Sofa fest. Er ist nun mal nicht der Typ, der jeden Abend alles feinsäuberlich zusammenfaltet und in die Regale legt. Zwischen den Rennen hat er nicht den Nerv dafür. Dann wirft er alles aufs Sofa, wo der Berg Formen annimmt. Stört niemanden. Das ist man so gewöhnt unter den Skifahrern. Unlängst hat der Garmischer Kollege Felix Neureuther ein Foto seiner Hotelbude ins Netz gestellt – da sah es aus wie in einem Messie-Haushalt. Und der Felix ist wirklich alles andere als ein Messie, der hat sein Leben klasse im Griff.
Aber, mal ehrlich: Wie soll man Ordnung halten, wenn man mit einem halben Sportgeschäft im Gepäck reist? Schönfelder ist von München mit drei Taschen und einem großen Rucksack zum Weltcupfinale nach Aspen und danach weiter zu den Paralympics in Vancouver geflogen.
Ein Journalist hat ihn vor Kurzem gefragt, wie aufwendig denn sein Sport sei. Wie viele Paar Skier er zu den Wettkämpfen