Zwillinge. Lotte Dalgaard
und Sex hatte. Eine unschöne Mischung aus schön und Mist.
Jetzt wollte sie einfach ihren Kaffee und die Gespräche genießen und gleich würde sie sich bei Infomedia einloggen und nach Verbrechen aus der Region vom 2. März letzten Jahres suchen. Vielleicht gab es etwas, bei dem sie einen Bogen zur morgigen Ausgabe der Zeitung schlagen konnte.
Kapitel 3
Es war 16.00 Uhr und Line verabschiedete sich von einer der zwei Rezeptionistinnen, die sich den Job in der Vorhalle der Redaktion teilten. Die kühle Luft fühlte sich gut an, wie üblich merkte sie, wenn sie rauskam, wie schlecht die Luft in der Redaktion war.
Line ging quer über den Parkplatz zu ihrem ramponierten blauen Opel Corsa, den sie so liebte, setzte sich rein, drehte den Schlüssel um und sang Amy Winehouses Rehab mit, das ihr laut aus den Lautsprechern entgegen hämmerte. Amy war genauso stur wie Jonas, dachte Line. Wollte Jonas auch jung sterben? Oder würde ihr Verhältnis noch vorher sterben? Eigentlich war schon eine ganze Menge wie abgestorben. Lines Vertrauen in ihn, ihr Respekt ihm gegenüber in vielen Belangen, die Hoffnung auf eine glücklichere, gemeinsame Zukunft. Eine Schande, dass ihr Sexleben so unglaublich lebendig war.
Lines Gedanken wanderten zu den Ausschweifungen der letzten Nacht und zwischen ihren Beinen begann es zu vibrieren. Auf dem Heimweg musste sie einkaufen, Rippchen mit Kartoffelbrei und brauner Sauce sollte es geben, wenn sie Rippchen bekam. Sonst Wiener Schnitzel mit Pommes und Bernaise aus der Tüte. Letzteres war natürlich viel leichter und vielleicht sollte sie einfach mal an sich denken und die Rippchen erst am Wochenende machen. Wein würde es diesen Abend auf jeden Fall geben, das war unvermeidlich, denn Jonas hatte bereits gestern nichts getrunken und dann brauchte er heute etwas. Das war sein Muster. Niemals Alkohol auf Arbeit, fast immer zwei Bier auf dem Heimweg im Auto, zwischendurch einzelne Abende ohne Alkohol und sonst zwischen acht und zehn Gläschen werktags und gerne das Doppelte am Wochenende. Meistens Bier oder Wein. Doch, mittlerweile kannte sie seine Gewohnheiten. Seine Trinkerei war genauso vorhersehbar, wie seine Laune und sein Benehmen es gerade nicht waren.
Wenn er doch nur nicht so heiß, so schön, so verdammt sexy wäre, so gut darin, ihr das Gefühl zu geben begehrt zu sein. Sie wusste eigentlich ziemlich gut, dass sie etwas Anderes verdiente. Mehr als Jonas mit dem kleinen strammen Hintern, dem großen, harten Schwanz und dem sinnlichen Mund, aus dem all diese verruchten Worte kamen. Aber sie konnte sich nicht losreißen. Noch nicht.
Sie parkte vor dem SuperBrugsen und nahm einen Korb am Eingang. Keine Rippchen, keine Kalbsschnitzel, also entschied sie sich für Frikadellen, Tiefkühlpommes, eine Tüte Tiefkühlbohnen, ein Paket Thiese-Butter und ein Liter Milch von derselben Molkerei. Eine Packung Knorr-Bernaisepulver hatte sie noch daheim im Schrank. Sollte sie sich noch eine Tafel von dieser ökologischen Schokolade mit 80% Kakao und Orangengeschmack gönnen? Das wäre doch gesund. Sie hatte mal irgendwo gelesen, dass Frauen Schokolade geradezu brauchten, dass sie dem Hormonhaushalt half und Depressionen entgegenwirkte. Die Tafel landete im Korb und Line ging zur Kasse.
Auf dem Heimweg fuhr sie einen kleinen Umweg und bog auf die Statoil-Tankstelle ein. Die Q8 lag zwar besser, aber sie wollte ihr Geld lieber den Norwegern in den Rachen schmeißen, als den Arabern aus Kuwait.
Sie wusste, dass ihre Freundinnen meinten, sie war ein wenig schrullig mit ihren ganzen Ökoeinkäufen und ihrer Haltung zu Benzinkäufen, ihrer Bevorzugung dänischer Waren vor ausländischen, ihrem Widerwillen bei Aldi oder Netto einzukaufen und ihrer Ablehnung gegenüber Cremes voll Parabene. Aber so war das nun mal. Ihr gefiel es, Stellung damit zu beziehen, wo sie ihr Geld ließ, ob man Qualität der Quantität vorzog und was man in oder an seinen Körper ließ. Ihr Problem war vielmehr, dass sie zu viel in ihren Körper steckte, was wiederum überwiegend von guter Qualität war.
Line parkte vor dem Garagentor der Mietvilla in Bagsværd. Die Garage beherbergte Werkzeug, Fahrräder, halbfertige Möbelprojekte und leere Bierdosen, also war für ihr Auto nur in der Einfahrt Platz. In einer halben Stunde würde Jonas von seinem Arbeitskollegen abgesetzt werden, der in der Nachbarschaft wohnte.
Sie fühlte sich auf einmal unendlich müde, als sie die Tür zum Rücksitz öffnete und die Einkaufstüte herauszog. Im Haus war es vollkommen still, also rief sie Mikkel an, um zu hören, wo er war.
„Hej Mutti“, sagte er fröhlich. Ihr hübscher, lustiger, kluger, geliebter Junge, auf den sie so stolz war und dem sie ein so schlechtes Gewissen gegenüber empfand. Er wurde bald elf. Wie lange würde er noch ihr kleiner Junge bleiben? Wann war er so groß, dass er lieber mit seinen Freunden zusammen war, eine Freundin hätte und von zu Hause auszog? Die Zeit verging so schnell und sie hatte das Gefühl, dass sie im Augenblick wertvolle Zeit verschwendete, anstatt mit ihren Sohn zu genießen und mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Sie hatte einen Kloß im Hals, als sie fragte, wo er war.
„Ich bin drüben bei Lucas. Stimmt was nicht, Mama?“
„Nein, ich bin nur etwas müde, Schatz. Bis später, wir essen um sechs.“
Line legte auf, schmiss sich aufs Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf. In letzter Zeit war sie sehr nah am Wasser gebaut. Sie fühlte sich, als wäre sie einem Zusammenbruch nah, den sie nicht ausleben durfte. Sie riss sich immer zusammen und hatte ein Bild im Kopf von einer Maschine, die einfach immer fährt, ohne einmal überprüft und an den richtigen Stellen geölt zu werden. So erging es ihr. Eine große Maschine, von der alle annahmen, dass sie einfach weitermachte, immer weiter. Sie wusste nur zu gut, dass es ihre eigene Verantwortung war, sich auch mal rauszunehmen, aber noch war es nicht so weit.
Jonas setzte die Tuborg-Flasche an und leerte sie, als sein Kollege in den Villenweg einbog. Man konnte genau zwei Bier auf dem Heimweg von der Arbeit kippen und ein Mann konnte sich wohl ein Feierabendbierchen genehmigen. Line wäre total angepisst, wenn sie wüsste, dass er jeden Tag zwei Bier auf dem Weg nach Hause trank, egal ob er selbst fuhr oder beim Kollegen einstieg. Von zwei Bierchen wurde man schließlich nicht voll. Aber heute hatte er auch Lust auf Wein zum Essen. Wenn Line bloß nicht rummaulte. Es konnte so schön mit ihr sein, wenn sie wollte. Ab und zu wurde sie vom Teufel geritten und meckerte über seinen Alkoholkonsum. Aber das ging sie einen Dreck an. Er war ein erwachsener Mann und brauchte keine Frau, die ihm sagte, was er trinken durfte und was nicht. Er hielt sich an Wein und Bier, das war ja kein harter Alk. Und er trank niemals am Morgen. Und wer gönnte sich nicht einen kleinen Absacker nach einem langen Arbeitstag, an dem man mit einem Idioten nach dem anderen zu tun hatte? Das war einfach normal. Es war eher unnormal, es nicht zu tun. Doch, auf ein Gläschen freute er sich.
Er hatte Line tagsüber einige Male angerufen. Nur um ihre Stimme zu hören und die Stimmung auszuloten. Sie hatten gut gelaunt geklungen, also würde sie vielleicht ein paar Glas mittrinken. Ficken würden sie eh, da machte sie zum Glück immer mit. Obwohl es manchmal ein wenig Überzeugungsarbeit brauchte, wenn sie richtig sauer war. Er konnte Line im Küchenfenster sehen und hoffte, dass der Junge gerade nicht da war. Nicht, dass er grundsätzlich etwas gegen Mikkel hatte, aber Mikkel hatte etwas an sich, das ihn nervte. Er wurde sicher nie ein richtiger Mann, wenn seine Mutter ihn weiter so verhätschelte. Es war ganz einfach nicht gesund für einen Jungen, alleine mit seiner Mutter zu sein, darum war es reines Glück für Mikkel, dass Jonas in sein Leben und das seiner Mutter getreten war. Ihn würde er noch in Ordnung bringen, auch wenn seine Mutter nicht mit seinen Methoden übereinstimmte. Eine harte Hand hatte noch keinem geschadet, auch ihm selbst nicht. Jonas bedankte sich beim Fahrer und stieg aus dem Auto. Er steckte den Schlüssel in die Tür und rüstete sich für einen Abend im Schoße der Familie.
Line wischte die Tränen weg und stand auf, ging ins Badezimmer, putzte sich die Nase und wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Danach betrachtete sie sich im Spiegel. Eigentlich ganz hübsch, nur schade, dass sie so dick geworden war. Sie musste zusehen, dass sie endlich mit Sport anfing, viel mehr Gemüse aß und mit all dem Brot aufhörte. Käsestullen, Wurststullen, Kartoffelstullen, aber gab es was Besseres? Line ging in die Küche und sortierte den Einkauf. Kurz danach hörte sie eine Autotür zuknallen, dann wurde die Tür geöffnet und Jonas kam zu ihr in die Küche.
„Hej. Was essen wir heute?“
„Buletten mit…“
„Mmmh, da brauchen wir aber eine Flasche